Zahl der Beschäftigten steigt erneut / Energiepreise in Deutschland machen der Branche große Sorgen Chemieparks bauen Standorte weiter aus
Bitterfeld/Schkopau l Die Chemie in Sachsen-Anhalt stimmt. Zumindest auf dem Papier. Fuhr die Branche im Jahr 2011 einen Umsatz von sechs Milliarden Euro ein, waren es im vergangenen Jahr 213 Millionen Euro mehr. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 11700 auf insgesamt 11900. Licht und Schatten liegen allerdings eng beisammen.
Wie steht die chemische Industrie in Sachsen-Anhalt wirtschaftlich da? Ein Thermometer sind die großen chemischen Ballungszentren im Süden des Landes - die Chemieparks. Die in Sachsen-Anhalt entwickelte Idee dieser Indus-triegebiete war aus der Not geboren. Durch den Zusammenbruch der DDR-Chemie nach 1989 sollten möglichst viele Arbeitsplätze und Grundstrukturen gerettet werden.
Chemieparkbetreiber stellen Unternehmen beispielsweise über voll erschlossene Flächen eine wirtschaftliche Basis zur Verfügung. Zudem können sich Investoren aus einem umfassenden Servicebaukasten bedienen. Dieser beinhaltet unter anderem die Versorgung mit Dampf, Wasser und Energie, den Brand- und Objektschutz oder die Entsorgung.
Seit Mitte der 1990er Jahre haben sich in Sachsen-Anhalt mehr als 600 Unternehmen an verschiedenen Chemiestandorten angesiedelt. Investiert wurden fast 17 Milliarden Euro. Mehr als 30000 Arbeitsplätze entstanden.
Chemiepark Bitterfeld-Wolfen
Im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen haben sich 360 Unternehmen angesiedelt, insgesamt 12000 Menschen arbeiten dort. Rechnet man die Dienstleister von der Kantine über den Fensterputzer bis zur Arbeitsvermittlung hinzu, geht es um weitere 15000 bis 20000 Jobs, zieht der Geschäftsführer der P-D Chemiepark GmbH als Vermarkter und Betreiber des 1200 Hektar großen Areals, Matthias Gabriel, einen weiten Bogen. Investiert wurden Jahr für Jahr dreistellige Millionenbeträge, insgesamt 4,5 Milliarden Euro. Zu den bekanntesten Unternehmen gehören der Arzneimittelhersteller Bayer, der Fotodienst- leister ORWO Net oder das Folienwerk Wolfen.
"Aktuell betreuen wir 17 Investitionsprojekte unter anderem von deutschen, amerikanischen und israelischen Firmen aus der Chemie oder dem Maschinen- und Anlagenbau mit einem Gesamtvolumen von 300 Millionen Euro", sagt Gabriel. Würden alle umgesetzt, entstünden 350 neue Arbeitsplätze. Über 2012 spricht er von einem "stabilen positiven Jahr". Den kommenden Monaten sehe er optimistisch entgegen. "Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass es einen Einbruch gibt."
Gestern wurde der Chemiepark mit einem zusätzlichen Deich gegen die Flut gesichert. Für die Unternehmen bestehe keine Gefahr", hieß es.
Chemiepark Leuna
Leuna ist mit einer Fläche von 1300 Hektar - dies entspricht 1800 Fußballfeldern - der größte Chemiestandort der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1990 haben sich international tätige Konzerne wie Arkema, BASF, Domo, Innospec, Linde, Taminco und Total mit der großen Raffinerie ebenso wie zahlreiche mittelständische Unternehmen für den Standort entschieden und bis jetzt sechs Milliarden Euro investiert. Auf dem Industrieareal arbeiten mehr als 100 Unternehmen mit insgesamt 9000 Beschäftigten.
Eigentümerin und Betreiberin der Infrastruktureinrichtungen ist die InfraLeuna GmbH. Sie stellt den Unternehmen Infrastrukturdienstleistungen zur Verfügung. Gas- und Dampfturbinenkraftwerke liefern Energie, ein Trink- und ein Frischwasserwerk versorgen den Standort mit Trink- und Frischwasser.
InfraLeuna-Geschäftsführer Christof Günther ist mit dem vergangenen Jahr gerade vor dem Hintergrund der Euro-Schuldenkrise zufrieden. "Der Absatz ist stabil. Unsere Kunden konnten sich in einem schwieriger werdenden Umfeld behaupten. Wir erzielten einen Umsatz von rund 320 Millionen Euro. Das ist mehr als im Jahr 2011."
Mit der Inbetriebnahme der Chloranlage von LEUNA-Harze, der Errichtung der Polymerisationsanlage von DOMO Caproleuna, dem Anlagenneubau der Fraunhofergesellschaft sowie von ThyssenKrupp Uhde seien mehr als 200 Millionen Euro investiert worden. "Besonders der Unternehmergeist unserer langjährigen Kunden hat den Chemiestandort vorangebracht."
Allerdings, so Günther: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass derzeit Deutschland für Kunden mit globaler Perspektive nicht so interessant ist. Im Fokus der Chemieinvestoren liegen eher der arabische Raum und die USA. Das liegt auch an der deutschen Energiepolitik, die sich für Investoren mit hohem Energiebedarf als unkalkulierbares Risiko darstellt."
Auch in diesem Jahr erwartet man neue Investitionen. Beispielsweise habe ThyssenKrupp mehr als 15 Millionen Euro in eine neue Anlage investiert, die in diesem Jahr noch an den Start gehen soll.
Chemie- und Industriepark Zeitz
Der Chemie- und Industriepark Zeitz (CIP) steht auf drei Säulen - die Ansiedlung und Entwicklung von chemischen Unternehmen, die chemische Aufarbeitung von Altölen und Ersatzbrennstoffen sowie die industrielle Verwertung von Biomasse. Auf 230 Hektar haben sich etwa 50 Firmen mit insgesamt 800 Arbeitsplätzen angesiedelt, unter ihnen internationale Schwergewichte wie der italienische Radici-Konzern, der hier Adipinsäure herstellt, ein Zwischenprodukt für Nylon. Investiert wurden in Zeitz insgesamt 460 Millionen Euro.
"2012 war ein Jahr mit vielen Höhen und Tiefen für die Unternehmen", sagt der Prokurist der Infra-Zeitz Servicegesellschaft, Arvid Friebe. "Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat für manche überraschende Wendung gesorgt und die Unternehmen vorsichtig werden lassen. Das Geschäft mit Neuansiedlungen ist quasi zum Erliegen gekommen."
Gründe seien unter anderem schärfere Förderbedingungen für Betriebserrichtungen sowie die Tatsache, dass Standortversorger wie die Infra-Zeitz keinen Strompreisnachlass mehr bekommen und sie deshalb ihren Kundenunternehmen teils enorme Preiserhöhungen in Rechnung stellen müssten. Friebe: "Das droht uns und unsere Kundenunternehmen vom Markt abzuschneiden und macht uns große Sorgen."
Hingegen würden sich die bereits ansässigen Unternehmen gut entwickeln. Der Magdeburger Energiedienstleister GETEC stellt gerade ein Betriebskraftwerk für Radici fertig. Bis zum Herbst 2014 will das US-amerikanische Chemieunternehmen Puralube für 40 Millionen Euro eine dritte Raffinerieanlage zum Recycling von Altöl errichten.
ValuePark Schkopau
Im 110 Hektar großen ValuePark der Dow Olefinverbund GmbH in Schkopau haben sich Firmen der kunststoffverarbeitenden Industrie und Dienstleister in unmittelbarer Nachbarschaft der Chemieanlagen des US-amerikanischen Chemieriesen Dow Chemical angesiedelt, profitieren vom gemeinsamen Stoffverbund und der Logistik. In 21 Unternehmen arbeiten 5000 Beschäftigte. Seit 1995 wurden hier mehr als vier Milliarden Euro investiert.
In den vergangenen Jahren haben die Unternehmen ihre Produktionskapazitäten stetig gesteigert, so Dow-Managerin Anke Bökelmann. "Zuletzt baute in den Jahren 2011 und 2012 die Manuli Stretch Deutschland GmbH, führender Hersteller im Marktsegment Verpackungsfolien, die vorhandenen Produktionskapazitäten aus. Das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik (CSP) eröffnete im vergangenen Jahr ein Modultechnologiezentrum in Schkopau."
Was künftige Entwicklungen und wirtschaftliches Wachstum angehe, würden diese weniger von Dow als von den gegebenen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen beeinflusst, betont Bökelmann. Insbesondere in Europa gestalte sich das konjunkturelle Umfeld nach wie vor schwierig.