Staatsvertrag teilweise verfassungswidrig / Gemeindezahlen umstritten Jüdischer Gemeinschaft droht neuer Streit
Öffentliche Mittel für die jüdischen Gemeinden werden über deren Landesverband verteilt - lange Zeit zu Unrecht, hat jetzt das Landesverfassungsgericht in Dessau-Roßlau entschieden. Der Streit ums Geld geht aber wohl noch weiter.
Dessau-Roßlau (dpa) l Die Verteilung öffentlicher Mittel an die jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt hat in Teilen gegen die Verfassung verstoßen. Das entschied das Landesverfassungsgericht am Dienstag in Dessau-Roßlau. (Az: LVG 1/12; LVG 2/12).
Das Land habe dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden zwischen 1994 und 2006 per Staatsvertrag die Verteilung des Geldes und damit eine staatliche Aufgabe übertragen - ohne dass die Kriterien dafür hinreichend bestimmt waren, entschieden die Richter. 2006 wurde der Vertrag geändert.
Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Magdeburg sei damit in einen Interessenkonflikt geraten. Er verteile das Geld an die Gemeinden, egal ob sie dem Landesverband angehören oder nicht, und auch an sich selbst. Gegen diese Praxis protestiert seit Jahren die Synagogengemeinde zu Halle, die nicht Mitglied im Landesverband ist.
Ein "anteilig" genügt nicht
Im Staatsvertrag von 1994 seien weder der Kreis der Berechtigten noch die Kriterien der Verteilung des Geldes hinreichend geregelt gewesen, sagte der Präsident des Landesverfassungsgerichts, Winfried Schubert. Ein "anteilig" genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Für die Zeit bis 2006 fehle die Rechtsgrundlage, der Staatsvertrag von 1994 sei somit teilweise nichtig, sagte ein Gerichtssprecher der Nachrichtenagentur dpa.
Das Kultusministerium erklärte, es werde nun geprüft, was aus dem Urteil folgt. Das Landesverfassungsgericht habe keine grundsätzliche Entscheidung getroffen, wie das Geld verteilt wird, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Unklar ist daher, ob etwa die Synagogengemeinschaft zu Halle auf eine Nachzahlung für die Zeit von 1994 bis 2006 vom Land hoffen kann. Deren Vorsitzender Karl Sommer sagte: "Wir haben zehn Jahre lang kein Geld bekommen, wir konnten nicht mal unseren Rabbiner bezahlen."
Der Landesvorsitzende der Jüdischen Gemeinden, Max Privorozki, betonte, die Mittel des Landes seien nach bestem Wissen und Gewissen vergeben worden. Nach seinen Angaben haben die Gemeinden rund 1800 Mitglieder.
Der Rechtsstreit gehe vermutlich weiter, sagte Sommer. Denn auch um die Mitgliederzahlen in den jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt und deren Nachweis gibt es Streit. Die Zahlen sind für die Höhe staatlicher Zuwendungen an die Gemeinden wichtig.
Das Landesverfassungsgericht hatte das Oberverwaltungsgericht Magdeburg mit einem Normenkontrollverfahren zur Entscheidung über die Regelungen im Staatsvertrag von 1994 angerufen. Zuvor hatte sich damit das Verwaltungsgericht Halle befasst.
Nach dem neuen Staatsvertrag von 2006 erhalten der Landesverband und die jüdischen Gemeinden jeweils Sockelbeträge, der Rest werde nach Mitgliederzahlen verteilt, erklärte ein Sprecher des Landesverfassungsgerichts. Die Mitgliederzahlen seien durch den Zen-tralrat der Juden zu bestätigen. Ob der Staatsvetrag von 2006 verfassungsgemäß ist, hatte das Gericht in Dessau-Roßlau nicht zu entscheiden.
Land zahlt 1,3 Millionen Euro
Nach bisherigen Angaben zahlt das Land jährlich rund 1,3 Millionen Euro an die Jüdische Gemeinschaft. Diese besteht nach Angaben des Kultusministeriums aus der Synagogengemeinde Magdeburg, der Jüdischen Gemeinde Dessau und der Jüdischen Gemeinde Halle, die alle in einem Landesverband organisiert sind. Daneben gibt es die Jüdische Gemeinde Magdeburg und die Synagogengemeinde Halle.