Im Land fehlen die Allgemeinmediziner / Studienprogramme und finanzielle Anreize lösen das Problem nicht. Hausarztmangel: Viele Rezepte, geringe Wirkung
In Halle studieren derzeit 44 angehende Mediziner in einer speziellen
Klasse für Allgemeinmedizin. Der Studiengang ist eine von vielen
Strategien gegen den Hausarztmangel im Land. Die Maßnahmen werden die
drohende Unterversorgung aber nur dämpfen können.
Halle/Magdeburg. Als Ende November der Startschuss für die neue Klasse "Allgemeinmedizin" an der Universität Halle fiel, war das ein guter Tag für Sachsen-Anhalt. Gegen den Trend hatten sich auch im dritten Jahrgang des speziellen Medizinstudiums 20 Studenten gefunden, die sich vorstellen können, später einmal als Hausarzt zu arbeiten - vielleicht sogar in Sachsen-Anhalt.
Einer, der den Studiengang vor zwei Jahren begonnen hat, ist Stephan Müller. Der 28-Jährige hat sich bewusst für diese Ausbildung entschieden. "Mein Vater ist Hausarzt in der Nähe von Eisleben", erzählt er. "Ich bin sozusagen mit diesem Beruf aufgewachsen." Verläuft alles nach Plan, will Stephan Müller die Praxis seines Vaters nach seiner Facharztausbildung übernehmen.
Junge Leute wie Stephan Müller hat Sachsen-Anhalt bitter nötig. Denn die Zahl der praktizierenden Hausärzte nimmt zwischen Altmark und Burgenlandkreis in beunruhigender Weise ab. "380 unserer Ärzte sind schon heute älter als 60 Jahre", sagt Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt. Die Versorgung sei vielerorts nur gesichert, weil Ärzte im Rentenalter weiterarbeiteten. So lobenswert das Engagement der älteren Ärzte ist, sehr lange wird sich die wachsende Unterversorgung vor allem in ländlichen Regionen nicht mehr kaschieren lassen. "Wenn wir davon ausgehen, dass ein Hausarzt mit durchschnittlich 65 Jahren aufhört, rechnen wir mit 825 offenen Stellen bis 2025", sagt John - bei einem Bestand von aktuell rund 1400 Stellen.
Vollstipendium gegen Niederlassung im Land
Die Ursachen für den Hausarztmangel sind vielfältig: Eine Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat ergeben, dass das wahrgenommene finanzielle Risiko, eine niedrige Vergütung, übermäßige Bürokratie und lange Dienstzeiten die wichtigsten Gründe sind, die Mediziner von der Wahl des Hausarztberufs abhalten. Hinzu komme, dass gerade ländliche Regionen, die wegen der demografischen Entwicklung mittelfristig besonders viele Hausärzte brauchen würden, als unattraktiv wahrgenommen würden, sagt John.
Die Verantwortlichen in Sachsen-Anhalt versuchen seit Jahren, dem Trend zu begegnen. So hat die KV Stiftungsprofessuren an den Universitäten Halle und Magdeburg verankert, die die Allgemeinmedizin fördern sollten und die als reguläre Professuren bis heute bestehen.
Neben einem bundesweit ausgeschriebenen Hausarzt-Stipendium gibt es seit 2011 außerdem die Klasse "Allgemeinmedizin" in Halle. Mit speziellen Studieninhalten und in Kooperation mit praktizierenden Hausärzten werden hier 20 Studenten pro Jahrgang auf ihre spätere Arbeit als Hausärzte vorbereitet. Ab diesem Jahr können die künftigen Mediziner dabei sogar ein Vollstipendium der KV in Höhe von 800 Euro monatlich in Anspruch nehmen. Im Gegenzug müssen sie sich bereiterklären, für die Dauer ihrer Förderung nach der Ausbildung als Hausärzte im Land zu arbeiten. Auch Stephan Müller wird sich wohl für das Stipendium entscheiden.
Wie viele Hausärzte aus der Klasse "Allgemeinmedizin" tatsächlich einmal hervorgehen werden, ist derzeit völlig offen. Andreas Klement, Leiter der Sektion Allgemeinmedizin an der Universität Halle, zieht aber ein positives Zwischenfazit: "Von den 58 Studenten der ersten drei Jahre sind noch 44 dabei", sagt er. Den Verlust habe man erwartet, denn die Klasse fordere von ihren Studenten eben auch mehr als andere Fachrichtungen. Erfreut ist Klement auch über die nach wie vor große Nachfrage des Studiengangs. "Wir hatten auch in diesem Jahr wieder mehr Bewerber als Plätze", sagt er.
Das neue Stipendium der KV empfindet Klement als Bestätigung der Klasse "Allgemeinmedizin". Allerdings ist das Geld aus seiner Sicht nur ein Sahnehäubchen auf dem Kuchen. "Viel wichtiger ist doch, ob das Angebot die Studenten darüber hinaus auch fachlich und menschlich überzeugt", sagt er.
Nur fünf Prozent wollen in den Hausarztberuf
Mit Blick auf die Zukunft verweist Klement auf ein Projekt in den USA. Im US-Bundesstaat Pennsylvania sei ein ähnliches Programm so erfolgreich gelaufen, dass nach 30 Jahren jeder dritte Landarzt der Region aus dem Studienprogramm kam, obwohl nur ein Prozent aller Medizinstudenten daran teilgenommen hatte.
Ist mit der Klasse "Allgemeinmedizin" also ein wirksames Rezept gegen den Hausarztmangel gefunden? So weit will Andreas Klement in seiner Einschätzung nicht gehen. "Ich denke, die Klasse kann nicht der einzige Weg sein", sagt der Mediziner. Und auch KV-Chef John äußert sich zurückhaltend: "Das Problem des Ärzteschwunds können wir mit diesen Maßnahmen nicht lösen." Es könne nur darum gehen, es abzudämpfen.
Wie unattraktiv der Hausarztberuf trotz Stipendien und Studienprogrammen insgesamt ist, wird anschaulich, wenn man sich die Zukunftspläne von Medizinstudenten außerhalb der Förderklassen anschaut: Von den Absolventen des letzten Mediziner-Jahrgangs in der Landeshauptstadt Magdeburg haben lediglich fünf Prozent angegeben, sie könnten sich vorstellen, eine Facharztausbildung als Allgemeinmediziner zu absolvieren - die Frage nach dem Ort der Niederlassung war da noch gar nicht enthalten.
An diesen insgesamt schlechten Aussichten ändert wohl auch die Tatsache nichts, dass es neben der Förderung der Allgemeinmedizin an den Universitäten inzwischen ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen gibt, wie die Gründungsförderung für Arztpraxen, Mindestumsatzgarantien oder die Abschaffung der Residenzpflicht.
Vielleicht kommt manche Initiative auch zu spät: "Wir haben schon vor zehn Jahren über den Ärztemangel diskutiert", sagt Burkhard John. "Wenn wir früher angefangen hätten, hätten wir vielleicht mehr machen können." Doch damals hätten die Ersatzkassen das Problem geleugnet.
In Magdeburg wird es eine Klasse "Allgemeinmedizin" der Halleschen Variante übrigens nicht geben. Ebenfalls für 2011 vorgesehen, scheiterte das Projekt daran, dass sich zu wenige Studenten schon im ersten Semester auf eine allgemeinmedizinische Ausbildung festlegen wollten. Inzwischen hat sich die Universität von dem Projekt in dieser Form offenbar ganz verabschiedet. "Eine Festlegung im ersten Semester kommt zu früh", sagt Hermann Josef Rothkötter, Dekan der medizinischen Fakultät. Sie gehe an der Lebenswirklichkeit junger Menschen vorbei.