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DDR-Geschichte BND hat auch Ost-Pakete durchsucht

25 Millionen Pakete wurden in den 1980er Jahren jährlich von West nach Ost geschickt. Auch der BND soll fleißig durchsucht haben.

Von Wolfgang Schulz 25.01.2018, 23:01

Magdeburg l In sehr vielen ostdeutschen Familien verbreiteten Pakete aus dem Westen bis zur Wende Freude und Hochstimmung. Besonders in der Vorweihnachtszeit konnten die DDR-Behörden der Paketflut kaum Herr werden, und das in doppelter Hinsicht. Zum einen war der logistische Aufwand beträchtlich, zum anderen hatten Post, Zoll und Stasi alle Hände voll zu tun, um zwischen Kaffee, Schokolade und Seife unerwünschte Dinge des Klassenfeindes herauszufischen. Denn dass alle Westpakete auf das Genaueste kontrolliert wurden, war ein offenes Geheimnis.

Andererseits gab es auch viele DDR-Familien, die aus Dankbarkeit und dem Gefühl heraus, nicht nur der Nehmende sein zu wollen, Pakete für die Bekannten und Verwandten im Westen schnürten. Meist waren das kunstgewerbliche Gegenstände, regionale Spezialitäten, Kalender und Literatur, oft als Bückware und teuer erstanden, die auf den Postweg in die Bundesrepublik gebracht wurden. Was auf diesem Weg passierte, damit hat sich erstmals Konstanze Soch an der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität in ihrer Doktorarbeit „Ostpaket und Westpaket: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte“ beschäftigt und dabei eine überraschende Entdeckung gemacht.

„Wenn man von Kontrollen der Pakete spricht – im Alltag, aber auch in der Forschung –, wird meist davon ausgegangen, dass die DDR kontrolliert hat“, sagt die 29-Jährige. Dass die Bundesrepublik auch kontrolliert haben könnte, sei bis dato im Dunkeln gewesen, seit 2014 waren höchstens Kontrollen bei Briefen bekannt. „Ich konnte in meiner Dissertation erstmals zeigen, dass Kontrollen auch bei den Päckchen und Paketen ganz massiv waren.“ Ihren Recherchen zufolge haben der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND) jährlich mehrere tausend Päckchen und Pakete geöffnet. „Damit wollten die westdeutschen Behörden vor allem fremde Agenten und Spione enttarnen“, sagt Soch. „In mindestens zwei Fällen haben die Kontrollen sogar nachweislich zur Enttarnung von Agenten geführt.“

In ihrer Forschungsarbeit durchstöberte Konstanze Soch mehrere Archive, sichtete ungezählte Dokumente und interviewte 40 Zeitzeugen aus Ost und West. Leider sei die Quellenlage noch sehr dünn, bedauert sie. Aufgrund des Bundesarchivbestandsgesetzes könne man noch nicht alles einsehen. „Aber ich habe unter anderem mit einem Zeitzeugen gesprochen, der selber kontrolliert hat.“ Der habe gesagt, dass vor allem in den 1960er Jahren die Kontrollen wirklich massiv eingesetzt worden seien. „Aber das wurde in der Bundesrepublik auf keinen Fall publik gemacht“ und trage noch heute zu dem Bild bei: Der Westen schickt unkontrollierte Pakete, der Osten nimmt nur und kontrolliert. „Da ist es ganz schön, wenn man durch das Forschen Licht ins Dunkel bringen kann.“

Soch fand heraus, dass zwischen 1961 und 1989 täglich getarnte Lkw von MAD und BND in sogenannte Aussonderungsstellen für Postsendungen aus der DDR gefahren sind, die es an vier Standorten gegeben hat: Hamburg, Hannover, Bad Hersfeld und Hof. Dort hätten die Geheimdienstmitarbeiter die Postsendungen abgeholt, die eingeweihte Postmitarbeiter vorsortiert hätten. An einem anderen Ort seien die Päckchen und Pakete dann von den Geheimdienstlern geöffnet und deren Inhalte katalogisiert worden. „Zur Hochphase der Kontrollen in den 1960er Jahren sind allein am Standort Hannover 2000 Briefe sowie 40 bis 100 Pakete täglich geöffnet worden“, recherchierte die Historikerin. Dabei seien vor allem Bücher von Interesse gewesen, weil es bestimmte Verschlüsselungsmethoden für Bücher gebe. „Das heißt, es wurden bei Kontrollen alle Informatioen zu den Büchern aufgeschrieben, so welche Auflage, welche Seitenzahl, wie heißt der Autor, um eventuelle Spione zu enttarnen.“

Selbst die Abgeordneten des Bundestages seien mehrheitlich nicht über die Kontrollen informiert gewesen, sagt Soch, und schlussfolgert in ihrer Doktorarbeit, dass weder im Osten noch im Westen die Kontrollen der Päckchen und Pakete „rechtskonform“ gewesen seien. Die DDR hatte bereits 1954 die „Verordnung über den Geschenkpaket- und –päckchenverkehr auf dem Postweg mit Westdeutschland, Westberlin und dem Ausland“ (GVO) erlassen und reglementierte damit den Inhalt der Pakete. „Geschenksendung – keine Handelsware“ musste auf jedem Päckchen und Paket vermerkt werden.

In großem Umfang wurden die ein- und ausgehenden Päckchen und Pakete durch die DDR kontrolliert. Zum Ende der DDR waren es jährlich rund 4000 Westpakete, die täglich in jedem der 14 DDR-Bezirke kontrolliert werden mussten. Fließbandarbeit - Post, Zoll und Staatssicherheit arbeiteten dabei Hand in Hand. Vor Weihnachten wurden sogar regelmäßig Aushilfskräfte - Studenten, Lehrlinge, nichtberufstätige Frauen – eingesetzt. Sie wurden im Volksmund als „Knüpperfrauen“ bezeichnet, weil die Pakete damals mit Bindfäden verschnürt waren und mühsam aufgeknotet werden mussten.

Alle Päckchen und Pakete in der DDR durchliefen zunächst eine Röntgenkontrolle. Wurde hier etwas Auffälliges festgestellt, kam es zur Inhaltskontrolle. Die Paketöffnung selbst erfolgte aufgrund des bestehenden Postgeheimnisses durch Mitarbeiter der Post. Der Entschluss zur Beschlagnahme von verbotenen Gegenständen wie Geld, Medikamenten, Zeitschriften erfolgte dann durch Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Auch in der Bundesrepublik stellten die angeordneten Überprüfungen eine Verletzung des Postgeheimnisses nach Artikel 10 des Grundgesetzes dar. Lange Zeit sei intern gerungen worden, heißt es in der Dissertation von Konstanze Soch, inwiefern diese Aufweichung legitim sei. Offiziell leugnete die Bundesregierung die Überprüfung von privaten Sendungen.

Die Aufdeckung der Kontrollen von Paketen durch Westbehörden ist jedoch nur ein Teil der Doktorarbeit von Konstanze Soch. Die Millionen von Paketen, die über drei Generationen hinweg nach Kriegsende bis 1989 die innerdeutsche Grenze passierten, hätten wie kein anderer Gegenstand die direkte Kommunikation zwischen Ost- und Westdeutschland ermöglicht. „Die Untersuchung führt somit direkt in das Herz der Abgrenzungs- und Annäherungsversuche beider deutscher Staaten und dadurch unmittelbar in die politischen Kulturen im geteilten Deutschland“, fasst die Historikerin zusammen.

Die Forschungsarbeit wird voraussichtlich im kommenden Juni beim Campus-Verlag unter dem Titel „Eine große Freude? Der innerdeutsche Paketverkehr im Kalten Krieg (1949-1989)“ erscheinen.

Bereits am kommenden Montag wird Konstanze Soch ihre Arbeit in der Vortragsreihe „Wissenschaft im Rathaus“ um 19 Uhr im Magdeburger „Alten Rathaus“ vorstellen.