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Tourismus-Studie Experte: „Das ist ein Warnsignal“

Experte Jan Kobernuß spricht im Interview über die Herausforderungen der Tourismus-Branche in Sachsen-Anhalt.

14.11.2017, 23:01

Volksstimme: Sie waren früher Reiseführer-Autor. Welche Überschrift hätte ihre Touristen-Fibel über Sachsen-Anhalt?

Jan Kobernuß: Die Schwerpunkte von Sachsen-Anhalt sind Kultur und Natur. Für gewöhnlich haben Reiseführer aber keine griffigen Überschriften, sondern tragen die Region im Titel. Über Sachsen-Anhalt würde ich schreiben: Der unterschätzten Kultur auf der Spur.

Sachsen-Anhalt wirbt seit einiger Zeit mit dem Slogan „Ursprungsland der Reformation“. Wie beurteilen Sie das aus Sicht eines Tourismus-Beraters?

Es ist gut, mit diesem Thema zu werben. Große Jubiläen werden auch anderswo herausgestellt. Klar ist aber, dass zum Beispiel Schilder, die vor allem an der Autobahn stehen, nur Touristen sehen, die eh schon vor Ort sind. Dennoch ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen. Ein Land, das als Kulturreiseziel wahrgenommen werden möchte, muss auch von seinen Bürgern getragen werden.

2016 kamen 3,2 Millionen Touristen nach Sachsen-Anhalt, 7,8 Millionen Übernachtungen sind gezählt worden. Sehen Sie noch Luft nach oben für das Bundesland?

Absolut. Innerhalb der Tourismus-Branche stellen wir ein zunehmendes Interesse an Deutschland und der hiesigen Kultur fest. Hinzu kommt der Natur-Aspekt: Wandern ist beliebt. Schon immer boomt das Thema Radfahren. Sachsen-Anhalt kann bei diesen Themen punkten: Der Harz ist eine der gefragtesten Ferien-Regionen Deutschlands, der Elberadweg ist der beliebteste Flussradweg. Durch den Kultur-Schwerpunkt besteht zudem die Chance, nicht nur im Sommer Reisende anzuziehen. Denn Kultur ist ein Ganzjahres-Thema.

Welche Strategien empfehlen Sie dem Bundesland für die Vermarktung seiner Ziele?

Wichtig ist ein langer Atem, vor allem bei den Kernthemen: Kultur und Natur –beides müssen die Tourismus-Manager in Sachsen-Anhalt nach vorne bringen. Der Markt fragt auch stärker den Städte-Tourismus nach: Sachsen-Anhalt kann nicht nur die Landeshauptstadt Magdeburg in die Waagschale werfen. Gefragt sind auch kleinere Orte wir Quedlinburg oder Tangermünde. Das sind tolle Kleinode, die Geschichte atmen.

Der touristische Erfolg wird allerdings nicht nur durch die Vermarktung, sondern auch durch die Zufriedenheit der Gäste bestimmt. Sie haben in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 2000 Touristen in Sachsen-Anhalt befragt. Was sind die Ergebnisse?

Wir müssen feststellen, dass zwar die Übernachtungszahlen gestiegen, aber die Zufriedenheit und die Weiterempfehlungs-Absicht zurückgegangen sind. Bei der Befragung 2006 haben noch 71 Prozent angegeben, die besuchte Region an Freunde und Bekannte weiterzuempfehlen. 2011 waren es noch 56 Prozent. Jetzt, 2016, sind es nur noch 31 Prozent. Der Wert hat sich in zehn Jahren also mehr als halbiert. Das ist ein Warnsignal.

Woran liegt das?

In unserer Umfrage hat jeder fünfte Urlauber Störfaktoren genannt. Deutlich stärker als vor zehn Jahren sind von den Gästen etwa die Themen Ortsbild, Baumängel und Grünanlagen bemängelt worden. Der Wert ist von 9 auf 17 Prozent angestiegen. 15 Prozent der Gäste empfanden auch fehlende Freizeit-, Kultur- und Ausflugsmöglichkeiten als störend. Zuvor gaben das nur 9 Prozent der Befragten an. Ein unzureichendes gastronomisches Angebot wurde von 9 Prozent als störend empfunden.

Die Zahlen zeigen, dass Sachsen-Anhalt sehr reiseerfahrene Gäste hat, die gut vergleichen können und anspruchsvoll sind. Wenn bei Ortsbildern oder Freizeitangeboten die Kritik zunimmt, muss man reagieren und darf nicht nachlassen – auch was Investitionen betrifft.

Hat Sachsen-Anhalt zu wenig getan?

Aus Sicht der Gäste scheint das so zu sein. Die Kritik ist deutlicher als vorher. Wichtig ist, diese Signale ernst zu nehmen und sich für die nächsten fünf Jahre einen Arbeitsschwerpunkt zu setzten. Sachsen-Anhalt muss bei der Qualität Gas geben, Akzente setzen und Initiativen starten. Das kann richtig teuer werden. Entscheidend ist aber auch ein guter Service, der die Mängel in anderen Bereichen kompensieren und den Gesamteindruck verbessern kann.

Das Großprojekt wie die Seilbahn in Schierke scheint also der richtige Weg zu sein.

Ja, die Seilbahn in Schierke wäre eine Signal-Investition. Berg-Erlebnisse sind gefragt. Es gibt seit ein paar Jahren einen Boom von Aussichtsplattformen. Die Urlauber wollen auf die Berge und zwar möglichst bequem. Wie wichtig derartige Attraktionen für Sachsen-Anhalt sind, ist in diesem Jahr zu beobachten gewesen: Die Hängeseilbrücke im Harz ist sehr gut angenommen worden. Gerade diese Erlebbarkeit von Natur stellt Sachsen-Anhalts Stärke heraus.

In das Nachbarland Sachsen kamen im vergangenen Jahr mehr als sieben Millionen Touristen. Wird es Sachsen-Anhalt gelingen, in ähnliche Sphären vor zustoßen?

Nicht in den nächsten fünf Jahren, aber perspektivisch schon. Wenn man in längeren Zeiträumen denkt, ist das kein unrealistisches Ziel, setzt aber voraus, dass sowohl die Attraktionen als auch die notwendigen Beherbergungs-Kapazitäten vorhanden sind. Dabei ist es wichtig, dass es auch Häuser mit einer hohen Eigen-Attraktivität gibt, wie etwa das Hundertwasserhaus in Magdeburg.