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Corona-Pandemie Wie das Virus unsere Sprache verändert

Corona-Party, Social-Distancing: Was Corona mit unserer Sprache macht, erläutert Linguist Kersten Roth im Interview mit Massimo Rogacki.

Von Massimo Rogacki 06.05.2020, 01:01

Herr Roth, wie aktualisiert sich durch die Corona-Pandemie Sprache?

Kersten Sven Roth: Sprache wird immer gebrauchbedingt aktualisiert. Dass sie das kann, gehört zu ihren faszinierenden Stärken, weil diese Dynamik für andere Zeichensysteme so nicht gilt. Wenn man nach der Geschwindigkeit von sprachlichen Veränderungen fragt, muss man immer genauer sagen, was man mit „Sprache“ meint. Das sprachliche System, die Grammatik also, und auch die größten Teile des Wortschatzes verändern sich nicht schneller als sonst.

Wörter kommen aber hinzu?

Richtig. Es kommt ein Spezialwortschatz dazu, weil wir Dinge bezeichnen müssen, die es vorher nicht gab oder die öffentlich nicht verhandelt wurden. Vor allem verändert sich der öffentliche Sprachgebrauch: Wörter wie die „Reproduktionsrate“, die nur in medizinischen Lehrbüchern und Studien heimisch waren, gehören plötzlich zu unserem Allgemeinwortschatz. Dass solche Ausdrücke in der Öffentlichkeit und von Laien natürlich nicht genau so verwendet werden können wie im Fachdiskurs, ist aus linguistischer Sicht der Grund für Falsch- und Nichtverstehen zwischen Wissenschaft, Politik und medialer Öffentlichkeit, das in den letzten Wochen ja immer stärker auch wahrgenommen wird.

Warum sind Anglizismen so präsent? Haben wir für "Shutdown" oder "Social-Distancing" keine eigenen Begriffe?

Ob es eine besondere Häufung von Anglizismen im Corona-Diskurs im Vergleich zu anderen Lebensbereichen gibt, weiß ich nicht. Das müsste man in einer Studie untersuchen. Für die genannten Anglizismen gibt es wohl verschiedene Gründe. Beispiel „Shutdown“: Im Deutschen gibt es schlicht kein Wort für das, was im März politisch beschlossen wurde, weil es das noch nie gab in unserer Geschichte. Die Politik wollte hier zu Recht vorhandene Wörter wie „Ausgangssperre“ vermeiden, weil sie sehr negativ behaftet sind und etwas viel Weitgehenderes bezeichnen als das, was man umgesetzt hat.

Ist das Wort denn treffend?     

Im Amerikanischen stand mit „Shutdown“ ein Wort aus dem Zusammenhang mit den in den USA bekannten Haushaltssperren bereit. Das passt zwar auch nicht ganz, aber semantisch war es nah genug, um die Lücke zu füllen. Hinzu kommt natürlich, dass die Corona-Krise eine durch und durch globale Krise ist, so dass Wörter aus der globalen Verständigungssprache Englisch hier große Chancen haben, sich durchzusetzen. Bis zu einem gewissen Grade sinnvollerweise.

Denken Sie, dass in künftigen Krisen immer wieder sprachlich auf das Virus referiert wird? Etwa: „Ein zweites Corona darf es nicht geben“?

Dass sich solche Phraseologismen herausbilden und etwa in der Politik stereotyp gebräuchlich werden, halte ich für gut vorstellbar. Die Ereignisse jetzt sind einschneidend und werden langfristige Folgen haben. So etwas speichert Sprache in Redewendungen und Formeln, die dann dazu dienen, komplexes Wissen einfach „aufzurufen“.

Befördern Medien oder Politik Hysterie, wenn gehäuft von "Corona-Krise", "Quarantäne" oder "Versorgungsengpass" die Rede ist?

So wie Virologen nicht sagen können, welche politischen Entscheidungen falsch sind und welche richtig, so kann ich als Linguist diese Frage kaum seriös beantworten. Das liegt daran, dass die Antwort natürlich davon abhängt, welche Sorgen berechtigt sind und welche nicht. Natürlich haben neben den Maßnahmen selbst auch solche Ausdrücke dafür gesorgt, dass viele Menschen im Land die Bedrohung durch Corona deutlich ernster genommen haben, als beispielsweise die durch den Klimawandel. Aber diese Appellwirkung von Wörtern kann ja etwas Gutes, sogar etwas Notwendiges sein, wenn eben tatsächlich eine reale Bedrohung da ist. Genau darauf verweist ja das berühmte Zitat von Greta Thunberg, die sich bei den verantwortlichen politischen Entscheidungsträgern "Panik" wünscht mit Blick auf das Klima. Ganz persönlich finde ich aber, dass in Deutschland die Medien ebenso wie die Politik bislang ein gutes Mittelmaß gefunden haben. Dass mit Ausnahme der viel ziterten "Bazooka" des Finanzministers zum Beispiel weitgehend auf die Kriegsmetaphorik anderer Länder verzichtet wurde, spricht für politische Sprachkultur.

Welche Fragen beschäftigen Sie als Sprachwissenschaftler in diesen Tagen außerdem?

Aus linguistischer Sicht stellen sich viele andere Fragen: Verändert Corona zum Beispiel langfristig unsere Kommunikationsgewohnheiten, indem wir zum Beispiel Gefallen finden an Videokonferenzen, die viel ökonomischer sind, bei denen Gespräche aber natürlich ganz anders ablaufen als im Face-to-Face-Gespräch? Oder: Bilden sich Praktiken heraus, die die so selbstverständliche Praxis der Gesprächseröffnung durch Handschlag ersetzen?

In einem Forschungsseminar beschäftigen Sie sich derzeit auch mit Corona?

Ja. Wir führen im Seminar eine Pilotstudie durch. Virologen sind im März unvermittelt aus ihrer fachlichen Nische herausgetreten. Von den Medien wurden sie regelrecht zu Stars aufgebaut. Seit Ende April gibt es verstärkt eine kritische Diskussion darüber, wie viel Einfluss Wissenschaft überhaupt auf politische Entscheidungen haben sollte. Die Virologen geraten zunehmend in die Kritik. Wir wollen uns den Vorwurf einer zu starken Vermischung der Sphären von Politik und Wissenschaft linguistisch anschauen. Am Beispiel von Jens Spahn und Christian Drosten untersuchen wir, ob sich gehäuft Kennzeichen politischer Sprache in den medialen Äußerungen des Virologen finden und welche Rolle umgekehrt sprachliche Merkmale der Fachwissenschaft in den Aussagen des Ministers spielen.