Germanistik Kornelia Pollmann über die deutsche Sprache
Kornelia Pollmann vom Germanistik-Institut der Uni Magdeburg sprach im Interview über den Zustand der deutschen Sprache.
Magdeburg l An diesem Spätnachmittag kurz vor Weihnachten sind die Regale im Büro von Kornelia Pollmann noch voll. An den obligatorischen Duden schmiegen sich Bücher wie „Kafka im Comic" oder „Mit gespaltener Zunge? – Die deutsche Sprache nach dem Mauerfall". Die schlanke Sprachwissenschaftlerin mit blondem Haar und Brille hat Plätzchen auf den Tisch gestellt, es duftet nach frisch gebrühtem Kaffee. Der Besucher soll sich wohlfühlen.
Doch ein nüchterner Blech-Container kündet bereits vom nahenden Auszug. Nach 34 Jahren am Institut für Germanistik der Otto-von-Guericke-Universität ist die 65-Jährige zum Jahreswechsel in den Ruhestand gewechselt. Wenn es um die deutsche Sprache ging, führte zuletzt in Sachsen-Anhalt kaum ein Weg an Pollmann vorbei. Eine ganze Generation von Studenten hat sie ausgebildet. Als Chefin der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Magdeburg versuchte sie, die Sachsen-Anhalter in zahllosen Abendveranstaltungen für die Entwicklung ihrer Sprache zu begeistern. Jahrelang saß sie in einer Jury der GfdS, die das Wort des Jahres kürt ...
Volksstimme: Frau Pollmann, auf Ihren Vorschlag hin hat die Gesellschaft für deutsche Sprache 2014 „Lichtgrenze" zum „Wort des Jahres" gekürt. Das geschah in Anlehnung an eine Installation mit leuchtenden Ballons am 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. 2018 ist das „Wort des Jahres" nun „Heißzeit" geworden – eine gute Wahl?
Kornelia Pollmann: Ich denke schon. „Heißzeit" fasst zwei Phänomene zusammen, die die Menschen 2018 beschäftigt haben: Zum einen hatten wir einen Jahrhundertsommer. Er wird überlagert vom zunehmend spürbaren Klimawandel. Unabhängig davon glaube ich allerdings nicht, dass dieses Wort weiter Karriere machen wird.
Der Autor Eugen Ruge hat in einem Beitrag für „Die Zeit" jüngst vor dem Aussterben des Deutschen gewarnt. Seine Argumentation: Deutsch sei schon heute in Wissenschaft und Wirtschaft kaum noch konkurrenzfähig. Da sei es nur eine Frage der Zeit, bis Englisch auch in die Alltagssprache eindringt. Hat er recht?
Nein, ich glaube nicht. Unsere Sprache ist über Jahrhunderte gewachsen. Sie verfällt nicht, nur weil wir Anglizismen benutzen oder Englisch als Konferenzsprache gebraucht wird. Der Wandel des Wortschatzes ist im Gegenteil Ausdruck einer lebendigen Dynamik. Im Übrigen gibt es ja auch gegenläufige Tendenzen. So spricht man heute wieder häufiger von Rechnern statt Computern. Statt „Service-Point" wird wieder bevorzugt das Wort Auskunft benutzt.
Grammatik-Liebhaber wittern dennoch überall Verfall. Bücher wie „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" kommen ja nicht von ungefähr ...
Am Beispiel des Genitivs wird deutlich, wie sich Sprache verändert. Zu Goethes Zeit lesen wir „sich erinnern" noch mit Genitiv. Heute erinnern wir uns nicht „des letzten Jahres", sondern „an das letzte Jahr" und gebrauchen einfach den Präpositionalkasus. Hier sollten wir aber mehr Gelassenheit entwickeln. Keinesfalls brauchen wir eine „Sprachpolizei". Bei vielen Abendveranstaltungen der Gesellschaft für deutsche Sprache haben wir versucht, Leute dafür zu sensibilisieren, dass sich in der Sprache Varianten entwickeln. Wie Sprache verwendet wird, entscheiden am Ende immer die Sprecher. Es gibt da oft nicht nur schwarz und weiß, richtig oder falsch.
Gibt es 29 Jahre nach der Wende eigentlich noch so etwas wie eine ostdeutsche Sprache?
Die gab es so nie. Was es gab, waren Wörter wie „Broiler" oder „geflügelte Jahresendfigur" (lacht). Richtig ist, dass wir innerhalb unseres Sprachgebrauchs immer auf verschiedene Register zugreifen können: Da sind etwa der Regiolekt, die Sprache der Berufswelt oder ganz eigene Wortkreationen, die nur in der Familie gelten.
Am Institut für Germanistik haben Sie wechselvolle Zeiten erlebt. Wo steht das Institut heute?
Durch Einsparauflagen des Landes stand die Germanistik auf der Kippe. Das Lehramt und mit ihm geisteswissenschaftliche Fächer wurden in Halle konzentriert, dafür sollten die Ingenieurwissenschaften in Magdeburg gestärkt werden. Unser Professor Armin Burkhardt hat damals vehement für den Erhalt der Germanistik hier gestritten, ebenso die Studenten – letztlich glücklicherweise mit Erfolg. Inzwischen haben wir mit der „Germanistik mit interdisziplinärem Profil" einen neuen Studiengang. Er öffnet das Fach für Kombinationen mit Informatik, Wirtschaftswissenschaften oder Medien. Das war überaus klug.
Es ist Ihr Verdienst, dass Studenten Germanistik heute mit dem Profil Medien kombinieren können. Wie kam es dazu?
Um die 2000er Jahre kamen immer wieder Studenten zu mir, die gesagt haben: ‚Ich will irgendwas mit Medien machen‘ – heute ein geflügeltes Wort (lacht). Ich habe mir gedacht, wenn das so ist, müssen wir ein Programm entwickeln, mit dem die Studenten Theorie-Wissen anwenden und so ins journalistische Handwerk einsteigen können. Daraus ist letztlich eine große Erfolgsgeschichte geworden. Wir haben begonnen, Workshops mit der Volksstimme, dem Radio und dem Fernsehen anzubieten. Als das immer besser anlief, wurden wir auch von der Uni finanziell unterstützt. Und das Profil Medien ist Teil des neuen Studiengangs. Ich merke bis heute immer wieder, welch riesige Freude es den Studenten macht, wenn sie in einer Redaktion eigene Beiträge erarbeiten und diese später lesen, hören oder sehen. Das ist oft wie ein großer Aha-Effekt.
Und ausgerechnet jetzt gehen Sie in den Ruhestand ...
Ja, aber ich weiß auch, dass es am Fachbereich mit der Medienlinguistik weitergehen wird. Das ist ein großes Geschenk. Die enge Partnerschaft mit vielen meiner Studenten nehme ich dankbar mit. Ein respektvoller und offener Umgang waren mir immer wichtig. Dass sich viele jetzt noch einmal persönlich gemeldet haben, macht mich glücklich. Das wird bleiben.