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Wie die Zeitung von der SPD 1890 in Magdeburg gegründet wurde August Bebel schimpft über die Volksstimme

Von Oliver Schlicht 20.08.2010, 07:29

Die Zeit, in der die Volksstimme in Magdeburg das Licht der Zeitungswelt erblickte, war eine sehr bewegte. 1878, zwölf Jahre vor der Zeitungsgründung, waren im Deutschen Reich die Sozialistengesetze in Kraft getreten. Diese Gesetze verboten sozialistische und sozialdemokratische Organisationen im gesamten Reich. Doch die Sozialdemokratie setzte sich durch.

1888 war Kanzler Bismarck mit einer Gesetzesvorlage gescheitert, wonach Sozialdemokraten die Ausbürgerung aus Deutschland gedroht hätte. Im gleichen Jahr wurde der Reichskanzler entlassen. Die Sozialdemokratie bekam langsam Oberwasser. Sogar Kaiser Wilhelm II. ließ nun Arbeitsschutzgesetze einführen. Das Erstarken der Sozialdemokratie wurde besonders bei den Reichstagswahlen im Januar 1890 deutlich. Dort erreichten die Sozialisten ein sehr gutes Ergebnis.

Noch im gleichen Jahr wurden die Sozialistengesetze abgeschafft. Plötzlich spielten die Sozialisten im politischen Tagesgeschehen eine wichtige Rolle. Und in der Industriestadt Magdeburg, in der viele tausend Arbeiter mit der sozialistischen Bewegung sympathisierten, hatte die SPD ein Heimspiel. Im Wahlkampf zu Jahresbeginn 1890 traten unter anderem Wilhelm Liebknecht und August Bebel auf Großveranstaltungen in Magdeburg auf und hielten Wahlkampfreden.

Genau in diesen spannenden Monaten wurde die Volksstimme gegründet. Die Initiative dazu kam aus Berlin. Dort hielt man es zunehmend für wichtig, dass SPD-Zeitungen entstehen, weil die eigenen politischen Ideale in der bürgerlichen Presse nur wenig Berücksichtigung fanden. Die Magdeburger SPD hatte noch mehrere tausend Reichsmark zur Gründung einer Zeitung zur Verfügung. Das Geld war in der Wahlkampfkasse übrig geblieben und bildete die finanzielle Grundlage der Zeitungsgründung.

In einer 1974 erschienenen Magdeburger Stadtgeschichte haben mehrere Autoren unter der Leitung des Stadthistorikers Helmut Asmus die näheren Umstände der Volksstimme-Gründung beschrieben. Danach war der formelle Beschluss zur Zeitungsgründung auf einer Parteiberatung im März 1890 gefallen. Teilnehmer waren danach unter anderem die Zimmerer Adolf Schultze und Wilhelm Lauben, der Dreher Carl Lankau, der Maurer Karl Schoch und zwei Schuhmacher namens Meyer und Brose.

Ein "Syndikalist" aus Barleben

Nach anderen Quellen gehörte auch Fritz Kater, gebürtig in Barleben, zu den Mitbegründern der Volksstimme. Kater war damals Herausgeber einer kleinen Schrift namens "Der Sozialdemokrat", die in Olvenstedt erschien. Der Mann verabschiedete sich 1892 nach Berlin – und später auch von der Sozialdemokratie. Er wurde "Anarchosyndikalist", eine linksradikale Bewegung. Kater gab in Berlin in den 1920er Jahren die Zeitung "Der Syndikalist" heraus.

Für ein Mitwirken von Fritz Kater zu Beginn der Volksstimme spricht, dass es in den ersten Wochen grundsätzlich ein Problem mit Redakteuren gab, die eine ziemlich radikale Feder schwangen. Zu radikal selbst für die SPD. Im Sommer 1890 waren von der SPD-Zeitung "Berliner Volkstribüne" zwei junge Redakteure nach Magdeburg delegiert worden: Paul Kampfmeyer und Hans Müller. Beide waren aus besagten Gründen nur wenige Wochen im Amt.

Sie sympathisierten offen mit einer anarchistischen Gruppe innerhalb der SPD, die sich "Die Jungen" nannten. Von Magdeburg aus hatten beide Autoren gleich zu Beginn des Erscheinens der Volksstimme ab Juni 1890 schwere politische Munition in Richtung Berlin abgefeuert. So hatten Kampfmeyer und Müller führende Parteimitglieder der Korruption verdächtigt. Angemahnt wurde auch, dass die Parteiführung die freie Meinungsäußerung gezielt unterdrücke. Hauptziel der Angriffe war kein Geringerer als August Bebel höchstpersönlich. Der berühmte Sozialdemokrat fühlte sich angesichts der Volksstimme-Kampagne genötigt, nach Magdeburg zu eilen.

Am 13. August 1890 schimpft Bebel in Magdeburg über die Unterstellungen in der Volksstimme in einem überfüllten Saal mit Magdeburger Arbeitern. Einem Bericht des "Magdeburger Generalanzeigers" zufolge, sollen vor dem Saal noch hunderte Besucher gewartet haben. In der Diskussion gaben die meisten Redner Bebel Recht. In einer am Ende verabschiedeten Resolution wurde von der Volksstimme-Redaktion gefordert, jede weitere Polemik und Angriffe gegen Personen der Parteiführung einzustellen. Zwei Tage später erklärte die Volksstimme-Redaktion komplett ihren Rücktritt.

Die Zeitung hatte – kaum war sie in der ersten Ausgabe erschienen – vom Start weg für reichlich Wirbel gesorgt. Dabei war die Volksstimme zu Beginn mehr ein Blättchen als ein Blatt. Kein Vergleich mit den viel größeren Zeitungen "Generalanzeiger" und "Centralanzeiger". Zwei Boulevardblätter, die 1890 in Auflagen von täglich mehreren zehntausend Zeitungen erschienen. Der Großteil der Magdeburger las 1890 diese beiden Zeitungen. Dagegen bestand die zurückgetretene Volksstimme-Redaktion im August 1890 ausschließlich aus Müller und Kampfmeyer.

Neben den Redakteuren gehörten zwölf Setzer, ein Drucker, zwei Einlegerinnen und vier Falzfrauen zur Startbesetzung. Gedruckt wurde auf einer handgedrehten Druckmaschine, in der nur zwei Seiten Platz fanden. Die Maschine hatte Druckereibesitzer Luis Arnold aus Erfurt nach Magdeburg geschafft. Er war eigens wegen des Volksstimme-Starts in die Elbestadt übergesiedelt.

Die Polizei kam zu Hausdurchsuchungen

Erste Adresse der Volksstimme in Magdeburg war die Heiligegeiststraße 28. Den Zweck der Vermietung hatten die Genossen bei Mieten lieber verheimlicht. Nicht ohne Grund. Mehrfach war die Magdeburger Polizei in der Redaktion zu Hausdurchsuchungen zu Gast.

Am 15. Juni 1890 erschien die erste Probenummer. Stolz druckten die Redakteure die Auflagenhöhe direkt über den Zeitungstitel: 50 000 Exemplare. In dieser Auflage erschien das "Organ für das werktätige Volk von Magdeburg und Umgebung" – so der Untertitel – aber nur ein einziges Mal – gewissermaßen zum Anfüttern der Leser.

Bei der ersten regulären Ausgabe am 1. Juli 1890 musste die Volksstimme dann sehr viel kleinere Brötchen backen. Startauflage: 2000 Exemplare. Das Blatt erschien immer morgens. Drei Ausgaben in der Woche waren vier Seiten stark, drei weitere Ausgaben erschienen mit sechs Seiten. Neun Austräger verteilten die Zeitung.

Doch das war nur der Anfang. Nach mehreren Umzügen der Redaktion und der Anschaffung neuer Drucktechnik verkaufte die Volksstimme zehn Jahre später zur Jahrhundertwende täglich 12 500 Zeitungen im Großraum Magdeburg und in Halberstadt.