Foto-Projekt Literatur auf dem Scheiterhaufen
1933 wurden Bücherberge zu Scheiterhaufen. Jan Schenck dokumentiert die einstigen Plätze und war auch in Mitteldeutschland unterwegs.
Halle/Leipzig l „Übergebt alles Undeutsche dem Feuer“, brüllt Reichpropagandaminister Joseph Goebbels am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz Berlin zur jubelnden Menge. In der historischen Rundfunkaufnahme hört man den NS-Fanatiker: „Wir übergeben den Flammen die Werke von ...“
Heinrich Mann, Erich Kästner, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Alfred Kerr wurden zu „verbrannten Dichtern“. Tausende Bücher wurden mit der „Aktion wider den undeutschen Geist“ von den Nationalsozialisten zu Scheiterhaufen aufgetürmt, angesteckt, verkohlt, verbrannt. Eine Zeitung in Amerika schrieb vom „Holocaust of Books“.
Um die 100 Orte von Bücherverbrennungen seien bekannt, sagt Jan Schenck. 30 von ihnen hat der Fotograf, der im Wendland, an der Bundesland-Grenze zu Sachsen-Anhalt lebt, bisher besucht. Jetzt war er erneut in Mitteldeutschland unterwegs. Halle, Bautzen, Zwickau, Leipzig. Schenck hält die Orte der einstigen Feuer, Sprüche, Verunglimpfungen mit der Kamera fest – für das von ihm 2013 initiierte Online-Projekt „Verbrannte Orte“. Der 37-Jährige arbeitet an dem sich stetig erweiternden Atlas der NS-Bücherverbrennungen. Schenck ist Lesefreund. Er schätzt vor allem Erich Kästners Werk. „Verbrannte Orte“ nennt er ein Projekt gegen das Vergessen.
„Es ist spannend zu sehen, wie sich die Orte verändert haben“, sagt Schenck und erzählt über seine jüngste Recherchereise nach Sachsen und Sachsen-Anhalt. In Halle auf dem Universitätsplatz mit seiner historischen Bebauung gelinge es ihm gedanklich ein wenig, sich in die Zeit von einst hineinzuversetzen. Am 12. Mai 1933 applaudierten dort Tausende, als auf Initiative der Studentenschaft und unter dem Beifall des Rektors wie des Senats Bücher von mehr als 70 Schriftstellern vernichtet wurden. Eine Gedenktafel, von Künstler Bernd Göbel als Bodenplatte gestaltet, ist seit 2008 ins Pflaster eingelassen.
Ganz anders in Bautzen. In der sächsischen Stadt sei vom einstigen Geschehen nichts mehr spürbar. Wo Bücher angezündet wurden, hat Schenck einen zugeschütteten Steinbruch vorgefunden. Die Dekra-Prüfstelle hat dort ihren Sitz. Eine Erinnerung an einstiges Treiben – Fehlanzeige. „Es gibt oftmals keine sichtbaren Erinnerungen“, weiß der Fotograf. Auch in Zwickau nicht. Schenck stand am einstigen SPD-Haus, an dem eine Gedenkplakette angebracht ist zur Erinnerung an den SPD-Sitz. Die Bücherverbrennung ist nicht erwähnt.
„Die Erinnerungskultur ist mir sehr wichtig“, sagt der 37-Jährige. Er erzählt, dass die akribisch vorbereiteten Aktionen aus dem Kreise der deutschen Studentenschaft gut erforscht seien, es aber eine Dunkelziffer gebe, weil lokale Akteure überall im Land mit Begeisterung Bücher in die Flammen schmissen. Wenn Schenck unterwegs sei, bekomme er immer wieder Tipps. Dann beginne Überprüfung und Recherche. Auf Bautzen, so sagt Schenck, sei er erst vor kurzem durch solch einen Hinweis gekommen. Jetzt hat er den Ort fotografisch dokumentiert – mit Großformat-Aufnahmen, die seine sehr persönlichen Blicke festhalten, und mit einem 360-Grad-Panorama, das sich aus 160 Einzelbildern zusammensetzt.
Die Bilder werden nach und nach in den Online-Atlas eingestellt, mit Datum und Adresse und möglichst weiteren detaillierten Angaben.
Wie Pirna. „Plünderung und Verwüstung der Volksbuchhandlung durch die SA mit anschließender Verbrennung.“ Oder Dresden, Große Meißner Straße. „Am 7. März 1933 plünderten SA-Mannschaften die Volksbuchhandlung in der Großen Meißner Straße. Der Buchhändler wurde vermutlich vorher gewarnt und konnte große Teile seines Bestandes in Kohlesäcken versteckt aus dem Laden schmuggeln.“
Zehn Orte, die seinen Aussagen nach bis dato auf keiner Übersichtsliste vermerkt seien, liegen noch in Schencks To-Do-Ordner. Es werden auch sicher wieder mehr, vermutet er, weil er für das Projekt „Verbrannte Orte“ jede Menge wirbt. Schenck ist unterwegs zu Vorträgen, Konferenzen und Podiumsdiskussionen, zeigt seine Fotografien und die damit verbundenen Geschichten in Ausstellungen.
Seit 2017 investiert er in das ehrenamtlich geführte und von Spenden unterstützte Projekt wieder mehr Zeit. Etliche Helfer weiß er an seiner Seite, ohne die Auftritte wie jetzt zur Leipziger Buchmesse nicht möglich wären. Schenck zeigt sich glücklich, dass wieder eine Einladung vorliegt. Bereits im vergangenen Jahr sei der „Verbrannte Orte“-Stand von der Leipziger Buchmesse finanziert worden. Auch die Teilnahme in Frankfurt zur weltgrößten Buchmesse war nur durch eine Einladung möglich. „Die Resonanz auf beiden Messen war überwältigend. Das macht Mut. Je bekannter wir werden, je mehr Hinweise wir erhalten, desto besser können wir den Online-Atlas aufstellen“, sagt der Projekt-Initiator. Zur Messe vom 21. bis 24. März werden in Leipzig Bücher gefeiert. 1933 landeten sie in der Stadt auf zwei Scheiterhaufen.
Das Projekt präsentiert sich zur Leipziger Buchmesse in Halle 3, Stand D 210.