Organisierte Kriminelle suchen gezielt nach Beute im Umfeld der Autobahnen Autodiebstahl: Profis entführen "Isabell"
Autodiebstähle sind zwar seit einigen Jahren auch in Sachsen-Anhalt
rückläufig, dafür agieren die Täter immer organisierter. Sie haben es
vor allem auf höherwertige Mittelklasse-Wagen abgesehen. In den
vergangenen Wochen nahmen Diebstähle im Bördekreis, Jerichower Land und
in Magdeburg zu.
Magdeburg l Es ist Dienstag, der 15. Oktober, als Elke Remus aus Westeregeln im Salzlandkreis ihren weißen Ford Kuga wie jeden Tag in der Parklücke direkt vor ihrem Haus abstellt. Die Familie ist zum Abendbrot vollzählig. Kurze Zeit später lässt die Hausfrau die Rollläden des Wohnhauses herunter. Es wird das letzte Mal sein, dass die 52-Jährige ihre "Isabell" sieht. "Wir nennen unser Auto in der Familie alle so. Im Kennzeichen gibt es ein \'I\'. Deshalb nennen wir den Kuga Isabell", erklärt sie.
Am nächsten Morgen um 6.45 Uhr, als die Autobesitzerin den Rollladen wieder hochzieht, sieht sie auf eine leere Parklücke.
Für die Polizei steht schnell fest, dass es sich hier um einen Auftragsdiebstahl handelt. Da habe vermutlich einer ganz gezielt einen weißen Kuga gesucht, vermuten die Beamten. Ihre Annahme kommt nicht von ungefähr.
Polizeisprecher Andreas von Koß: "Beim Autodiebstahl verschiebt sich das Täterbild immer mehr vom kleinkriminellen Gelegenheitstäter hin zur organisierten Kriminalität von national und international operierenden Banden." Mit spezieller Technik kann zum Beispiel über den Diagnose-Stecker des Autos die Software überspielt und somit die elektronische Wegfahrsperre überwunden werden. Mittlerweile gibt es Geräte, mit denen das Sendesignal der Schlüsselfernbedienung nachgeahmt werden kann.
"Es agieren unterschiedliche Gruppen. An die Hintermänner ist so gut wie kein Rankommen." - Marco Kloss, Leiter der Fahndung
Einer, der sich seit Jahren mit dem Phänomen des organisierten Autodiebstahls beschäftigt, ist Kriminaloberkommissar Marco Kloss. Er ist Leiter der Fahndung im Magdeburger Polizeirevier und früherer Chef der Sonderkommission "Osteuropa".
Nach seinen Schätzungen gehen bereits mehr als die Hälfte aller Diebstähle auf das Konto einheimischer und osteuropäischer Täter im Bereich der organisierten Kriminalität. Ziel der gestohlenen Fahrzeuge sind Osteuropa, aber auch der afrikanische Markt. Der Anteil der Täter, die für weitere Straftaten Autos stehlen, sei hingegen gleichbleibend gering. So wie auch der Anteil von Versicherungsbetrügern.
Marco Kloss: "In Sachsen-Anhalt wird von den osteuropäischen Autodieben die gesamte VW-Palette samt Audi und Skoda bevorzugt." Aus den Vernehmungen sei bekannt, dass die Bundesländer von den Tätern in unterschiedliche Zielgebiete eingeteilt sind. Werden die Marken Mercedes, Porsche und BMW benötigt, suchen die Diebe eher andere Gebiete auf. "Es agieren unterschiedliche Gruppen. An die Hintermänner ist aber so gut wie kein Rankommen. Sie haben mit den eigentlichen Diebstählen oft auch gar nichts zu tun", so Kloss.
Die Auftraggeber sorgen zum Beispiel auch für die notwendige Technik. Neue Fahrzeuge, die gerade auf den Markt kommen, werden nur zum Zweck des Ausspionierens gekauft. Mit dem Auto beschäftigen sich Software-Spezialisten, die ein neues Programm zum Überlisten der elektronischen Sicherungseinrichtungen schreiben. Die Programme sind meist auf kleinen Geräten, oft nicht größer als eine Zigarettenschachtel, gespeichert.
Die Täter suchen sich damit in den Fahrzeugen einen Zugang, oft über den Diagnosestecker, und überschreiben das eigentliche Programm des Fahrzeugs. So können dann die Ganoven mit ihren Schlüsseln das Auto ohne Probleme starten. Das System erkennt die elektronische Signatur des Täterschlüssels als zulässig an. Der Diebstahl dauert so nur wenige Sekunden.
In diesem Herbst sind offensichtlich die "Freunde" der Marken VW und Audi verstärkt im Norden Sachsen-Anhalts unterwegs. Bis Anfang Oktober trieben sie vor allem im Jerichower Land ihr Unwesen. "Wir hatten eine Häufung von Diebstählen hochwertiger Mittelklasseautos", bestätigt Polizeisprecher des Jerichower Landes Thomas Kriebitzsch.
Mehr als 20 Fahrzeuge der Marken Audi und VW, vor allem Passat und die Vans bzw. Transporter T4 und T5, verschwanden allein von Anfang September bis Anfang Oktober.
Mit verstärkten Polizeikontrollen in der Nacht habe man aber inzwischen vor allem eines erreicht: Die Serie endete abrupt. Ein Verdrängungseffekt. Denn dafür tauchten die Ganoven in Magdeburg, im Bördekreis und im Salzlandkreis, jeweils in der Peripherie der Autobahnen 2 und 14 häufiger auf. Seit Anfang Oktober gibt es hier verstärkt Diebstähle der höherwertigen Mittelklassewagen. So auch am 14. Oktober in Wanzleben.
Reno Kujanek, ein Berliner Fotograf, ist eines der Opfer. Seinen A6 stellte er bei einem seiner Kunden auf der Straße im Ort gegen 18 Uhr ab.
"Wir fuhren nur kurz nach Quedlinburg. Als wir gegen 22.30 Uhr wieder zurückkamen, war das Auto weg. Obwohl es mit einer Alarmanlage und Wegfahrsperre gesichert war", erzählt er. Dass ausgerechnet in der Börde die Ganoven seinen Wagen stehlen würden, hätte er nie gedacht.
Schließlich ist doch sein Wohnort, Berlin, die Hauptstadt des Autodiebstahls in Deutschland. Besonders ärgerlich für ihn: Die Kameraausrüstung im Wert von mehr als zehntausend Euro lag auch im Auto. Der Fotograf: "Mein Kunde war zum Glück so freundlich und hat mich nach Berlin zurückgefahren. Es ist schlimm, wenn man von einem Tag auf den anderen zum Radfahrer wird." Etwa vier Wochen lang muss der Autofahrer nun warten, bis er den Schaden von der Versicherung ersetzt bekommt. Elke Remus ergeht es ähnlich. "Man fühlt sich so hilflos, wenn man plötzlich kein Auto mehr hat. Ich bin in dieser Zeit an meinen Wohnort gefesselt", sagt sie.
Stephan Schweda vom Gesamtverband der Versicherungen: "Das Fahrzeug geht erst nach vier Wochen in den Besitz der Versicherung über. So lange wird gewartet, ob der Wagen nicht doch wieder auftaucht."
Auch er kennt die Entwicklung hin zum professionellen Autodiebstahl.
"Die heutige Sicherheitstechnik knackt man nicht im Vorbeigehen", sagt er. Auffällig sei auch, dass trotz sinkender Diebstahlraten die Höhe der durchschnittlichen Entschädigungsleistung auf rund 13.500 Euro gestiegen ist. Diese lag vor fünf Jahren noch bei 10.802 Euro und im Jahr 2002 bei durchschnittlich 8653 Euro.