Gewalt Mehr als 2400 Straftaten an Schulen
Diebstahl, Körperverletzung, Beleidigung - jede sechste Straftat an Sachsen-Anhalts Schulen ereignet sich an einer Grundschule.
Magdeburg l Februar 2016, eine Grundschule im Landkreis Börde: Ein Drittklässler tauscht Fußballsticker mit einem Mitschüler. Doch als dem Jungen irgendwann die Aufkleber ausgehen, wird sein Tauschpartner wütend. Als Ersatz verlangt dieser Kaugummi und andere Süßigkeiten, eines Tages sogar Geld. Und um seinen Forderungen Gewicht zu verleihen, droht das tatverdächtige Kind seinem Mitschüler mit Schlägen und anderer körperlicher Gewalt. Der Junge vertraut sich seinen Eltern an, der Vater erstattet Strafanzeige bei der Polizei.
Von den 2404 Straftaten, die im vergangenen Jahr an Sachsen-Anhalts Schulen verübt wurden, ereignete sich jede sechste Tat (mehr als 360) an einer Grundschule, also bei den Sechs- bis Zehnjährigen. Von den insgesamt 1511 Tatverdächtigen war rund ein Drittel (486) jünger als 14 Jahre alt.
Schulleiter und Polizei beobachten seit Jahren, dass Schlägereien, Diebstähle und Beleidigungen unter Schülern vermehrt zur Anzeige gebracht werden. „Die Eltern sind heute schneller bei der Polizei als früher“, sagt Beatrix Mertens, Sprecherin der Polizeidirektion Nord. Zum Teil sei das berechtigt. Manche Eltern seien jedoch „etwas übersensibel“.
Simone Henes, Schulleiterin der Pestalozzi-Grundschule in Burg, bestätigt das. „Vor zwei Jahren hatten wir zwischen zwei Schülern eine Schlägerei, nach der die eine Partei Anzeige erstattet hat. Aus unserer Sicht hätte es gereicht, das ohne die Polizei zu klären“, erzählt sie. Lehrer sehen vor allem Beleidigungen als Hauptproblem. Der Ton in der Schule sei vulgärer geworden, sagt Henes. „‚Fick dich‘ gehört bei vielen Kindern inzwischen leider zum normalen Sprachgebrauch.“
Ihre Kollegin Heidemarie Henning von der Comenius-Sekundarschule in Stendal sieht das ähnlich. „Wir sind vermehrt damit konfrontiert, dass Schüler sich Beschimpfungen im Internet abgucken“, sagt sie. Eine Vielzahl der Beleidigungen – auch gegen Lehrer – werde gar nicht zur Anzeige gebracht, sagt die Schulleiterin. „Wir melden nur akute Vorfälle.“ Insgesamt ist die Zahl der Straftaten an Schulen leicht rückläufig.
2015 wurden noch 2593 Vorfälle registriert, 2010 waren es 2791 gewesen. An den Sekundarschulen wurden im vergangenen Jahr rund doppelt so viele Vorfälle erfasst wie an Gymnasien. Jungen fallen dabei deutlich häufiger auf als Mädchen: 77 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich.
Der Landeselternrat sieht die Entwicklung mit Sorge. „Die Kinder trauen sich heute viel mehr als vor 20 Jahren“, sagt Vorsitzender Thomas Jaeger. „Lehrer sind keine Respektspersonen mehr.“ Leider würden manche Eltern mit schlechtem Beispiel vorangehen und ihre Kinder nach Fehltritten auf falsche Weise beschützen, so Thomas Jaeger. „Wir haben es schon erlebt, dass ein Vater trotz eindeutig belegbarer Vorfälle mit zwei Anwälten zum Lehrer marschiert ist, um sein Kind rauszuboxen. So etwas ist verheerend. Das vermittelt dem Kind: Du kannst dir alles erlauben.“