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Pilotprojekt im Test / Volksstimme entdeckt in drei Stunden zwei Beamte zu Fuß in Magdeburg Fußstreifen: Das Potemkinsche Dorf der Polizei

Von Matthias Fricke 16.05.2013, 03:18

Magdeburg l Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) kündigte Anfang April an, dass in Magdeburg "ab Mai in der Innenstadt an Schwerpunkten zu Fuß verstärkt Präsenz gezeigt werden soll". Ein Reporter machte sich auf die Suche nach den versprochenen Fußstreifen.

"Die Polizisten sollen für die Menschen wieder zum Anfassen sein. Wie zu alten Zeiten, als Beamte noch häufiger auf der Straße waren. Wir sind selbst auf die Reaktionen gespannt", meinte Innenminister Holger Stahlknecht enthusiastisch zu seinem Pilot-Projekt "Fußstreifen" im April dieses Jahres. Seit 14 Tagen sollten demnach Polizisten, zunächst im Magdeburger Stadtzentrum, wieder Laufen lernen. Die Volksstimme nahm eine Zwischenprüfung ab.

"In den letzten Jahren habe ich hier schon langen keinen mehr zu Fuß gesehen." - Siegfried Elze aus Magdeburg

Dienstag, 13 Uhr, Bahnhofsvorplatz. Außer ankommenden Reisenden, zwei Schulklassen und einigen Punks ist nichts Besonderes zu sehen. Letztere stehen vor dem Einkaufszentrum City Carré, trinken ihre Bierchen. Ein unangeleinter Hund wird lautstark über den Platz gejagt, erste Passanten drehen sich pikiert um. Es bleibt aber friedlich.

"Das ist ein Schandfleck, da kümmert sich kein Mensch drum", schimpft ein Taxifahrer, der seinen Namen nicht nennen will. Seine Kollegin Elke Grau meint: "Von einer Fußstreife habe ich hier lange nichts gesehen. Außer die dort drüben." Sie zeigt auf zwei Bundespolizisten am Eingangsportal. Ihr Bereich ist aber hauptsächlich der Hauptbahnhof.

Die versprochene "Verstärkung" ist es jedenfalls nicht.

Der 58-jährige Siegfried Elze aus dem angrenzenden Stadtteil Stadtfeld ist wie so oft in der Innenstadt und sagt: "In den letzten Jahren habe ich hier schon lange niemanden zu Fuß gesehen. Das liegt sicher auch daran, dass keiner mehr Respekt vor der Polizei hat. Die Beamten trauen sich vermutlich nicht." Er würde sich durchaus sicherer fühlen, wenn er Beamte auf der Straße sehen würde. "Doch diese sind ja nur mit den Funkstreifenwagen unterwegs", meint er.

Genau diesen Eindruck hatten auch die Ortsbürgermeister und Landräte auf den Informationsveranstaltungen in Magdeburg und Halle zur Polizeireform dem Innenminister vermittelt. Eine Forderung lautete deshalb: Beamte müssen vor Ort ansprechbar sein. Doch in der Landeshauptstadt ist auch nach einer Stunde auf der Ernst-Reuter-Allee, eine der belebtesten Straßen weit und breit, nichts von einer Fußstreife zu sehen.

Der 77-jährige Jürgen Albrecht sichtete auch niemanden: "Ab und zu werden dahinten mal Sicherheitsgurte von Autofahrern kontrolliert." Aber eine Fußstreife, so richtig wie früher? Nein, die habe er noch nicht gesehen.

Einer, der sich täglich im Stadtzentrum aufhält, ist Siegfried Polzin. Der 78-Jährige: "Ich habe schon viele Situationen erlebt, bei denen ich dachte: Jetzt müsste die Polizei hier sein." War sie aber nicht.

Inzwischen sind drei Stunden vergangen. Auch im Breiten Weg und auf dem Alten Markt ist nichts von einer Streife zu sehen.

"Es ist seit Jahren immer schlimmer geworden."- Arno Frommhagen, Gastwirt

Gastronom Arno Frommhagen, der gegenüber dem Karstadt-Kaufhaus sein Café hat, macht seinem Ärger Luft: "Es ist seit Jahren immer schlimmer geworden. Wir sind froh, wenn wir zum Weihnachtsmarkt noch eine Fußstreife abbekommen."

Gegen 16 Uhr taucht dann aber doch eine Streife auf. Es sind Polizeioberkommissar Jens Klapputh und Polizeihauptmeister Uwe Hellmich. Sie sind normalerweise als Kontaktbeamte in den südlichen Stadtteilen unterwegs und geben zu: "Wir sind die einzige Fußstreife im Stadtzentrum, da brauchen Sie gar nicht weiter suchen." Zwischen Universitätsplatz und Hasselbachplatz liegt ihr Bereich. "Unsere Arbeit in den Stadtteilen bleibt dafür natürlich liegen", sagt Hellmich. Zwischen 10 und 18 Uhr sollen beide ihren Dienst im Stadtzentrum versehen.

Immerhin: Die Akzeptanz der Magdeburger auf die uniformierten Fußgänger scheint groß zu sein. Sie werden oft angesprochen, auch von Touristen. "Wir haben hier wirklich nur positive Erfahrungen gesammelt", sagt der Kontaktbeamte.

Doch ist es das, was der Innenminister im April versprochen hat? Kontaktbeamte sind ohnehin zu Fuß unterwegs. Aber eben in ihren speziellen zugewiesenen Bereichen.

Der Vertreter des Polizeipräsidenten Gerhard Degner, sein Chef ist wie der Innenminister im Urlaub, verteidigt sich: "Der Eindruck täuscht. Es waren noch zwei weitere Doppelstreifen im Stadtzentrum im Rahmen des Pilotprojektes unterwegs. So wie es die Konzeption vorsieht."

Da die beiden Kontaktbeamten zum Revier und die anderen Zusatzkräfte zur Direktion gehören, hätten sie aber von einander vermutlich nichts gewusst. Dieses "Defizit" wolle er künftig aber abstellen.

Dass die beiden anderen Fußstreifen nicht zu sehen waren, erklärte Degner so: "Sie sollen ja auch in Bussen und Bahnen unterwegs sein, da könnten sie auch schnell übersehen worden sein. Sie waren aber unterwegs. Sicher müssen wir sehen, wie wir künftig präsenter auf der Straße zu sehen sein werden."

"Das Verständnis bei den Beamten für Fußstreifen ist leider eingeschlafen." - Gerhard Degner, Vertreter des Polizeipräsidenten der Direktion Nord

Degner räumte aber auch ein: "Das Verständnis bei den Beamten für Fußstreifen ist leider in den letzten Jahren eingeschlafen. Wir machen da einen Lernprozess durch."

Innenministeriumssprecherin Pia Leson: "Wir halten an dem Konzept der Fußstreifen weiter mit Priorität fest." Auch sie versichert, es sei keine Mogelpackung.