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Reimann-Haus Die Stille nach dem Abriss

Das baufällige Geburtshaus Brigitte Reimanns in Burg wurde vor einem Jahr abgerissen. Doch wie geht es weiter?

Von Juliane Just 11.04.2018, 01:01

Burg l Es ist der 13. April 2017. Aus der Burger Bahnhofstraße rücken die Abrissbagger ab. Nach und nach legt sich die Staubwolke. Am Ende sind vom Geburtshaus Brigitte Reimanns nur noch Trümmer übrig.

Was bleibt heute, ein Jahr später, von der gebürtigen Burgerin, einer der wichtigsten DDR-Autorinnen? An der Brache ist eine Gedenktafel in den Fußgängerweg eingelassen. Und weiter? „Ach, das Reimann-Haus – das interessiert in Burg doch niemanden mehr“, sagt eine von zwei älteren Damen in der Bahnhofstraße. „Das Haus war alt. Gut, dass es weg ist. Fragen Sie doch lieber mal, warum der Platz da vorn in Helmut-Kohl-Platz umbenannt werden soll oder warum wir als Rentner bei der Laga voll bezahlen sollen? Das sind Aufreger“, ergänzt die Seniorin.

Andere sind fassungslos, wenn sie an die Umstände des Abrisses zurückdenken, etwa Roland Stauf, Vorstandsmitglied der Brigitte-Reimann-Gesellschaft. „Bis zum Schluss haben wir dafür gekämpft, diesen authentischen Ort für die Nachwelt zu erhalten. Es ist uns nicht gelungen. Das ist mehr als bedauerlich“, sagt der gebürtige Burger.

Auch Dominik Patté, Burger Stadtrat und Sprecher des Burger Kulturstammtisches, spart nicht mit Kritik. „Das Haus wäre mit Aufwand zu retten gewesen“, ist er überzeugt. „Mangelnde Kommunikation, Fehleinschätzungen und falsche Abrisstechnologien“ hätten letzendlich zum Abriss geführt.

„Man hätte das Haus aus bautechnischer Sicht retten können“, ist auch Klaus Wegner überzeugt. Der Ingenieur wurde schon einige Zeit vor dem Abriss hinzugezogen, um eine Notsicherung auszuloten. Nach seiner Einschätzung hätte das mehr als 100.000 Euro gekostet. Der Landkreis entschied sich dagegen.

Was genau war eigentlich geschehen? Anfang 2017 ist das Haus bereits in schlechtem Zustand. Durch das löchrige Dach läuft seit Jahren Wasser. Der Hausschwamm frisst sich durch das Gebälk. Der Eigentümer des Gebäudes ist unbekannt.

Anfang März 2017 überschlagen sich die Ereignisse. An das Reimann-Haus schließt ein baufälliges Gebäude an, dessen Hinterhaus weichen soll. Doch plötzlich ist die Standsicherheit des gesamten Hauses gefährdet – Abriss unumgänglich. „Verbindungen von tragenden Bauteilen und Decken zwischen beiden Gebäudeteilen“ sind nicht berücksichtigt worden, urteilt der zuständige Prüfstatiker. In einer Pressemitteilung gibt der Landkreis für das kulturhistorisch angrenzende Reimann-Haus zunächst Entwarnung: „Keine Einsturzgefahr“, heißt es dort. Eine Randnotiz indes lässt aufhorchen: „Ohne Sanierung“ könne ein Abriss in einem Jahr notwendig werden.

Bürgermeister Jörg Rehbaum und die Stadt Burg werden nun aktiv, suchen unter Hochdruck nach Investoren, Konzepten, Lösungen – vergeblich.

Die Uhr tickt schneller als erwartet. Ein neuerliches baustatisches Gutachten des Landkreises ergibt nur zwei Wochen später: „Eine Sicherung des Objektes (...) ist nicht mehr möglich.“ Der Verfall sei „rapide vorangeschritten“, so Landrat Steffen Burchhardt (SPD). Akute Einsturzgefahr! Mit mindestens 120.000 Euro schlägt letztlich der Abriss zu Buche. Für alle, die sich für den Erhalt des letzten authentischen Erinnerungsortes an Reimann starkgemacht hatten, ist diese Entscheidung ein Schlag ins Gesicht.

„Ob wir das Haus in der verbleibenden Zeit einer Nutzung hätten zuführen können, weiß niemand“, sagt Stadtrat Dominik Patté rückblickend. „Aber wir hätten gern eine Chance gehabt.“ Insgeheim hatten sich viele ein Kulturzentrum erträumt. Zum Vorbild hätte beispielsweise die Stadt Hoy­erswerda getaugt, in der die charismatische Autorin von 1960 bis 1968 lebte. Dort, in der Oberlausitz, gibt es eine Brigitte-Reimann-Begegnungsstätte, der Hoyerswerdaer Kunstverein bietet regelmäßige Stadtführungen zu Orten an, an denen die Autorin gewirkt hat oder die mit ihrem Werk verknüpft sind. Eine 40-seitige Broschüre lädt Touristen ein, einen Stadtspaziergang auf Reimanns Spuren zu unternehmen.

Für Roland Stauf von der Reimann-Gesellschaft ist dieser Umgang mit dem Erbe der Autorin vorbildlich. „Mit der Erbpflege ist man bei uns noch längst nicht da, wo wir hinwollen. Brigitte Reimann ist in Hoyerswerda schon lange eine Person der Kulturgeschichte. Dort wird sie geliebt. In Burg nicht.“

In Neubrandenburg, wo die Schriftstellerin bis 1973 lebte, wird das Reimann-Erinnern besonders wertgeschätzt. Im Brigitte-Reimann-Literaturhaus erinnert eine ständige Ausstellung an die Autorin. Aus dem Nachlass, den die Stadt 1995 erworben hat, werden Bilder, Dokumente, Möbel und die Originalbbliothek mit 891 Bänden gezeigt. Wissenschaftler können das umfangreiche Archiv nutzen.

In diesem Jahr wäre Reimann 85 Jahre alt geworden, zudem jährt sich ihr Tod zum 45. Mal. Zahlreiche Lesungen, Vorträge, Filmvorführungen sind in Neubrandenburg anberaumt. Kurzum: Dort existiert ein Ort der Begegnung und der Kultur, den sich die Burger Gruppe der in Neubrandenburg ansässigen Reimann-Gesellschaft in ähnlicher Form sicher auch gewünscht hätte.

Und wie ist es in Burg sonst um die Erinnerung an die Autorin der „Franziska Linkerhand“ bestellt? Touristen wird es jedenfalls nicht leicht gemacht, wenn sie auf Reimanns Spuren wandeln möchten. Am Bahnhof, in der Tourist-Information Burg, fällt dem engagierten Mitarbeiter zum Namen „Reimann“ spontan nichts ein. „Da kann ich nicht weiter helfen“, bedauert er. Einen Laga-Geländeplan händigt er aus. Und einen Flyer vom Heimatverein. „Vielleicht wissen die was.“

Weitere Spurensuche: An der 200 Meter langen Brigitte-Reimann-Promenade sind in einem schmucklos gestalteten Schaukasten die biografischen Daten der Autorin ausgestellt. Vor dem zweiten Wohnsitz Reimanns in Burg ist im Boden eine Tafel eingelassen. „Schriftstellerin. Begründerin der Ankunftsliteratur“ steht dort geschrieben. Die Brigitte-Reimann-Bibliothek hat zumindest eine umfassende Auswahl von Medien zur Namensgeberin vorrätig.

Fest steht: All diese Orte finden unvermittelt wohl die wenigsten Touristen. Auf dem Geländeplan der Laga fehlt etwa jeder Verweis auf den Standort des früheren Reimann-Hauses. Dafür gibt es einen Hinweis auf die Clausewitz-Erinnerungsstätte. Dort steht das in den 90er Jahren restaurierte Wohnhaus der Familie des preußischen Generalmajors.

Apropos Laga-Touristen: Rückblickend meinen viele, die Verwaltung sei nicht traurig gewesen, mit der Ersatzvornahme endlich einen Schandfleck aus dem Stadtbild getilgt zu haben. Schließlich führt eine der Hauptrouten der in anderthalb Wochen beginnenden Landesgartenschau am Reimann-Haus vorbei. Überhaupt: Die Stadt habe erst viel zu spät Lösungen für das kulturgeschichtlich bedeutende Gebäude ausgelotet, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Einen Erinnerungsort für die gebürtige Burgerin Reimann zu schaffen – für die Zukunft habe man dies auf der Agenda, hatte die Stadt nach dem Abriss noch verlautbaren lassen. Wann, wie und in welcher Form – das blieb offen.

Die aktuellen Pläne für die Brache an der Bahnhofstraße sehen da etwas ernüchternder aus: „Die Stadt plant Parkplätze auf den Grundstücken neben und hinter dem Haus“, sagt Bernhard Ruth, Pressesprecher der Stadt Burg.

Ein Lichtblick: „Die Stadt hat gegenüber der Reimann-Gesellschaft erklärt, dass am Giebel des Nachbargebäudes mit einer großflächigen Graffitigestaltung an die prominente Tochter der Stadt erinnert werden soll. Ein genauer Zeitpunkt für die Umsetzung ist allerdings noch nicht fix.

Zudem planen Roland Stauf und die Reimann-Gesellschaft im September eine Konferenz zum Thema „Stadt und Literatur“. Wahrscheinlich wird dort auch auf die Umstände des Abrisses des Reimann-Hauses zurückgeblickt.

Und wie denkt Roland Stauf heute? Wenn das Vorstandsmitglied der Reimann-Gesellschaft dieser Tage den verlorenen Erinnerungsort passiert, wird er sich ausmalen, wie Touristen auf ihrem Weg in den Goethepark auf ein kleines Museum aufmerksam würden. Eine alte Schreibmaschine könnte hier stehen, ein Bett, eine Handvoll Bücher. Material, um ein solches Museum zu füllen, sei nach Angaben der Brigitte-Reimann-Gesellschaft vorhanden.

Der eigentliche Star jedoch wäre das sanierte Gebäude. Das authentische Geburtshaus einer der beeindruckendsten Schriftststeller-Persönlichkeiten der DDR in Burg. Es wird ein Traum bleiben.

Den Kommentar zum Thema finden Sie hier.