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Hoffnungsträger Der Corona-Impfstoff aus Sachsen-Anhalt

Es ist der große Hoffnungsanker zum Ende dieses Corona-Jahres: Ein Impfstoff. Auch zwei Unternehmen aus Sachsen-Anhalt sind mit im Rennen.

24.11.2020, 05:12

Dessau-Roßlau l Das Firmengelände von IDT Biologika am nördlichen Stadtrand von Dessau-Roßlau erinnert an ein Hochsicherheitsgefängnis. Mehrere, im Laufe von Jahrzehnten hinzu gebaute Gebäude sind mit hohen Zäunen umgeben. Durch große Stahltore innerhalb des riesigen Terrains kommt nur, wer die richtige Chipkarte hat.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Ministerpräsident Reiner Haseloff (beide CDU) hatten sich an diesem sonnigen Morgen gemeinsam zur Stippvisite bei IDT angemeldet. Sie besichtigen einen Vormittag lang Labore, lassen sich – geschützt hinter dicken Scheiben – von Mitarbeitern in grünen Infektionsschutzanzügen Arbeitsabläufe und Apparaturen erklären. IDT – derzeit 1400 Mitarbeiter – mag selbst vielen Sachsen-Anhaltern kaum bekannt sein. Nicht so Spahn. „Dessau kennt man. Die spielen hier bei der Impfstoff-entwicklung in der Weltliga vorn mit“, sagt er im Anschluss an den Rundgang. Und Haseloff ergänzt: „Dass es in Mitteleuropa keine Tollwut mehr gibt, hat maßgeblich mit Dessau zu tun.“ Und weil das Vertrauen so groß ist, hat der Bund in Dessau schon Corona-Impfstoff – eine Eigenentwicklung – eingekauft, obwohl das Produkt noch in der Testphase steckt.

Fünf Millionen Impfdosen orderte der Bund bereits, angezahlt mit 30 Millionen Euro. Die sollen nun in eine hochmoderne Produktionsstrecke fließen, auf der ab 2023 32.000 Impfdöschen pro Stunde abgefüllt werden können. Eine Anlage für die Pandemien der Zukunft. Der in Dessau entwickelte Corona-Impfstoff soll ab Mitte 2021 produziert werden. Derzeit geht gerade die Phase-1-Test-Reihe auf ihr Ende zu. In der zweiten Jahreshälfte 2021 soll der Impfstoff nach den Phase-3-Tests einsatzfähig sein.

Im Gegensatz zu dem von Biontech in Mainz entwickelten Impfstoff muss das Dessauer Serum offenbar nicht bei extremen minus 70 Grad Celsius aufbewahrt werden. „Wir haben unseren Impfstoff bei minus 2 bis minus 8 Grad und sogar bei Zimmertemperatur sechs Tage lang stabil halten können“, erzählt Dr. Andreas Neubert, wissenschaftlicher Leiter bei IDT. Es handelt sich um einen sogenannten Vektor-Impfstoff. Harmlose Viren dienen dabei als Vektor, um das genetische Material eines SARS-CoV2-Erregers in die Zielzellen einzuschleusen. Dr. Neubert: „Der virale Vektor kann sich nicht vermehren. Aber die eingeschleuste DNA-Sequenz – das ist das Bauteil des Coronavirus – kann eine Infektion vorgaukeln. Das löst die Produktion von Antikörpern aus.“

Aber besteht nicht die Gefahr, dass sich das Coronavirus ähnlich wie bei der saisonalen Grippe so verändert, dass der Impfstoff irgendwann seine Wirkung verliert? Vielleicht gibt es das Coronavirus Ende 2021 in der jetzigen Art gar nicht mehr, wenn Millionen Impfdosen vom Band laufen? Der Wissenschaftler schüttelt mit dem Kopf. „Mit Grippe-Viren ist das nicht vergleichbar. Glücklicherweise sehen wir bislang, wenn überhaupt, nur geringfügige Veränderungen am Virus, wie jetzt im Zusammenhang mit den Nerz-Mutationen in Dänemark“, so Neubert. Seine Wirksamkeit verliere der Impfstoff dadurch nicht.

Bei einem Vektor-Impfstoff wie den aus Dessau, der logistisch leicht zu händeln wäre, sieht Gesundheitsminister Spahn auch die Möglichkeit, ihn in normalen Hausarztpraxen zu verabreichen. „Die Ärzteschaft leistet da beim Grippeschutz mit über 20 Millionen Impfungen im Jahr einen wichtigen Beitrag. Ähnlich wäre das auch bei Corona-Impfungen möglich.“ Hinzu kämen die derzeit im Aufbau befindlichen Impfzentren und der Einsatz von mobilen Impfteams von Ärzten, die zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen impfen.

Losgehen könnte es – die Genehmigung in der EU vorausgesetzt – schon Mitte Dezember. Bis dahin sollen in Sachsen-Anhalt 14 Impfzentren arbeitsfähig sein. Und wie erfährt der Bürger in den nächsten Monaten, wann er dran ist? Kommt ein Brief vom Ordnungsamt, wo man sich einzufinden hat? Der Gesundheitsminister blickt etwas böse durch seine große Brille: „Niemand muss sich irgendwo einfinden!“ Man sei über Benachrichtigungsformen im Gespräch. „Wir werden die Termin-Servicestellen in den Ländern und die dort zur Verfügung stehenden Daten wie etwa Telefonnummern nutzen, um die Bevölkerungsgruppen nach und nach zu informieren“, so Spahn.

Früher als in Dessau-Roßlau soll die Produktion eines zugelassenen Impfstoffs in Brehna (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) beginnen. Das Unternehmen Dermapharm soll dort bald den aussichtsreichen Corona-Impfstoff von Biontech produzieren. Das Arzneimittelwerk Brehna ist einer von mehreren vorgesehenen Produktionsstandorten. Biontech will im kommenden Jahr 1,3 Milliarden Dosen seines Impfstoffs herstellen lassen. Losgehen soll es schon in den kommenden Wochen. In Brehna ist dafür laut Hans-Georg Feldmeier alles vorbereitet. „Wir können von heute auf morgen beginnen“, sagt der Dermapharm-Chef. Eine kleinere Menge des Impfstoffs hätten sie bereits produziert, um den Qualitätsstandard nachzuweisen, berichtet er. Nun liege eine Herstellungserlaubnis vor. Die Mitarbeiterzahl im Arzneimittelwerk Brehna soll für die Impfstoffproduktion wachsen. Feldmeier spricht von einer „Aufstockung im niedrigen zweistelligen Bereich“. Aktuell arbeiten im Arzneimittelwerk rund 600 Menschen.

Spezielle Investitionen für die Impfstoffproduktion sind laut Feldmeier in Brehna nicht nötig gewesen, obwohl das Unternehmen dort bislang keine Impfstoffe hergestellt hat. „Wir haben eine besondere Expertise bei der Verarbeitung steriler Arzneimittel“, sagt Feldmeier. Weil das dort produzierte Sortiment groß sei, könne man flexibel auf neue Aufträge reagieren, berichtet der Unternehmenschef.

Seit dem Jahr 2003 gibt es den Standort in Brehna. Einst waren dort 30 Mitarbeiter beschäftigt, heute ist es der Hauptproduktionsstandort von Dermapharm. Auch Feldmeier hat sein Büro in Sachsen-Anhalt. Sitz des Unternehmens ist aber nach wie vor Grünwald bei München.

Spezialisiert ist Dermapharm auf die Herstellung von patentfreien Arzneimitteln. Wie Feldmeier berichtet, stelle das Unternehmen in Brehna aus etwa 250 Arzneistoffen rund 2500 verschiedene Verkaufsartikel her. Die Tabletten, Salben, Kapseln oder Ampullen sollen gegen verschiedenste Leiden wirken. „Mit unserer Vielfalt sind wir einmalig“, sagt Feldmeier. Im vergangenen Jahr investierte das Unternehmen in Brehna rund elf Millionen Euro in ein Versandzentrum.

Feldmeier will die Corona-Pandemie mit Blick auf seine Branche auch als „Weckruf“ verstanden wissen. Gerade zeige sich, wie wichtig es sei, auch in Europa Arzneimittel zu produzieren und nicht alles nach Asien auszulagern. „Wir gehören zur kritischen Infrastruktur“, sagt Feldmeier, der im kommenden Monat das Amt des Präsidenten des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie übernehmen will. „Wir stehen zum Standort Deutschland“, betont der Unternehmenschef.