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Ausweisungsverfahren für ein 14 213 Hektar großes Gebiet läuft seit Oktober / Proteste von vielen Betroffenen. Von Sigrun Tausche Elbaue Jerichow: Naturschutzpläne in der Kritik

09.01.2013, 01:26

Unter dem Namen "Elbaue Jerichow" soll zwischen Hohenwarthe und Werben ein 14 213 Hektar großes, zusammenhängendes Naturschutzgebiet entstehen. Anfang Oktober 2012 ist das Ausweisungsverfahren eröffnet worden. Inzwischen regt sich massiver Widerstand bei vielen Betroffenen.

Jerichow l Fast genau in der Mitte liegt Jerichow als Namensgeber des Gebiets, das drei Landkreise - Stendal, Börde und Jerichower Land - berührt. Sieben kleinere Naturschutzgebiete gehen darin auf. Das gesamte Gebiet soll künftig nach einer Konzeption entwickelt werden.

Doch so einheitlich ist diese Konzeption nicht: Sie umfasst 27 Seiten mit Festlegungen, Verboten, zulässigen Handlungen und besonderen Regelungen für Landwirtschaft, Forst, Jagd, Fischerei und Angelsport, Wasserwirtschaft und Hochwasserschutz, außerdem unterschiedliche Schutzzonen: Kernzonen, Ruhezonen, Rastvogelbereiche. Weiterhin gelten diverse örtliche Regelungen wie Schutzzonen und Mindestabstände für Betretung und Bewirtschaftung bei Horsten sowie Nestern von Wiesenbrütern und Regelungen für eine Vielzahl sogenannter Lebensraumtypen (LRT).

Warum so ein riesiges, vielgestaltiges Gebiet? Hier soll für bereits an die EU gemeldete "Natura 2000"-Gebiete (Vogelschutz- und FFH-Gebiete) Landesrecht umgesetzt werden, erläuterte Torsten Pietsch, verantwortlicher Mitarbeiter beim Landesverwaltungsamt, Referat Naturschutz und Landschaftspflege. Diese Umsetzung habe eins zu eins zu erfolgen, an den Grenzen werde sich also wenig ändern.

"Ein zusammenhängendes europäisches ökologisches Netz schaffen."

Basis dafür ist die "Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen" des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 21. Mai 1992, die mehrfach ergänzt und fortgeschrieben wurde. Darin heißt es: "Erhaltung, Schutz und Verbesserung der Qualität der Umwelt sind ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft und von allgemeinem Interesse; hierzu zählt auch der Schutz der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen." Festgelegt wird: "Es sind besondere Schutzgebiete auszuweisen, um nach einem genau festgelegten Zeitplan ein zusammenhängendes europäisches ökologisches Netz zu schaffen."

Dieses Netz erhielt den Namen "Natura 2000". Jeder Mitgliedsstaat hatte anhand der festgelegten Kriterien eine Liste von Gebieten vorzulegen, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen sowie einheimischen Tier- und Pflanzenarten aufgeführt sind.

Sachsen-Anhalt habe insgesamt 265 Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebiete (179 729 Hektar) und 32 Vogelschutzgebiete (170 611 Hektar) für "Natura 2000" ausgewählt und an die EU gemeldet, teilte Jeanette Tandel, stellvertretende Pressesprecherin des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt Sachsen-Anhalt, mit. Diese Gebiete überschneiden sich teilweise, insgesamt sind es deshalb 232 000 Hektar, also 11,3 Prozent der Landesfläche.

Die Landesverordnung über die genannten Natura- 2000-Gebiete ist am 5. April 2007 in Kraft getreten. In einem zweiten Schritt müssen diese Gebiete nun als Schutzgebiete gesichert werden, in der Regel als Naturschutzgebiete. Das Vogelschutzgebiet "Elbaue Jerichow" mit fünf inliegenden FFH-Gebieten soll entsprechend als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden. Zuständig dafür ist das Landesverwaltungsamt. Dies erfolgt in einem rechtlich geregelten, öffentlichen Verfahren, das sich an die gesetzlichen Vorgaben des Bundes- und des Landesnaturschutzgesetzes hält.

Dieses Verfahren wurde am 5. Oktober eingeleitet. Im November und Dezember fanden in mehreren Gemeinden rechts und links der Elbe Anhörungen und Informationsveranstaltungen statt. Mit zu den ersten Terminen gehörte eine solche Veranstaltung mit den Elbefischern und Anglern in Parey Jerichower Land). Weitere Veranstaltungen werden in diesem Monat stattfinden, entsprechend werde hier die Frist für Einwendungen verlängert, informierte Torsten Pietsch.

Wann die Verordnung dann tatsächlich in Kraft tritt, stehe noch nicht fest.

"Naturschutz geht nur mit den Menschen."

Aufgrund der beim Landesverwaltungsamt, Referat Naturschutz und Landschaftspflege, bereits eingegangenen Stellungnahmen mit reichlich Kritikpunkten seien etliche Formulierungen bereits geändert worden, unter anderem welche, die die Landwirtschaft betreffen, hatte Pietsch bei einem Termin in Güsen (Gemeinde Elbe-Parey/Jerichower Land) mitgeteilt. Erneut vorgelegt werden soll dieser veränderte Text aber erst, nachdem alle Termine stattgefunden haben und alle Stellungnahmen - soweit aus Sicht der Verantwortlichen möglich - berücksichtigt werden konnten.

"Wir können uns deshalb nur auf den vorliegenden Text beziehen", sagte Elbe-Pareys Bürgermeisterin Jutta Mannewitz (parteilos). In ihrer Stellungnahme versucht die Gemeinde, die Betroffenen in ihren Interessen zu unterstützen. Sie fordert unter anderem, Lockerungen der Verbote für landwirtschaftliche Unternehmen und Ackerflächen ganz aus dem Naturschutzgebiet herauszunehmen. Die Schutzmaßnahmen dürften nicht zu einer Existenzgefährdung für Unternehmen werden, Arbeitsplätze müssten gesichert sein.

Ganz konkret wird auch auf die zu befürchtenden Einschränkungen für die Schiffswerft in Derben hingewiesen, deren Steganlagen und damit ein Teil der Arbeitsstätten direkt im Schutzgebiet liegen würden. Werfteigner Hermann Barthel hatte seinen Unmut auch in der Veranstaltung in Güsen zum Ausdruck gebracht. "Naturschutz geht nur mit den Menschen", sagte er und fasste damit den Ärger und die Ängste vieler Betroffener zusammen. "Warum wurden die Bürger vor Ort nicht gefragt?"

Auch für die Entwicklung der touristischen Infrastruktur sieht die Gemeinde Elbe-Parey eine Gefahr, ebenso wie die Stadt Jerichow, die in ihrer Stellungnahme den Verordnungsentwurf in dieser Form ablehnt. Nicht nachvollziehbare Grenzziehungen, Ausklammern von Radwegen und ausgebauten landwirtschaftlichen Wegen, weitere Nutzbarkeit von Angelgewässern, Badestellen und Eisflächen sind nur einige aufgeführte Punkte.

Ganz massiver Widerstand kommt aus dem Raum Havelberg und der Gemeinde Elbe-Havel-Land (Landkreis Stendal). Die Havelberger sehen ihren traditionsreichen Pferdemarkt in Gefahr, dessen Flächen zum Teil im Schutzgebiet liegen, auch ein Gasthaus liegt darin. Die Gemeinde Elbe-Havel-Land hat eine 19 Punkte umfassende Stellungnahme zusammen mit 2700 Unterschriften gegen den Entwurf beim Landesverwaltungsamt abgegeben. Der Klietzer Bürgermeister Jürgen Masch (WG Klietz) protestierte in einem Brief an Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens (CDU) heftig, dass hier ohne Rücksicht auf die im betreffenden Bereich lebende Bevölkerung entschieden werde.

"Der Verordnungsentwurf geht über das EU-Recht hinaus!"

Bei einem Erörterungstermin in Rogätz (Verbandsgemeinde Elbe-Heide, Landkreis Börde) monierte der Betreiber eines Bootsverleihs an der Elbe bei Heinrichsberg, dass auf seiner Wasserskistrecke ein Rastvogelbereich ausgewiesen ist. Am Bertinger See soll künftig der Badestrand des Feriendorfs im Naturschutzgebiet liegen. "Der Verordnungsentwurf geht über das EU-Recht hinaus", heißt es in der Stellungnahme des Kaliwerks Zielitz. Die Verordnung in dieser Form sei eine Existenzbedrohung für den Betrieb.

Kritik kommt auch aus anderer Richtung: vom NABU Sachsen-Anhalt. Grundsätzlich begrüßt der NABU zwar die Ausweisung des Naturschutzgebiets. Sven Königsmark, Vorsitzender des Kreisverbands Jerichower Land, findet die 27-seitige Verordnung aber viel zu verwirrend und in der Praxis nicht kontrollierbar. Ganz massive Probleme würde die Verordnung für die Wildtierhaltung des NABU Kreisverbands Stendal bedeuten wegen der Einschränkungen und Verbote bei der Beweidung: keine Winter- und Ganzjahresweide, maximal 1,4 Großvieheinheiten pro Hektar, kein Zufüttern, keine ausschließliche Beweidung mit Pferden.

Speziell für die Landwirte gibt es auf Einladung des Bauernverbands Jerichower Land heute um 10 Uhr noch einen Gesprächstermin bei der Agrargenossenschaft Zerben. In Jerichow findet morgen ab 10.30 Uhr im Bürgerhaus eine Runde mit Vertretern des Landesverwaltungsamts statt.