Gesangsausbildung Der Magie des Domes erlegen
Sabine Lattorf bringt Kindern in der Magdeburger Domsingschule die Chortradition nahe.
Magdeburg l Fast zwei Meter sind die Mauern dick. Ein eher schmuckloser Raum mit einem farbenfrohen Kruzifix zeigt sich funktional. An der Decke hängen Schallsegel, Notenblätter füllen die Regale und mittendrin steht ein Klavier. An diesem Ort direkt hinter dem Remter des Magdeburger Doms proben seit Jahrzehnten die Sänger des Gotteshauses. Von dem einen, einheitlichen Domchor kann allerdings nicht die Rede sein. Der imposante, traditionsreiche Klangkörper besteht letztendlich aus zahlreichen Facetten: die Junge Kantorei gehört beispielsweise ebenso dazu wie der Motteten- und der Oratorienchor. Alle tragen dazu bei, den Sakralbau bei Gottesdiensten oder Konzerten zum Klingen zu bringen.
Ohne die klassische Nachwuchsarbeit wäre die Kontinuität kaum zu sichern. Mehrmals in der Woche gehört deshalb der Probenraum den jüngsten Elbestädtern. Sie besuchen die Domsingeschule, lernen dort nachmittags mit Feuereifer mit Noten umzugehen und immer den richtigen Ton zu treffen.
Die vergangenen vier Wochen waren für die knapp 50 „Zwerge“ besonders anstrengend. Für einen Auftritt beim 19. Deutschen Chorfestival galt es ein Programm einzustudieren. Unter dem Thema „Welt in Atem“ kommen 34 Klangkörper aus ganz Deutschland mit mehr als 1000 Sängern an diesem Wochenende in die Elbestadt. Für die Eleven der Domsingeschule eine gute Möglichkeit, sich am Sonntag einem großen Publikum beim Familienkonzert auf der Terrasse des Gesellschaftshauses vorzustellen (15.30 Uhr).
Am Sonnabend saßen die Mädchen und Jungen gemeinsam dicht gedrängt im Probenraum. Auf den Knien lagen die Noten und Texte des Kindermusicals „Max und die Käsebande“. Nicht einmal ein Monat blieb Zeit, um einen Ausschnitt daraus einzustudieren, bedauert Sabine Lattorf, die Leiterin der Domsingeschule, da war ein zusätzlicher Probentag einfach unverzichtbar. Kurzfristig habe man sich auf die anderen teilnehmenden Chöre und den Auftritt unter freiem Himmel eingestellt. Leise Töne des ursprünglich geplanten Programms hätten da wenig Chancen gehabt.
Konzentriert wird wie immer an jeder einzelnen Passage gearbeitet. Sabine Lattorf ist streng, hat ihre Augen offen, fordert mit ihrer Freundlichkeit. „Ich möchte sehen, wie sich die Lippen bewegen“, hört die „Rasselbande“ regelmäßig von ihr. Manchmal sei es, wie einen Sack Flöhe zu hüten, erzählt sie mit einem gewinnenden Lächeln. Sie hat Verständnis, dass die Mädchen und Jungen durchaus ins Freie schielen, nach einem langen Tag in der Schule auch abgelenkt sind. Und sie weiß um die beachtlichen Leistungen der Sieben- bis Zwölfjährigen. Viel Fingerspitzengefühl sei notwendig, um sie bei der Stange zu halten. Lange habe sie die richtige Methode gesucht, um den besten Erfolg zu erzielen. Grundlage des „Musik Lernens“ ist bei ihr die „Ward-Methode“, die von der amerikanischen Musikpädagogin Justine Bayard Ward entwickelt wurde. Die Kinder lernen sich dabei musikalisch mit der gleichen Selbstverständlichkeit auszudrücken wie in der Sprache. Musikalische Erfahrungen werden dabei vor allem durch das Singen und durch Bewegungen, den Einsatz des Körpers, vermittelt. Der Erfolg gibt der 50-Jährigen Recht. Und das liegt kaum an den Gummibärchen, die nach den Proben als kleine Belohnung hochbegehrt sind.
Als Heranwachsende kam sie schon früh mit der Musik in Berührung, lernte die Blockflöte zu spielen. Mit ihrem älteren Bruder sang die Neunjährige selbst schon im Domchor. Schließlich der Schritt nach Wernigerode und die gründliche musikalische Ausbildung im renommierten Rundfunk-Jugendchor. Das habe geprägt, auch die Fähigkeiten als Chorleiter entwickelt.
Trotzdem verlief nicht alles glatt, schließlich die Berufsausbildung zur Krankenschwester in einem kirchlichen Krankenhaus. Wenig Zeit blieb für das eigene Musizieren, Brahms, Mozart und Schubert hatten Pause.
Irgendwann nach der Wende kam Sabine Lattorf zurück in ihre Heimatstadt Magdeburg. Ihre Tochter fand den Weg in den Domchor und die Mutter hatte erste Kontakte zu Domkantor Barry Jordan.
Jordan nahm sie mit zu einer Visitation der defekten Orgel in der Ottersleber Kirche. Und die Gespräche rund um die Musik ließen die alte Leidenschaft wieder aufflammen. Die beiden fanden eine gemeinsame Sprache und die junge Frau wieder Lust am eigenen Musizieren. Zu Fortbildungen reiste sie dann quer durch ganz Deutschland, studierte schließlich in Halle an der Saale Kirchenmusik. Es waren die Mühen der Ebene, die viel Idealismus erforderten. Der Dom als „wunderbarer Ort“ hatte seine Magie entfaltet und dessen Singeschule vor nunmehr 20 Jahren seine neue Leiterin gefunden.
Musik spielte in der Kathedrale immer eine wichtige Rolle. Das Chorsingen dort geht bis in die Zeit Kaiser Otto des Großen zurück, der liturgische Gesang war ein tragendes Element der Gottesdienste, an dem die Chorknaben mitwirkten. In der damals gegründeten Domschule gehörte die „ars musica“ als eine der sieben freien Künste zum Unterricht. Mit der Reformation veränderte sich die Funktion der Musik im Gottesdienst. 1567 trat das Domkapitel zum evangelischen Glauben über. 1618 kamen Michael Praetorius und Heinrich Schütz, beide bedeutende Komponisten, auf Einladung des Domkapitels nach Magdeburg, um an der Erneuerung der Kirchenmusik mitzuwirken. Der Dreißigjährige Krieg führte zu einer Zwangspause. Erst 1686 entstand der Domchor als „chorus symphoniacus“ neu und ab 1693 lernte Georg Philipp Telemann an der Domschule, der im Singen die Grundlage allen Musizierens sah. Im 20. Jahrhundert prägten neben anderen Gerhard Bremsteller und Günther Hoff die Musik am Dom. Gleich nach der Wende reisten die Sänger zu Konzerten nach Israel.
Man spürt beim Gespräch mit Sabine Lattorf ein wenig der Ehrfurcht vor der langen Tradition. Das mache stets aufs Neue Lust, den Jüngsten die Liebe zur Musik zu wecken. „Sicher gelingt das nicht immer“, räumt sie ein. Doch viele von denen, die sich zur Domsingeschule anmelden, blieben bei der Stange. Und mit spürbarem Erfolg. „Immer zu Weihnachten zeigen meine Mädchen und Jungen, was in ihnen steckt, treten dann gemeinsam mit den Großen auf. Es ist einfach toll“, versichert Lattorf. Dass dies auch ihr Erfolg ist, scheint Nebensache zu sein. Sie will den Mädchen und Jungen Freude am Singen vermitteln. Das tut sie auch als Lehrerin an der Domgrundschule und dem Domgymnasium.