LKA-Dezernat 23 hat in der Datei des Bundeskriminalamts Zugriff auf rund 3,1 Millionen "Daktys", 87000 aus Sachsen-Anhalt (Teil 19) Fingerabdruckexperten: Wirbel, Schleifen und "Tannen" gesucht
Magdeburg l Der Mann, der am 9. November 2007 gegen 17 Uhr einer Sparkassenmitarbeiterin in der Magdeburger Filiale einen Zettel reicht, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ihm dieses A-5-Blatt zum Verhängnis werden könnte.
"Geben Sie mir das Geld heraus. Dann passiert keinem etwas", liest die Frau hinter dem Schalter. Und als sie ihr Gegenüber ungläubig anschaut, holt dieser eine Pistole hervor und unterstreicht damit seine Forderung. Kurze Zeit später verlässt er mit mehreren Tausend Euro das Gebäude. Den Erpresser-Zettel lässt er am Tatort zurück.
Für die Fingerabdruck-Experten des LKA-Dezernats 23 ist das kleine Schriftstück eine wichtige Spur. Kriminalhauptkommissar Uwe Eisert: "Zuerst wurden die Fingerabdrücke auf dem Zettel sichtbar gemacht und von den Sparkassenmitarbeitern, die unmittelbar mit dem A-5-Blatt zu tun hatten, Vergleichsabdrücke genommen, um sie auszuschließen." Dabei ist die Zeit, als die Papillarlinien noch per "Stempelkissen" abgenommen wurden, bereits seit einigen Jahren vorbei. Heute werden Finger- und Handflächen sauber elektronisch gescannt.
"Die Abdrücke des unbekannten Täters wurden ins sogenannte AFIS (Automatisches Fingerabdruckidentifizierungssystem, d. Red.) eingestellt." Die Datei beim Bundeskriminalamt umfasst rund 3,1 Millionen Eintragungen. Darunter etwa 70000 Abdrücke von bekannten Straftätern aus Sachsen-Anhalt und mehr als 17000 "Daktys", die am Tatort oder auf Tatgegenständen zwischen Arendsee und Zeitz gesichert wurden, jedoch noch keiner Person zugeordnet werden konnten.
"Im Falle des Magdeburger Sparkassenüberfalls hatten wir im AFIS erste Übereinstimmungen", so der Dezernats-Chef. "Dieselben Abdrücke wurden bei ähnlichen Straftaten in Thüringen, Brandenburg, Sachsen und Hessen hinterlassen." Die Identität des Mannes konnte allerdings vorerst noch nicht festgestellt werden.
Als der Täter 2011 in Sachsen-Anhalt erkennungsdienstlich behandelt wird und seine Fingerabdrücke damit in das AFIS aufgenommen werden, können die LKA-Ermittler einen Erfolg verbuchen. Eisert: "Der Vergleich der in Magdeburg gesicherten Fingerabdrücke mit denen des Verdächtigen brachte einen AFIS-Treffer, einen sogenannten HIT."
Noch in diesem Monat soll in Sachsen das "Sammelverfahren" gegen den inzwischen Angeklagten beginnen.
Das Papier-Archiv mit den Finger- und Handflächenabdrücken im LKA schrumpft immer weiter. Wichtigstes Arbeitsmittel ist inzwischen auch hier der Computer. Allerdings ist die Zeit des digitalen Bearbeitens von Fingerabdrücken noch nicht angebrochen. "Dass wir mit elektronischen Werkzeugen arbeiten können, mit Kon-trasten, Farben und Abdrücke auf dem Monitor drehen können, ist für uns noch Zukunftsmusik", sagt der Kriminalhauptkommissar.
Zu den Wegbereitern der Identifizierung von Personen durch Fingerabdrücke auf wissenschaftlicher Grundlage gehören die Engländer William Herschel und Francis Galton sowie der argentinische Kriminologe Juan Vucetich. Seit 1903 ist der Fingerabdruck in Deutschland als Beweismittel zugelassen.
"Fingerabdruck-Spezialisten unterscheiden seither drei Grundmuster: Schleife nach links oder nach rechts, Bogen - dazu gehört auch die ,Tanne\' - und Wirbelmuster." Die früher manuelle Einteilung in Grundmuster übernimmt AFIS heute auch schon automatisch.
Nach deutschem Standard gilt der daktyloskopische Identitätsnachweis als erbracht, wenn der Sachverständige im Untersuchungsmaterial einen für seine Überzeugungsbildung übereinstimmenden Informationsgehalt feststellt. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn der allgemeine Verlauf der Papillarlinien und 12 anatomische Merkmale in Form und Lage zueinander übereinstimmen.
AFIS unterstützt in Deutschland seit 1993 die Speicherung und Suche von Fingerabdrücken und ihren Verursachern. "Eine riesige Zeitersparnis", weiß Eisert. "Ohne das System wäre es heute nicht möglich, eine Person innerhalb von drei Minuten anhand seiner einzigartigen Merkmale zu identifizieren." Außerdem können seither auch Teilabdrücke besser verwertet und häufiger Übereinstimmungen gefunden werden."
Ein weiterer Schritt ist der multinationale Austausch von Daten. Ende 2011 sollten bereits alle europäischen Staaten in den anonymen Datenaustausch einbezogen sein, doch bisher fehlen noch einige Länder. "Gut klappt der Austausch unter anderem mit Österreich, Frankreich, Spanien und den Niederlanden."
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