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Hass auf den Staat Warum Sachsen-Anhalt anfällig ist für eine virtuelle Radikalisierung von rechts

Florian Hartleb ist einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Hasskriminalität im Internet. Im Interview spricht der 43-Jährige unter anderem über die jüngsten Vorfälle unter Polizeischülern in Sachsen-Anhalt - und bietet überraschende Einblicke zum rechtsextremen Halle-Attentäter Stephan B.

Von Gert Glowinski Aktualisiert: 07.03.2023, 14:42
Der Haupteingang der Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg. Hier verbüßte der Rechtsextremist Stephan B.einen Teil seiner Strafe, bis er nach einer versuchten Geiselnahme nach Bayern verlegt wurde.
Der Haupteingang der Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg. Hier verbüßte der Rechtsextremist Stephan B.einen Teil seiner Strafe, bis er nach einer versuchten Geiselnahme nach Bayern verlegt wurde. Fptp: dpa

Halle/Magdeburg - Frühere Schüler an der Polizeihochschule in Aschersleben sollen während ihrer Ausbildung Chat-Nachrichten, unter anderem mit antisemitischen und volksverhetzenden Inhalten ausgetauscht haben. Es geht um 18 Schüler, sie stehen nur vor ihrer Entlassung.

Haben die Vorfälle Sie überrascht?

Hartleb: Eigentlich nicht. Viele der jungen Leute, auch an der Polizeihochschule, leben in einer Art Parallelwelt. Sie informieren sich nicht mehr in den klassischen Medien wie Nachrichtenportalen, Zeitung oder Fernsehen, sondern nutzen nur noch Social Media wie TikTok oder tauschen sich auf beschämende Art und Weise in Chats aus. Aber die Vorfälle offenbaren auch deutliche Defizite in der Polizeiausbildung in Sachsen-Anhalt.

Dr. Florian Hartleb ist unter anderem als Dozent an der Polizeihochschule in Sachsen-Anhalt tätig. 
Dr. Florian Hartleb ist unter anderem als Dozent an der Polizeihochschule in Sachsen-Anhalt tätig. 
Foto: Hartleb

Welche Defizite?

Es wird zu wenig Wert auf politische Bildung gelegt. Diese Themen spielen nur am Rande eine Rolle. Da gibt es großen Nachholbedarf, auch jenseits des Tagesgeschäfts. Und bei allem Verständnis für die Nachwuchssorgen der Polizei muss bei der Auswahl unserer künftigen Polizisten besser hingeschaut werden - auch in den virtuellen Räumen, in denen sich diese jungen Menschen aufhalten. Das Desinteresse an den Werten unserer Demokratie ist leider an der Polizeihochschule mit Händen zu greifen - seit Corona.

An der Polizeihochschule in Aschersleben flogen zuletzt mehrere rechtsextreme Chats unter Polizeischülern auf. 
An der Polizeihochschule in Aschersleben flogen zuletzt mehrere rechtsextreme Chats unter Polizeischülern auf. 
Foto: dpa

Was hat Corona damit zu tun?

Die Grundhaltung der angehenden Polizisten vor der Pandemie war ganz anders. Interessiert, aufgeschlossen. Die Schüler dagegen, die ich im vergangenen Jahr und nun gerade im Februar unterrichtet habe, demonstrierten vor allem Lustlosigkeit, wenn es um die Vermittlung demokratischer Grundwerte ging. Interesse an politischen Zusammenhängen besteht kaum. Unsere Demokratie lebt aber von Engagement und positiven Überzeugungen. Null Bock auf Politik sollte und darf nicht sein.

Wer die Chats liest, der findet vor allem Hass. Auf wen?

Unter anderem auf den Staat. Seit Corona hat der Hass auf die Politik insgesamt und unsere Institutionen zugenommen, Stichwort Corona-Diktatur. Noch nie war die Zahl politischer motivierter Kriminalität so hoch wie heute. Wir können eine virtuelle Radikalisierung erkennen. Zum Beispiel bei den Reichsbürgern in Sachsen-Anhalt und in Teilen der sogenannten Friedensbewegung, die die Netzwerke aus der Zeit der Corona-Proteste weiter nutzt. Und natürlich lässt sich auch beim Attentäter von Halle, Stephan B., eine virtuelle Radikalisierung nachweisen.

Lesen Sie auch: "Schande für die Landespolizei" - Polizeischüler aus Sachsen-Anhalt verbreiten antisemitische Inhalte in einem Chat

Vor kurzem haben Sie das Personal in den Justizanstalten Burg und Halle im Umgang mit Stephan B. vor seiner Verlegung geschult. Warum?

Unser Strafsystem ist auf Resozialisierung ausgelegt, eine zentrale Philosophie auch in Burg. Beim einem politischen Terroristen wie Stephan B. ist aber eine Resozialisierung kaum möglich. Dieser narzisstische Tätertyp will unter allen Umständen seine Botschaft weiterverbreiten, da er ja als Terrorist Angst und Schrecken verbreiten will, aus politischen Motiven. In Sozialen Medien war er nicht aktiv, behutsam hat er auch seine Spuren verwischt. Er hatte seine Taten akribisch vorbereitet, auch hat er ein Manifest verfasst. Das macht ihn so gefährlich.

Der Halle-Attentäter und mehrfache Mörder Stephan B. im Gerichtssaal.
Der Halle-Attentäter und mehrfache Mörder Stephan B. im Gerichtssaal.
Foto: dpa

Um ein Haar wären Justizangestellte von Stephan B. bei seinem Fluchtversuch In der JVA Burg verletzt oder getötet worden.

Meiner Meinung nach war das kein Fluchtversuch. Stephan B. hat sich unter anderem in der digitalen Gamer-Szene radikalisiert. Dort gilt es als Auszeichnung, von einem Polizisten getötet zu werden und so gewissermaßen in die Ahnengalerie aufzusteigen. Das könnte Stephan B. durchaus im Kopf gehabt haben, als er Beamte in der JVA als Geiseln nahm.

Er wollte sich Ihrer Ansicht nach erschießen lassen?

Es wäre möglich. Er hatte direkt nachweisbare Vorbilder. Zum Beispiel den Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) am 15. März 2019. Auch dort hatte es der Attentäter am Ende darauf angelegt, von Polizisten erschossen zu werden, nachdem er selbst zahllose Menschen umgebracht hatte. Der Täter war direktes Vorbild, wie auch Anders Breivik aus Norwegen, der am 22. Juli 2011 ein Massaker verübte und seither verehrt wird.

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Wenn von dieser virtuellen Radikalisierung sie viel Gefahr ausgeht, wird genug dagegen getan?

Nein. Die Sensibilisierung zum Beispiel in den Ermittlungsbehörden ist noch zu gering. Googlen alleine reicht nicht. Die Dynamik in den unterschiedlichen digitalen Plattformen ist zu enorm. Dabei hat doch das Attentat von Halle so deutlich gezeigt, welche Gefahr der virtuelle Raum birgt. Diese konkrete Gefahren habe ich übrigens in einem meiner Bücher noch vor dem schrecklichen Halle-Attentat vorhergesehen. Man kann also solche schlimmen Ereignisse verhindern, wenn man versteht, wie sie entstehen.

"Die Sensibilisierung zum Beispiel in den Ermittlungsbehörden ist noch zu gering. Googlen alleine reicht nicht.

Dr. Florian Hartleb

Verstehen das denn beispielsweise unsere Behörden?

Ich fürchte nein. Das hat vielleicht auch mit einem geringen Verständnis digitaler Mechanismen insgesamt zu tun. Es geht um Online-Subkulturen, diverse Plattformen, um Memes und Symbole, hier konkret auch um die Revitalisierung des Antisemitismus. Ein Beispiel: Die Vernetzungskraft durch Telegram hat man während der Pandemie deutlich gesehen.

Was kann die Meldestelle gegen Hasskriminalität in Sachsen-Anhalt künftig leisten?

Erstmal muss sie auch tatsächlich die Arbeit aufnehmen, bisher habe ich nur Ankündigungen gelesen. Und die Gefahr, dass sich vor allem Denunzianten dort melden, ist groß. Was leider bislang fehlt in Sachsen-Anhalt, ist eine Gesamtstrategie, wie man Hass und Hetze im virtuellen Raum begegnen kann. Spätestens seit Corona sollte klar sein, welche Bedeutung virtuelle Netzwerke bei der Verbreitung von Hass haben können.

Nicht jeder, der Hass im Netz verbreitet, bringt auch Menschen um.

Das stimmt. Gefährlich wird es aber vor allem, wenn dieser Hass auf den Staat einhergeht mit einem Hang zum Militarismus oder Waffenliebe. Stephan B. hat sich im Internet Anleitungen zum Bau von Waffen besorgt und diese mit einem 3-D-Drucker hergestellt. Mit tödlichen Folgen für unschuldige Menschen.

Buchtipp: „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“, 2. Auflage, Hamburg 2020.