Zapfenpflücker Forstwirte auf aufsteigendem Ast
Für Sachsen-Anhalts Zapfenpflücker geht es hoch hinaus. Die Forstwirte sind auf der Suche nach wertvollem Saatgut.
Ivenrode (dpa) l Aus den groben Poren der Jutesäcke strömt ein unverwechselbarer Duft. Waldduft. Es riecht nach Zapfen. Die Samenträger der Tanne sind harzig. „Wie Kleister“, sagen zwei, die es wissen müssen. „Im Sommer, wenn es richtig heiß ist, kommt das überall durch. Sogar durch die Handschuhe.“
Eberhard Müller und Dirk Renger sind Zapfenpflücker – zwei von etwa einem halben Dutzend im Landesdienst. Die 60 und 49 Jahre alten Forstwirte haben keine Angst vor Höhe und sich wiegenden Baumwipfeln. Sie holen Zapfen aus den Kronen, damit aus ihnen wertvolles Forstsaatgut gewonnen werden kann. Ein Knochenjob, bei dem das Material und die Sicherheit oberste Priorität haben.
In die Säcke haben sie die Ernte von drei Tagen gefüllt. „Von 23 Tannen“, sagt Müller, der beim Landeszentrum Wald angestellt ist und schon seit mehr als 30 Jahren Zapfen pflückt. Der drahtige Mann kennt sich aus. „Die Zapfen stehen oben aufrecht in der Krone. Wir müssen bis ganz hinauf. Sie fallen niemals herunter. Was die Leute gern als Tannenzapfen bezeichnen, stammt meistens von Fichten.“ Einen echten Tannenzapfen, ist sich Müller sicher, hatten bisher nur sehr wenige in der Hand.
Im Sammelbuch von Uwe Sommer, dem Leiter des 2800 Hektar großen Forstreviers Bischofswald bei Ivenrode (Verbandsgemeinde Flechtingen, Landkreis Börde), sind 379 Kilo vermerkt. „So viel ist das jetzt nicht mehr“, sagt Zapfenpflücker Renger, der für den Landesforstbetrieb Sachsen-Anhalt arbeitet. Und er hat recht. Kai Bauer von der Unteren Forstbehörde des Landkreises Börde schreibt nach dem Wiegen 337 Kilo auf. „Schon nach kurzer Lagerzeit beginnen die Zapfen Gewicht zu verlieren“, sagt Bauer.
Zuvor hat der Mann mit Klemmbrett und Taschenrechner sogenannte Stammzertifikate an die Säcke gebunden und sie verplombt. So gehen sie nach Annaburg, wo aus den Zapfen der Samen gewonnen wird. Die Ausbeute wird nicht einmal zehn Prozent betragen. Die routinierten Pflücker wissen, warum. „Es hängt nicht immer was dran und es ist nicht jedes Jahr was drin.“ Bei der Douglasie liegt die Ausbeute an reinen Samen gar unter zwei Prozent des ursprünglichen Zapfengewichts. Für Müller und Renger geht es zurück in den Wald. Hat die Tanne Erntezeit, ist auch die Douglasie dran. Etwa 40 Nadelbäume stehen auf dem Areal im Bischofswald. Sie sind alle nummeriert. Die beiden Zapfenpflücker kommen zwei Kollegen zu Hilfe. Robuste Seile an etwa 45 Meter hohen Douglasienstämmen zeugen von deren Anwesenheit – irgendwo ganz oben und jedem Auge entrückt. „Jeder ist für sich allein verantwortlich“, sagt Renger, der seit mehr als 20 Jahren die Zusatzausbildung zum Zapfenpflücker in der Tasche hat. Die Tauglichkeit wird regelmäßig überprüft.
Vor dem Aufstieg hat jeder seine Ausrüstung kontrolliert, Wind und Wetter begutachtet und die Standfestigkeit des Baums unter die Lupe genommen. Dann geht es mit Steigeisen, Auffanggurt, Halteseilen und dem drei Meter langen Pflückerstab hinauf. Mit ihm ziehen sich die Männer die Äste mit den Zapfen heran, die sie in kleine Säcke am Gürtel stecken.
„Am schlimmsten ist Wind. Bei Böen geht es oben am Stamm schon mal zwei bis drei Meter hin und her“, sagt Zapfenpflücker Müller. Auch der nach oben immer dünner werdende Stamm birgt Gefahren. „Manchmal setzt man da oben die zwei Steigeisen und denkt: Da schaffe ich mir doch jetzt sowas wie eine Sollbruchstelle“, sagt Renger und lacht. Mit schnellen Steigerschritten geht es den Douglasienstamm hinauf. Das Zapfenpflücker-Quartett arbeitet an diesem Tag für die Forschung. Janine Wojacki vom Thünen-Institut für Forstgenetik überwacht die Pflückaktion. Sie benötigt Zapfen für wissenschaftliche Arbeiten innerhalb des Verbundprojekts „Fit For Clim“. Es will Forstvermehrungsgut für den klima- und standortgerechten Wald der Zukunft bereitstellen. Vier Institute arbeiten daran mit. Im von Wojacki bearbeiteten Arbeitspaket geht es um genetische Untersuchungen zur Bewertung der Mindestanforderungen an Erntebestände. „Dafür holen mir die Pflücker Zapfen von der Douglasie herunter“, sagt sie. „Aber es ist nicht viel drauf.“ Und trotzdem: Der etwa 140 Jahre alte Bestand hat es der Wissenschaftlerin angetan. Wegen ihrer Wuchsleistung wird die Douglasie auf einigen Standorten bald Kiefer und Fichte ersetzen.
Die Zapfenpflücker hoch oben in den Kronen dürfte etwas anderes interessieren: Hierzulande wächst kein Baum höher.