Impfung Landesregierung kritisiert Impfungen
In Halle haben sich Politiker vorzeitig impfen lassen. Das stößt auf viel Kritik.
Magdeburg (dpa) l Die lang ersehnten Impfstoffe gegen das Corona-Virus sind knapp – nur die wenigsten können sich bisher gegen das Virus immunisieren lassen. In Sachsen-Anhalt gab es anscheinend Verstöße gegen die vom Bund festgelegte Reihenfolge: So haben im Landkreis Stendal mehr als 300 Polizisten schon ihre Impfung erhalten, ebenso der Oberbürgermeister von Halle, Bernd Wiegand (parteilos) und zehn seiner Stadträte. Auch der Landrat von Wittenberg, Jürgen Dannenberg, und sein Stellvertreter sollen schon geimpft worden sein. Kritik kam aus dem Gesundheitsministerium des Landes.
Derzeit sollen in Deutschland nur Menschen geimpft werden, die zur höchsten Priorität gehören, wie sie in der Bundesimpfordnung festgelegt ist. Neben Menschen über 80 Jahren, Bewohnern in Alten und Pflegeheimen sind das Pflegekräfte und medizinisches Personal, das Covid-19-Erkrankte behandelt oder Patienten, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Neben Sachsen-Anhalt soll es auch in Niedersachsen Verstöße gegen die Impfreihenfolge gegeben haben.
Am Donnerstag waren zunächst die Impfungen aus Stendal bekannt geworden. Der Kreis hatte nach eigenen Angaben im Januar einen Feldversuch gemacht, um zu testen, wie sich außerhalb der Impfzentren viele Menschen impfen lassen. Als Probanden wurden Polizisten genommen: 320 von ihnen hätten bei dem Test Mitte Januar ihre Impfungen bekommen.
Am Freitag berichtete der MDR, dass der Landrat von Wittenberg, Jürgen Dannenberg (Die Linke) und sein Stellvertreter Jörg Hartmann (CDU) geimpft worden seien – und zwar am 26. Dezember – also vor dem offiziellen Impfstart. Dannenberg und der Kreis waren am Samstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Das Gesundheitsministerium bestätigte, die Landkreise Stendal und Wittenberg zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert zu haben.
Am Samstag räumte der OB von Halle ein, eine Erstimpfung bekommen zu haben. Außerdem seien zehn Stadträte geimpft worden. Zuvor hatte die "Mitteldeutsche Zeitung" berichtet. Der Oberbürgermeister sagte, er und seine Mitarbeiter seien aus übrig gebliebenen Dosen geimpft worden. Das Impfteam versuche bei solchen Resten, zunächst Angehörige der ersten Prioritätsgruppe zu erreichen. Gelinge das nicht, würden aus einem Pool von Mitarbeitern der Stadt, von Rettungsdiensten und Fachärzten zufällig Kandidaten für die sogenannte Ad-hoc-Impfung ermittelt. 585 Menschen seien bislang in Halle mit übrig gebliebenen Dosen geimpft worden, sagte Wiegand.
Am 17. Januar habe ihn das Impfteam angerufen und in einem Krankenhaus geimpft. Zuvor habe er sich mehrfach vergewissert, dass kein Mitarbeiter des Krankenhauses zu dem Zeitpunkt für eine spontane Impfung zur Verfügung gestanden habe, sagte der Oberbürgermeister. Wiegand verteidigte das Vorgehen und nannte es transparent. Er habe seine Erstimpfung nicht bekanntgemacht, da dies Privatsache sei.
Fragen danach, wer aus der Verwaltung außer ihm und den zehn Stadträten schon vorzeitig geimpft wurde, halte er für problematisch. "Man kann fast sagen, das ist eine Hexenjagd auf die Personen, die geimpft sind." Er habe seine Erstimpfung nicht von sich aus bekannt gegeben, da es eine private Angelegenheit gewesen sei. Der zweite Termin sei noch nicht festgelegt.
Die Landesregierung kritisierte die Verantwortlichen und forderte sie auf, sich zu erklären. "Ich habe keinerlei Verständnis, wenn bundesweit festgelegte Impfreihenfolgen missachtet werden", sagte Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) am Samstag. "Das gilt für Stendal, das gilt für Wittenberg, das gilt für Halle." Sie werde sich zunächst Bericht erstatten lassen, sagte Grimm-Benne. "Aber fest steht: Sachsen-Anhalt erhält Impfstoff vom Bund. Und es ist festgelegt, wer diesen in der ersten Priorität erhalten soll." Spezialkontingente für die Polizei oder Politik gebe es nicht. "Und das ist auch gut so."
Auch Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) forderte die Politiker auf, sich an die festgelegte Reihenfolge zu halten. Die Impfverordnung des Bundes sei "eine klare Rechtsgrundlage, die strikt einzuhalten ist", sagte Haseloff am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. "Alle politischen Verantwortungsträger sind in der Pflicht, für die Durchsetzung der Verordnung Sorge zu tragen und durch Transparenz des Handelns die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger sicher zu stellen."
Scharfe Kritik kam auch von weiteren CDU-Politikern. Sollten sich die Berichten bestätigen, sei das ein Skandal und inakzeptabel, sagte der Vorsitzende des CDU-Kreisverbands Halle, Marco Tullner. "Hier scheint der moralische Kompass abhanden gekommen zu sein", ergänzte er. "Gerade wir als Politiker müssen in Zeiten, in denen wir an die gesellschaftliche Solidarität und den Zusammenhalt appellieren, mit gutem Beispiel voranschreiten."
Auch der Magdeburger CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge kritisierte das Vorgehen und forderte eine umgehende Aufklärung. "Wir haben im Bundestag bei Priorisierung der Impfungen bewusst Hochbetagte und Risikogruppen bevorzugt", twitterte Sorge am Samstag. "Aktuelle "Ausnahmen" erweisen Akzeptanz einen Bärendienst."
Die FDP Halle forderte Wiegand zum Rücktritt auf. Wiegand fordere von den Hallensern seit Monaten Solidarität ein. "Sich bereits jetzt vor stark gefährdeten Personen impfen zu lassen, ist vor allem moralisch absolut verwerflich", teilte der stellvertretende Kreisvorsitzende Andreas Silbersack mit. "Wer zum Nachteil der vulnerablen Gruppen unserer Stadt handelt, muss persönliche Konsequenzen ziehen."