Jerichower Land Der Aufdecker des Müllskandals
Bisher hat er geschwiegen - doch in der Volksstimme lüftet Detektiv Tamer Bakiner nun exklusiv das Geheimnis, wie er den Müllskandal in Sachsen-Anhalt aufgedeckt hat. Der Enthüllung folgten Drohanrufe.
Magdeburg l 18 Stunden lang hat er im Dreck gelegen. Tag für Tag. Kalt ist es gewesen. Und eklig nass. Das war kein angenehmer Winter im Jerichower Land. Doch das Schlimmste war dieser bestialische Gestank. Er war so stechend, dass es weh tat, durch die Nase zu atmen. "Den Geruch werde ich mein Leben lang nicht vergessen", sagt Tamer Bakiner. Heute lacht der Detektiv darüber. Doch damals, Ende des Jahres 2007, war das gar nicht lustig. Die Observation war ein Knochenjob.
Vor seinem inneren Auge sieht Tamer Bakiner die riesigen Müllmengen in der Tongrube Vehlitz noch deutlich vor sich. Doch bis er den Müll in dem kleinen Ortsteil Gommerns endlich gefunden hatte, waren Monate vergangen.
Es klang erst einmal nicht spektakulär, als sich im Sommer 2007 ein großer Energiekonzern bei Bakiners Detektei gemeldet hatte. Dessen Müllverbrennungsanlagen waren plötzlich nicht mehr ausgelastet. Der Verdacht des Unternehmens: Der Müll wird irgendwo illegal entsorgt, möglicherweise in Ostdeutschland.
Bakiner arbeitete sich in das Müllgeschäft ein: Er traf Experten, recherchierte Müll-Routen. Wo brachten die Speditionen den Müll hin? Stundenlang hat er Lkw in ganz Deutschland verfolgt. "Das waren die mühsamsten Observationen, die ich je hatte", sagt der 43-Jährige heute. "Einen Lkw bei Tag und Nacht über Autobahnen, Landstraßen, Dörfer ewig lang bei Tempo 80 zu verfolgen, ohne dabei aufzufliegen, ist richtig schwer."
Immer wieder ist der Detektiv an Notrufsäulen, Park- und Rastplätzen rangefahren, hat kurz gewartet und sich dann an den Lkw drangehängt. Licht aus, Licht an, zurückfallen lassen, überholen. Eine gefühlte Ewigkeit ist das so gegangen - bis ihn eine Tour ins Jerichower Land führte. An einem Septembermorgen stand Bakiner plötzlich an der Tongrube in Vehlitz.
Vor Ort informierte sich der Detektiv über den Betreiber der Grube, die Sporkenbach Ziegelei GmbH Möckern. Dass in Vehlitz Ton abgebaut und stattdessen Abfälle eingelagert wurden, war offensichtlich. "Doch was die da reingekippt haben, hat uns schockiert. Es war mit bloßem Auge zu erkennen, dass sich in dem geschredderten Müll ein viel zu hoher Kunststoffanteil befand."
In Tongruben dürfen seit dem Jahr 2005 nur noch mineralische Abfälle eingebracht werden: Bauschutt, Steine, Erde. Plastikmüll, der nicht verrottet und das Grundwasser belasten kann, muss verbrannt werden. Bakiners Auftraggeber hat für die Verbrennung einer Tonne Müll etwa 100 Euro kassiert. Der Detektiv fand heraus: Im Jerichower Land wurde eine Tonne Hausmüll für rund 30 Euro entsorgt. "Die Müllmafia hat mit dem Geschäft in Vehlitz Millionen verdient", sagt Tamer Bakiner.
"Die Müllmafia hat mit dem Geschäft in Vehlitz Millionen verdient."
Bis heute ist umstritten, ob die rund 900000 Tonnen Hausmüll in Vehlitz hätten verfüllt werden dürfen. Die Staatsanwaltschaft hält die Entsorgung für illegal, der Grubenbetreiber verweist auf eine entsprechende Genehmigung des Landesamtes für Bergbau und Geologie aus dem Jahr 2004. Die Eröffnung des Verfahrens gegen die Tongrubenbetreiber hat das Landgericht Stendal Ende März vorerst abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde eingelegt. Nun muss das Oberlandesgericht Naumburg entscheiden.
Dass es einmal zu einer so langen juristischen Auseinandersetzung kommen würde, war für Bakiner und sein Team im Herbst 2007 nicht abzusehen. Nachdem der Detektiv die Tongrube entdeckt hatte, begann eine monatelange Dokumentation. "Wir mussten herausfinden, welche Mengen hier verfüllt wurden. Also haben wir jede Ladung protokolliert und uns die Namen der Anlieferer besorgt und an den Auftraggeber übermittelt."
Bis zu 80 Lkw haben pro Tag ihren teilweise klein geschredderten Müll abgekippt. Aus ein paar hundert Metern Entfernung fotografierten die Ermittler die Vorgänge mit einem großen Tele-Objektiv - verschanzt unter einer großen Plane. "Im Herbst hatten wir eine graue, im Winter eine weiße. Im Baumarkt bekommt man eigentlich fast alles, um sich gut zu tarnen", erklärt Bakiner.
"Wir konnten in kein Hotel gehen, weil wir so gestunken haben."
Um nicht von den Hunden der stündlich patrouillierenden Sicherheitskräfte entdeckt zu werden, hatten sich die Männer zusätzlich mit einer stinkenden Brühe eingeschmiert.
Bakiner arbeitet nur mit Spezialisten zusammen. Sein Team muss perfekt vorbereitet sein. Nach Vehlitz hat er Fotografen, gute Observierer und den "Mutigen", wie er ihn nennt, beordert. Letzterer hat sich nachts in die Tongrube geschlichen, um Proben zu sammeln. "Jeder Spaziergänger, Jogger, Hundeausführer konnte ohne Weiteres an die Tongrube gelangen, es waren keine Absperrungen oder Sicherheitszäune vorhanden", so der Detektiv. Die Stoffanalyse im Labor ergibt später: "Das Material besteht aus Hartkunststoffstücken, die sehr heizwertreich und nicht für die Deponierung geeignet sind."
Bei der Sammlung dieser Proben ist der "Mutige" einmal metertief in die Grube abgestürzt. Doch dank des weichen Mülls blieb er unverletzt. "Der geschredderte Müll war ganz komisch weich, wie Watte. Das war ein bisschen wie bei Frau Holle", erinnert sich Tamer Bakiner. Doch sein Team hat nicht nur geschredderten Müll vorgefunden. "Sondern auch jeden anderen Scheiß. Reste von Kanülen, Spritzen, Einweghandschuhe hat der Schredder nicht kleingekriegt. Das hätte niemals in die Grube gedurft."
Lange ausgehalten hat es auf dem Müll keiner von Bakiners Leuten. "Ich kann wirklich viel ab. Aber das hat dort so dermaßen gestunken. Das war einfach nur heftig", erzählt der Wirtschaftsermittler.
"Gummistiefel haben wir in einer Autowaschanlage saubergespritzt."
Oft war Bakiners Team von 6 Uhr morgens bis Mitternacht an der Grube. Gestank und Dreck fraßen sich in die Klamotten. "Wir konnten in kein Hotel gehen, weil wir so gestunken haben. Die haben uns keine Zimmer gegeben", erinnert er sich. "Gummistiefel und Schutzhosen haben wir dann erstmal mit einem Hochdruckreiniger in einer Autowaschanlage sauberspritzen müssen." Abends hatte Bakiner oft ein solches Reizgefühl im Hals, dass er minutenlange Hustenanfälle bekam. Wenn es geregnet oder geschneit hat und der Müll dadurch aufgeweicht worden ist, wurde der Gestank noch schlimmer. "Wie die Arbeiter das in der Grube ohne Mundschutz ausgehalten haben, ist mir ein Rätsel."
Durch die wochenlange Beobachtung setzte sich das Müll-Puzzle langsam zusammen. Ab Februar 2008 wussten die Ermittler, welche Materialien in Vehlitz verfüllt worden sind und wer den Müll anlieferte. Was Bakiner heute noch wundert: "Wir haben die Tongrube ein halbes Jahr observiert und in dieser Zeit nicht einmal eine Behörde gesehen, die dort Kontrollen durchgeführt hat."
Ähnlich war es an anderen Gruben. Bakiners Recherchen führten ihn auch nach Halle und nach Sachsen. Dort fanden sie ganze Säcke mit ungeschreddertem Hausmüll, Holz und sogar giftigen Bausubstanzen. In Möckern, der zweiten Tongrube im Jerichower Land, war bereits eine Erdschicht über dem Müll aufgetragen worden. "Wenn es dort anfing zu regnen, sind plötzlich Gase von unten hochgekommen. Dann hat der ganze Boden geblubbert und gedampft. Ich bin dort stellenweise mit meinen Gummistiefeln eingesunken und steckengeblieben", erinnert sich der Detektiv. Er schüttelt ungläubig den Kopf.
"Die Stimme hat nur gesagt: `Steck deine Nase nicht überall rein.`"
Im März 2008 hat er seine Ermittlungen beendet. Der Auftraggeber leitete die Ergebnisse an die Staatsanwaltschaft weiter. Für Bakiner war der Fall damit jedoch nicht abgeschlossen: Nachdem ein Fernsehteam darüber berichtet hatte, bekam er Drohungen. "Die Stimme am Telefon hat nur gesagt: `Steck deine Nase nicht überall rein. Pass auf, was du machst, Bakiner`", sagt der 43-Jährige. Woher der Anrufer seine Privatnummer hatte, weiß er nicht. Bakiner weiß nur: "Ich habe ein sehr lukratives Geschäft zerstört. Klar, dass da jemand auch richtig sauer ist. Aber meine Auftraggeber haben sich gefreut: Ihre Müllverbrennungsanlagen waren wieder ausgelastet."
Trotz der spektakulären Enthüllung hat der Detektiv Interviews jahrelang abgelehnt. Das wichtigste in seiner Branche ist es, unerkannt zu bleiben. Doch jetzt, nach 18 Jahren Ermittlungsarbeit, will Bakiner nicht mehr 18 Stunden am Tag im Dreck rumliegen. Er zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück und übernimmt die strategische Planung. Auch ein Buch hat er geschrieben.
Für seine Detektei war die Aufklärung des Müllskandals ein Glücksfall. "Wir sind dadurch noch bekannter geworden und haben renommierte Kunden gewonnen", sagt er. Ganz abgehakt hat der Detektiv die Vorgänge bis heute nicht. Er fragt sich immer noch, wie sich illegale Müllentsorgung verhindern lässt. Eine Antwort hat Bakiner bisher nicht gefunden.