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Hitzesommer Bürger gegen Freibad-Schließungen

Mindestens 65 Schwimmbäder im Land haben seit der Wende geschlossen. Zwei Geschichten über Bäder und ihre Retter.

Von Alexander Walter 10.08.2018, 01:01

Magdeburg l Das Freibad Niederndodeleben liegt auf einem Hügel am Ortsausgang. Ein schöner Ort. Von hier aus kann man über hübsche Gärten und Häuschen ins Dorf hinüberblicken. 50-Meter-Becken, Liegewiese, Beachvolleyballplatz, Planschbecken – das Bad hätte alles, was es für einen entspannten Sommertag braucht.

Im Rekord-Hitze-Juli 2018 aber bleiben die Becken leer, schon das zweite Jahr in Folge. Stattdessen holt sich die Natur das Terrain zurück. Dort, wo einst Kinder tauchten, kämpfen sich Sträucher durch Rillen im rissigen Beton. Auf der Liegewiese wuchert kniehoch das Gras.

Florian Pötzsch, Vorsitzender des örtlichen Schwimmbadvereins, muss sich das alles ohnmächtig mit anschauen. Seine drei Kinder sind hier früher fast täglich schwimmen gegangen, erzählt der sportliche 42-Jährige. Trotz Tausender Arbeitsstunden und viel Leidenschaft konnten die 130 Mitglieder seines Vereins nicht verhindern, dass das Bad zumindest vorübergehend geschlossen bleibt.

Doch wie kam es dazu? Niederndodeleben ist kein kleiner Ort. 4300 Menschen leben hier, es gibt Kindergärten, Grundschule, Supermärkte. Im Sommer kamen früher an guten Tagen Hunderte Gäste, selbst die Wasserballer aus Magdeburg trainierten hier. Der Bedarf ist also da.

Lange sah es auch so aus, als könnte das Dorf das Ärgste abwenden. Bis weit nach der Wende wurde das Bad von der Gemeinde betrieben. Dann aber bekam das damals noch eigenständige Dorf Finanzprobleme. Die Ausgaben für die freiwillige Aufgabe Freibad wurden auf Anordnung der Aufsichts-Behörden gestrichen. Die Einwohner geben nicht auf, gründeten den Schwimmbad-Verein. Der pachtete das Bad, der Betrieb schien gerettet. Die Bürger übernahmen alles: vom Beckensäubern übers Rasenmähen bis zum ehrenamtlichen Kassieren, statteten das Bad sogar mit Wasserrutsche und einem Party-Carport aus.

2010 schien die Talsohle durchschritten, Niederndodeleben ging in der finanzkräftigeren Gemeinde Hohe Börde auf. Die Verwaltung gab bald ein paar Tausend Euro Zuschuss im Jahr. „Finanziell ging das auf“, erzählt Pötzsch. Und doch reichte das Geld nicht, um das eigentliche Problem zu lösen: Denn das Bad Niederndodeleben war veraltet, vor allem fehlte eine moderne Filteranlage. Vom Gesundheitsamt gab es deshalb schon über Jahre nur Ausnahmegenehmigungen für den Betrieb. Im vergangenen Jahr war auch damit Schluss. Nachdem die Behörde immer wieder erhöhte Keimbelastungen festgestellt hatte, kam die Anordnung: Das Bad bleibt vorerst zu.

Niederndodeleben ist ein typisches Beispiel für ein vorerst geschlossenes Freibad in Sachsen-Anhalt. Erwischt hat es auch andere: Schon seit 2010 ist etwa das baufällige Bad in Mieste bei Gardelegen zu. Das ebenfalls sanierungsbedürfige Freibad Liesten bei Salzwedel hat es 2017 getroffen. Auch in Liesten kämpft ein Förderverein für die Wiedereröffnung.

Was bleibt, wenn das Freibad im Ort stirbt? Diese Frage mussten oder müssen sich viele Gemeinden in Sachsen-Anhalt stellen. Zwischen 1990 und 2017 hat es nach Angaben des Innenministeriums mindestens 65 Bäder zwischen Arendsee und Zeitz getroffen. Jürgen Leindecker, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt, hält die Zahl 65 für die „absolute Untergrenze“. Aktuellere Statistiken gibt es nicht. Angesichts der Entwicklung fordert Leindecker ein Umdenken.

Über Jahre seien die Kommunen nur unter Druck gesetzt worden, Bäder zu schließen. „Das wirkt sich natürlich negativ auf die Attraktivität der betroffenen Orte aus“, sagt Leindecker. Er fordert mehr Handlungsspielraum für die Kommunen. „Freibäder sollten nicht länger grundsätzlich als freiwillige Aufgabe gelten.“ Mittel könnten damit in finanziell schwierigen Zeiten nicht einfach gestrichen werden. Vor allem aber müsse die Landespolitik den Ansiedlungswettkampf um Industrie und Gewerbe wieder forcieren. „Die wirtschaftliche Basis muss gestärkt werden.“ Sonst werde Ostdeutschland auch künftig den Anschluss nicht schaffen. Die Schließung kommunaler Einrichtungen wie Freibäder werde weitergehen.

Trotz aller Rückschläge: Wird ein auf der Kippe stehendes Bad gerettet, sind es meist die Bürger, die das Ruder herumreißen. So war es auch in Dedeleben, einem 1000-Einwohner-Dorf im Huy, nördlich von Halberstadt.

Es ist kaum zehn Uhr an diesem Vormittag im August, da stehen die ersten Gäste an der Kasse Schlange. Kinder, Familien, Touristen aus Niedersachsen. Sie alle wollen in Dedeleben baden. Das überrascht nicht. Das Bad muss sich wahrlich nicht verstecken: Neben einer Badelandschaft mit azurblauem Wasser und Kinderrutsche gibt es neuerdings eine 500 Quadratmeter große Spielplatzwelt und sogar eine Fass-Sauna. So rosig sah es nicht immer aus, erzählt Christian Wenig unterm Sonnenschirm auf der Freibad-Terrasse.

Der kräftige Mann ist Sprecher des Fördervereins für das Bad. 127 Mitglieder sind darin aktiv. Auch in Dedeleben stand das Freibad 2013 auf der Kippe. Das Dorf gehört seit 2002 zur neu gebildeten Gemeinde Huy mit elf Dörfern und damals drei Freibädern in kommunaler Hand.

Zu viel, befand der Gemeinderat der klammen Kommune und beschloss: Langfristig darf nur ein kommunales Bad bleiben. Die Dedeleber ahnten, dass es sie treffen würde. „Wir liegen schließlich am Rand“, sagt Wenig. Die Einwohner gründeten einen Förderverein. Der kaufte das Bad für einen symbolischen Euro.

Die Start-Voraussetzungen in Dedeleben waren besser als in Niederndodeleben: Das Bad war nach der Wende bereits teilsaniert worden. Trotzdem musste der Verein auch hier kräftig investieren. Zehntausende Euro aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Zuschüssen und Fördergeld flossen in die Anlage, ebenso viele Arbeitsstunden. Um die Personalkosten zu senken, ließen die Mitglieder sogar einen Rettungsschwimmer zum „Fachangestellten für Bädertechnik“ weiterbilden. „Damit sparen wir uns noch einmal Zehntausende Euro für den sonst nötigen Rettungsschwimmer der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG)“, sagt Christian Wenig.

Das eigentliche Erfolgsrezept aber: Mit kreativen Ideen wie der Fass-Sauna ist es den Dedelebern gelungen, den Freibadbesuch zum Event zu machen.

Das Konzept läuft so seit 2014, sagt Vereinsvorsitzender Axel Küstermann. Mit Ausnahme des verregneten Sommers 2017 ging die Rechnung jedes Mal auf. Ein Garantieschein auf die Zukunft ist das aber nicht, das wissen die Dedelebener. „Um das Bad langfristig zu erhalten, werden wir weiter investieren müssen“, sagt Wenig.

Hoffnungslos ist die Lage indes auch für das im Moment geschlossene Freibad Niederndodeleben nicht. Die Gemeinde Hohe Börde bekennt sich zum Erhalt. Allerdings wird dazu deutlich mehr nötig sein, als der Austausch der Filteranlage. „Das Becken muss komplett neu gebaut werden“, sagt Bürgermeisterin Steffi Trittel. Sie rechnet mit Kosten von 3,7 Millionen Euro.

Allein wird die Gemeinde das nicht schaffen. Ein Offener Brief von Vereinen und Bürgern an Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) blieb zwar folgenlos. Doch die Verwaltung ist hartnäckig, setzt nun auf ein Fördermittel-Konzept, das eigentlich für den Städtebau gedacht ist. Fließt Fördergeld, wäre 2019/20 die Sanierung möglich. „Wir haben alles getan und sind guter Hoffnung“, sagt die Bürgermeisterin.

Was bliebe, wenn das Freibad stirbt? In jedem Fall würde viel wegbrechen, sagen sowohl Florian Pötzsch als auch Christian Wenig in Dedeleben: Das Zentrum für kulturelles Leben in den Sommermonaten, der Ort, an dem die Kinder schwimmen lernen, der Treffpunkt für die Nachbarschaft. Sollen die Dörfer Sachsen-Anhalts gerade für Familien mit Kindern attraktiv bleiben, gehört ein Freibad in der Nähe einfach dazu.