Entwicklung Hightech-Olympia: Tüfteln für Gold
Vorsprung durch Technik - den erhoffen sich die Harzer Rennrodler und die Magdeburger Paralympic-Starter bei den Winterspielen in Südkorea.
Ilsenburg l Über den Wipfeln des Harzes herrscht die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, den Sturm auf den Olymp. Im Industriegebiet von Ilsenburg hat sich Toni Eggert in sein Refugium zurückgezogen – ein separater Teil in der Zimmerei seines Vaters Sven. Ein letztes Mal vor der Abreise nach Pyeongchang, wo am Freitag die XXIII. Olympischen Winterspiele eröffnet werden und der Rodler zusammen mit dem Suhler Sascha Bennecken im Doppelsitzer startet, legt der 29-Jährige an seinem Schlitten Hand an.
„Hugo“ heißt der himmelblaue Flitzer, der auf einer ganz normalen, hölzernen Werkbank den Feinschliff für Olympia erhält. Und Eggert, ein leidenschaftlicher Tüftler vor dem Herrn, braucht dafür mehr Zeit als geplant. Der Grund: Beim Weltcup in Lillehammer vor zwei Wochen sind Eggert/Bennecken im Sprint gestürzt. „In der Ausfahrt aus Kurve 13 hat es uns erwischt. Wir sind umgekippt und dann auf der Seite liegend ins Ziel geschlittert. Wir hatten echt Glück, außer blauen Flecken ist uns nicht viel passiert“, berichtet der Pilot. Auch der Schlitten habe ein paar Kratzer abbekommen. Für Olympia werde der aerodynamische Hightech-Himmelsstürmer aus federleichtem Carbon wieder „schick“ gemacht.
Bis Montag wurde zudem am maßgeschneiderten und im Windkanal getesteten Schlitten gebastelt. „Im Prinzip ist das Ganze ein Prozess der ständigen Fortentwicklung“, betont Eggert im Volksstimme-Gespräch. Und für die Medaillenjagd in Pyeongchang haben er und sein Team „noch ein bisschen was in der Hinterhand“, zwinkert er vielsagend. Ins Detail der „Mission Gold“ wolle er aber nicht gehen. Und so bleibt bis zum 14. Februar, dem „Tag X“, im Dunkeln, an welchen kleinen Rädchen im Rahmen des vom Weltverband festgelegten Reglements gedreht wurde.
Geheimniskrämerei gehört im Rodel-Geschäft zum Alltag. Die Konkurrenz liegt überall auf der Lauer. Und die größte, das ist Ironie des Schicksals, kommt mit Tobias Wendl/Tobias Arlt aus dem eigenen Lager. Die Devise ist deshalb: Holzauge, sei wachsam! „Wenn wir im Ziel ankommen, sehen wir zu, dass der Schlitten schnell wieder eingepackt wird. Aber das machen die anderen genauso“, sagt der Mann vom BRC Ilsenburg.
Vor vier Jahren in Sotschi sahen sich Eggert/Bennecken - am Ende auf Platz acht durchgereicht - material-technisch nicht auf Augenhöhe mit den Olympiasiegern Wendl/Arlt. Die Berchtesgadener „Trainingsgruppe Sonnenschein“, zu der auch Natalie Geisenberger und Felix Loch gehören, räumte sämtliches Gold ab und profitierte dabei vor allem von der „Tüftel-Kunst“ ihres Heimtrainers Georg Hackl - gleichzeitig Bundestrainer.
Sotschi habe trotz allem sein Gutes gehabt: „Die Enttäuschung über das Ergebnis hat dazu geführt, dass wir gesagt haben: Wir machen ab jetzt unser eigenes Ding und suchen bei der Entwicklung des Schlittens die entsprechenden Partner.“
Gefunden hat Eggert diese auch in der Region. So sei die PSFU Wernigerode, ein Familienunternehmen im Bereich Präzisionszerspanung, inzwischen „unverzichtbarer Teil des großen Ganzen“, wie der Sportsoldat erklärt. Ebenso der Rapid Leichtbau Ilsenburg, der für den Transport des Schlittens eine stabile Kiste mit massiven Wänden aus MonoPan konstruiert habe.
Den Bärenanteil an der seit vier Jahren steil nach oben zeigenden Erfolgskurve hat aber Thyssenkrupp. Das Unternehmen stellt unter anderem einen Stahl für die Schienen zur Verfügung, der laut Eggert „sehr gute Eigenschaften, sprich einen sehr geringen Reibungswiderstand“ habe. „Die enge Zusammenarbeit, speziell mit Alex Meier, dem ,Head of Schlittenbau‘, ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Ziel aller sei es von Anfang an gewesen, so der Ilsenburger, „konkurrenzfähiges Material zu haben, um bei den Spielen 2018 um den Sieg mitfahren zu können. Und dieses Ziel haben wir erreicht. Hugo läuft wie am Schnürchen.“ Der Beweis: In dieser Saison haben Eggert/Bennecken zehn von 13 Rennen gewonnen und sich den Weltcup-Gesamtsieg gesichert.
Auch die Blankenburgerin Tatjana Hüfner, wie Eggert ein Schützling des Oberhofer Trainers Jan Eichhorn, hat über die Saison hinweg versucht, „das Maximale aus dem Material herauszuholen“. Allerdings könne sie dabei ihrem Harzer Rodelkollegen „nicht das Wasser reichen. Toni ist ein Tüftler der extremen Sorte. Er ist unglaublich akribisch.“ Dennoch sei auch ihr Schlitten „keiner von der Stange“, sondern eine Gemeinschaftsproduktion von Teuto in Osnabrück (Kufen und Bock), Vissmann (Schienen) und FES (Wanne). „Viele Teile sind auf mich persönlich zugeschnitten. Wichtig ist, dass wie beim Puzzle am Ende alles zusammenpasst.“
Und so sieht sich die Silbermedaillengewinnerin von Sotschi bei ihrer vierten Olympiateilnahme „durchaus konkurrenzfähig“. Und das, obwohl auch sie das Handicap eines Sturzes kurz vor Olympia zu tragen hat. Das Pech ereilte sie beim Weltcup-Finale im lettischen Sigulda, wo sie im Training schnell unterwegs war. „Nichts passiert, nur ein blaues Knie“, gab die 34-Jährige Entwarnung. Am Schlitten ließ sich alles schnell reparieren. Das ging vor dem Abflug nach Südkorea in Oberhof über die Bühne. Hier hat die Harzerin mit Robert Eschrich einen Mechaniker an ihrer Seite, der als ehemaliger Rodler weiß, wovon sie spricht, wenn sie ihr Fahrgefühl in der Eisrinne beschreibt.
An den richtigen Stellschrauben drehen, das ist auch aus Sicht der Harzerin, die ihren Lebensmittelpunkt in Erfurt hat, die große Kunst des „Feintunings“. Erst recht beim Rennrodeln, wo im Rausch der Geschwindigkeit von bis zu 130 km/h inzwischen Tausendstelsekunden über Sieg und Niederlage entscheiden. Es liegt also in der Natur der Sache, dass neben dem fahrerischen Können des Piloten die Ausrüstung eine zentrale Rolle spielt. „Und jeder hat diesbezüglich seine Geheimnisse“, so Hüfner.
Dennoch, da ist sich das Aushängeschild des RC Blankenburg sicher, es schnappt sich am Ende jene Rodlerin Olympiagold, die das beste Gesamtpaket geschnürt hat. „Natürlich ist die Ausrüstung wichtig. Aber mir nützt das beste Material nichts, wenn die Form fehlt, der Kopf nicht mitspielt, oder ich einen Fahrfehler mache. Und das geht bei der ominösen Kurve neun, der Schlüsselstelle der Olympiabahn, ganz fix.“
Auch bei den Paralympics wird im Kampf um Sekunden getunt, was das Zeug hält. „Unser Sport ist inzwischen so professionell und die Leistungsspitze derart eng, dass du ohne Hightech keine Chance hast“, weiß die sechsfache Paralympic-Siegerin Andrea Eskau. Also suchte sie sich mit Blick auf die Paralympics (9. bis 18. März) einen kompetenten Partner – und fand ihn in der Toyota Motorsport GmbH in Köln.
Über ihren maßgeschneiderten Carbon-Schlitten auf Skiern, der aus den gleichen leichten Materialien hergestellt wurde, die im Toyota-Rennwagen bei der Langstrecken-WM verwendet wird, sagt die 46-jährige Handbikerin vom USC Magdeburg: „Wir haben wirklich ein hervorragendes Ergebnis erzielt.“
Auch ihr Problem beim Para-Biathlon, nämlich die instabile Lage des Schlittens während des Schießens, habe man in den Griff bekommen: „Wir haben die Position einiger Teile modifiziert, so dass die Skier einen besseren Bodenkontakt haben, der Schlitten plan aufliegt und ich deshalb genau zielen kann.“
Wie Eggert und Hüfner, so hofft auch Eskau, dass der kosten- und zeitaufwendige Feinschliff am Material am Ende ein Treffer ins Schwarze, oder besser gesagt ins Goldene ist.