Corona Wie hart trifft die Krise den Osten?
Die Corona-Krise bremst die Wirtschaft. Die Abwanderung in die Großstädte könnte sie gar verzögern, sagt IWH-Präsident Reint Gropp.
Volksstimme: Herr Gropp, zehn Monate Corona-Krise liegen hinter uns. Wie stark hat die Pandemie den Osten wirtschaftlich getroffen?
Reint Gropp: Ganz klar ist das heute noch nicht. Es gibt aber gute Argumente anzunehmen, dass der Einbruch im Osten zumindest weniger stark ausfallen wird als im Westen. Die Wirtschaft ist hier kleinteiliger, ländlicher strukturiert, weniger stark vernetzt, es gibt eine geringere Reisetätigkeit. Faktoren, die die Wirtschaftsdynamik üblicherweise eher bremsen, erweisen sich in dieser Krise möglicherweise als nützlich. Außerdem ist der Anteil der Beschäftigten beim Staat mit sicheren Einkommen im Osten höher.
Werden wir im Frühjahr eine Insolvenzwelle erleben?
Wir sind der Meinung, dass wir einen großen Anstieg sehen werden, ja. Wir kommen von einem über Jahre abnehmenden Trend an Insolvenzen. Bislang haben sich die Lockdown-Beschränkungen paradoxerweise noch kaum abgebildet. Das liegt an Maßnahmen, die Firmenpleiten verhindern sollen, darunter direkte Staatszahlungen, Kreditgarantieren oder das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Für Letzteres gilt bereits seit Oktober wieder die Antragspflicht. Trotzdem sehen wir kaum Effekte im aktuellen Insolvenztrend unseres Instituts. Die Insolvenzwelle lässt noch auf sich warten und die Hilfen scheinen zu funktionieren – jedenfalls bis jetzt.
Welche Branchen sind besonders gefährdet?
Das sind natürlich Anbieter wie Restaurants, Hotels, Läden oder Dienstleister, die von Geschäftsöffnungen abhängig sind. Wenn diese jetzt mit dem zweiten Lockdown erneut ihre Kosten nicht einspielen, werden solche Unternehmen zunehmend Insolvenz anmelden müssen. Manche werden aber auch einfach aufgeben. So gibt es ältere Firmeninhaber, für die die Frage im Raum steht, ob sie angesparte Rücklagen jetzt noch mal investieren oder besser aufhören.
Apropros Rücklagen: Geben die Menschen in der Krise weniger aus?
Ja, das ist die andere Seite dieser Krise. Die Konsumenten haben deutlich mehr gespart als üblich. Insgesamt sind die Einlagen auf eine Summe gewachsen, die so hoch ist, wie alle staatlichen Hilfszahlungen in der Corona-Krise zusammengenommen – ungefähr 150 Milliarden Euro zwischen März und Dezember 2020.
Warum haben die Leute so viel gespart, wegen fehlender Gelegenheiten Geld auszugeben? Aus Verunsicherung?
Wir haben herausgefunden: Haupttreiber der Ersparnisse sind fehlende Möglichkeiten, Geld auszugeben und Angst vor Arbeitslosigkeit. Familien konnten nicht in den Urlaub fahren, das Essen im Restaurant fiel aus, Theater, Kino und Oper hatten geschlossen. Interessant ist die Frage, ob es dann Nachholeffekte geben wird, wenn die Krise vorbei ist. Vielleicht schon, aber der große Auslandsurlaub findet eher nur einmal im Jahr statt.
Zurück zu den Staatshilfen. Bremsen die nicht einen Strukturwandel aus, der ohnehin unvermeidbar ist?
Theoretisch versucht der Staat, nur Insolvenzen zu verhindern, die ohne die Krise nicht stattgefunden hätten. De facto bleiben aber doch auch Unternehmen beziehungsweise Geschäftsmodelle am Markt, die sonst verschwunden wären. Da bremsen Staatshilfen den Strukturwandel schon.
Zum Beispiel?
Unternehmen werden beispielsweise auch mittelfristig Geschäftsreisen organisieren, aber wahrscheinlich längst nicht mehr im selben Ausmaß wie vor der Corona-Krise. Die Business-Reise in die USA, nach Japan oder Südkorea dürfte künftig seltener werden. Das wiederum wird zu einem erheblichen Rückgang der Flugreisen führen. Die Lufthansa hat von solchen Geschäftsreisen gelebt. Da eine Trendumkehr nicht absehbar ist, halte ich die gewährte Staatsbeteiligung in Milliardenhöhe für die Lufthansa schon für fragwürdig.
Was ist mit der Krisen-Hilfe für den Innenstadthandel?
Sollte der Wechsel vom Geschäft zu Amazon und Co. permanent sein, steht natürlich auch das Schicksal der Innenstadtläden infrage. Ich persönlich kann mir allerdings gut vorstellen, dass die Menschen nach der Krise wieder in die Läden kommen. Das zeigen auch die ersten Statistiken vom Sommer. Der Innenstadthandel wurde schon oft für tot erklärt …
Sinken die Umsätze von Unternehmen, leiden auch die Kassen der Städte und Gemeinden. Wird die Corona-Pandemie die Krise kleinerer oder schwacher Kommunen im Osten weiter vertiefen?
Ich würde spekulieren, dass kleine oder strukturschwache Kommunen, die vor der Krise nur wenige Einnahmen hatten, auch in der Krise bislang wenig leiden. Bund und Länder gleichen Steuereinbrüche derzeit ja aus. Die Krise dürfte hier Probleme aktuell also kaum verschärfen. Interessant ist aber etwas anderes: Die Mieten sind zuletzt auf dem Land stärker als in den Städten gestiegen. Das kann als Indiz dafür gelten, dass die Corona-Krise die vorhandene Abwanderungsdynamik in die Großstädte verzögert hat. Anders gesagt: Wenn Menschen im Home-Office arbeiten und Ansteckungen fürchten müssen, könnten das Land und die Natur attraktiver werden, als ständig in einer Großstadt mit vielen Menschen eingespannt zu sein.
Wird der Trend Corona überdauern?
Eher nicht. In den vergangenen zehn Jahren sind die Menschen im Osten kontinuierlich in die großen Ballungsräume gezogen. Und zwar nicht aus anderen Großstädten, etwa aus dem Westen. Der Zuzug erfolgte fast ausschließlich aus dem ländlichen Raum der ostdeutschen Bundesländer. An dieser grundlegenden Tendenz dürfte sich wenig ändern.
Aber was, wenn neue Arbeitsmodelle wie Home-Office zu einem dauerhaften Phänomen würden?
Ich glaube, dass Home-Office auch nach der Krise viel häufiger genutzt wird. Ich kann mir aber für die meisten Berufszweige nicht vorstellen, dass Heimarbeit die Anwesenheit von Mitarbeitern permanent ersetzen kann. Wahrscheinlicher sind Wechselmodelle mit einigen Tagen pro Woche zuHause und einigen Tagen im Büro. Damit aber bleibt ein Wohnort nahe dem Arbeitgeber in der Stadt schon deshalb attraktiver als einer auf dem Land.
Was sind die Schlussfolgerungen für die Strukturpolitik? Sie hatten 2019 empfohlen, die Wirtschaftsförderung auf Ballungsräume zu beschränken, und dafür viel Widerspruch geerntet. Gilt Ihre Forderung von damals auch jetzt?
Es geht hier um zwei gegensätzliche Philosophien, wie Politik Geld verteilen sollte. Die erste lautet: Wir geben Geld dorthin, wo die Menschen hinziehen, um den zunehmenden Bedarf, zum Beispiel nach Kitas oder Straßen, dort zu befriedigen. Das ist im Moment in den Städten und deren Umfeld. Die zweite Philosophie ist hingegen: Wir investieren dort, wo alle wegziehen oder weggezogen sind, damit ein Teil der Menschen dableibt oder wieder zurückzieht.
Sie bevorzugen die Philosophie Nummer eins?
Ja, da bin ich eher auf der ersten Schiene. Man sollte mit staatlichem Geld dorthin zielen, wo die Leute schon sind oder sich offensichtlich hinbewegen. Wenn Sie sich etwa anschauen, wie groß der Bedarf an Infrastruktur für Bildung oder Gesundheit in Städten wie Leipzig oder Berlin ist, kommt es mir schon menschenverachtend vor zu sagen, ich ziele mit meiner staatlichen Förderung trotzdem auf den Strukturerhalt auf dem Land.
Kommt die Debatte auf konkrete Orte, hängt mehr daran als nackte Daten. In Sachsen-Anhalt gab es 2020 heftige Debatten um den Erhalt von Krankenhäusern auf dem Land. Treibt man die Leute nicht in die Arme von Populisten, wenn Menschen zusehen müssen, wie der Staat sich immer weiter aus der Fläche zurückzieht?
Der Stimmenanteil der AfD in einigen ländlichen Regionen ist sehr hoch. Ich bin mir nicht sicher, ob mehr Geld da helfen würde. Diese Wähler sagen ja oft: Mir geht es persönlich eigentlich gut, aber dem Land geht es schlecht, wegen der Flüchtlinge oder der Europäischen Union. Im Übrigen gibt es gute Argumente, statt vieler kleiner eher wenige große Krankenhäuser zu haben, in denen Ärzte mit viel Erfahrung auch in komplizierteren Fällen arbeiten.
Das Problem ist die Einstellung der Menschen?
Ich will es noch mal anders formulieren: Wenn ich in ländlichen Räumen mit viel Geld Straßen finanziere, bin ich nicht sicher, ob die Menschen deshalb SPD oder CDU wählen. Ich glaube eher nicht. Ich halte es daher für einen Fehler, Entscheidungen über staatliche Ausgaben von Spekulationen über Auswirkungen auf das Wahlverhalten abhängig zu machen. Ehrlicher wäre es einzugestehen: Man kann diese ländlichen Regionen oft nicht retten. Die Corona-Krise ändert das nicht.