Krankenhäuser Warnung vor Klinik-Sterben in Sachsen-Anhalt
Ein Drittel der Kliniken in Sachsen-Anhalt könnte verschwinden. Davor warnt der Stendaler Krankenhaus-Chef Dr. Thomas Krössin.
Magdeburg l Sachsen-Anhalts Kliniken steuern schweren Zeiten entgegen. Im Interview warnt der Geschäftsführer des Krankenhauses Stendal, Dr. Thomas Krössin, vor einem Klinik-Sterben. Krössin, zugleich Geschäftsführer der Johanniter-Krankenhaussparte, fordert Investitionen. Andernfalls hätten Notfall-Patienten auf dem Land künftig schlechtere Genesungschancen.
Volksstimme: Herr Dr. Krössin, die Landesregierung wird sich in den nächsten Tagen voraussichtlich zum Erhalt aller 48 Krankenhäuser in Sachsen-Anhalt bekennen. Klingt das nicht nach guten Nachrichten?
Thomas Krössin: Ausschließlich positive Nachrichten klingen anders. Sozialministerin Petra Grimm-Benne formuliert den Erhalt aller Krankenhaus-standorte ordnungspolitisch als Ziel. Gleichzeitig aber ist zu lesen, dass die Investitionsmittel des Landes für die Krankenhäuser trotz weiterhin steigender Kosten nicht erhöht werden. Beide Botschaften passen in der Realität nicht zusammen und erschweren den Krankenhausbetreibern, wirtschaftlich stabile Verhältnisse zu schaffen.
Geht es den Kliniken so schlecht?
Die Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt hat einen Sanierungsstau von 1,5 Milliarden Euro in den Kliniken ausgemacht. Die Investitionsmittel des Landes sind seit Jahren viel zu niedrig. Das zwingt die Krankenhausträger, Erlöse aus der Leistungsvergütung durch die Krankenkassen, die für die qualitativ hochwertige pflegerische und medizinische Versorgung der Patienten gedacht ist, etwa in bauliche Investitionen umzuleiten. Mit neuen Bundesgesetzen wird auch ab 2020 der Investitionsstau nicht aufgelöst – ganz im Gegenteil. Die Ökonomisierung der Medizin wird zunehmen und freie und gemeinnützige Krankenhausträger vom Markt verdrängen. Konfessionelle Krankenhausträger agieren mit deutlich geringeren Renditeerwartungen. Wenn die Rahmenbedingungen sich nicht ändern, ist in zehn Jahren mindestens ein Drittel der Kliniken in Sachsen-Anhalt verschwunden und mit ihnen Versorgungsqualität sowie regionale Arbeitsplätze.
Frau Grimm-Benne war nicht untätig. Bis 2021 hatte sie eine Verdopplung der Mittel von jetzt 48,8 auf dann mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr geplant. Die Finanzer ließen das wegen des völlig überdehnten Haushalts nur nicht durchgehen...
Krankenhausförderung ist aktive regionale Wirtschaftspolitik. Wird in ein Krankenhaus investiert, hat das positive Folgeeffekte. Ein modernes Krankenhaus ist für Ärzte und Pflegekräfte ein attraktiver Arbeitgeber. Hochqualifizierte Mitarbeiter kommen ins Land und bleiben hier. Eine deutliche Erhöhung des Landeshaushalts für die Krankenhäuser sollte parteienübergreifendes Ziel der Landespolitik sein.
Von welchen Summen reden wir?
300 bis 400 Millionen Euro im Jahr wären angesichts des existenzgefährdenden Investitionsstaus angemessen. Wir brauchen im ersten Schritt einen politischen Masterplan, wenn alle Krankenhaus-Standorte erhalten werden sollen.
Studien weisen in eine völlig andere Richtung. Die Bertelsmann-Stiftung stellte im Sommer fest, die Senkung der Klinik-Standorte in Deutschland von derzeit 1400 auf weniger als 600 könnte die Patientenversorgung deutlich verbessern...
Bezogen auf den ländlichen und infrastrukturschwachen Raum, sind solche Aussagen nicht haltbar. Ein Wegfall von Krankenhäusern in Ballungsräumen wie Berlin oder Dresden, in denen die Klinikdichte hoch ist und die Rettungswege kurz sind, mag richtig sein. In Flächenländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt hat das unmittelbar Konsequenzen für die medizinische Versorgungsqualität.
Auch die Kassen dringen auf Konzentrationen. Sie sagen: Kleine Standorte könnten die Grundversorgung wie Notaufnahme und Nachsorge übernehmen und ansonsten eher ambulant behandeln. Komplizierte Therapien sollen großen Häusern überlassen bleiben. Das wäre nicht nur billiger, sondern auch zum Wohl der Patienten.
Man kann nur teilweise so argumentieren. In Sachsen-Anhalt hängen die Überlebenschancen bei zeitkritischen lebensbedrohlichen Ereignissen, bei schweren Akuterkrankungen vom Wohnort ab. Soll das gesundheitspolitisch unser Ziel sein? Vom Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse entfernen wir uns da immer weiter.
Können Sie das konkreter machen?
Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. Um neurologische Schäden so gering wie möglich zu halten, müssen die Patienten sehr früh versorgt werden, Es gilt der Satz „Time is Brain“. Wenn nur eine medizinische Grundversorgung aufrecht-erhalten bleibt, müssen Patienten 50 oder 100 Kilometer bis zur nächsten regionalen Stroke-Unit transportiert werden. Eine intakte, zeitlich kurze Rettungskette kann im Zweifel über Leben und Tod entscheiden. Das gleiche gilt für Herzinfarktpatienten.
Die Landesregierung verweist darauf, dass auch die Bundesgesetzgebung es kleinen Standorten schwermacht. Ab 2020 gelten Mindestzahlen für Operationen und neue Personaluntergrenzen für pflegeintensive Fachabteilungen wie die Neurologie. Mehrere Häuser dürfen ab 2020 zum Beispiel keine Kniegelenke mehr operieren. Das alles deutet auf eine gewollte Verschlankung.
Hauptsächlich die Bundespolitik verantwortlich zu machen, ist falsch. Es gibt eine politische Verpflichtung jeder Landesregierung von Bayern bis ins Saarland, wenn sie öffentlich bekundet, an allen Krankenhausstandorten festzuhalten. Wer sich so äußert, muss die Voraussetzungen schaffen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat immerhin erkannt, dass Krankenhäuser eine soziale Funktion für die lokale Lebensqualität haben genauso wie weiterführende Schulen und städtische Theater. Wer die medizinische Versorgungs- und damit Lebensqualität abbaut, trägt zum Niedergang einer Region bei, da die Kliniken ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und bedeutender Arbeitgeber in Kommunen sind.
Die Befürworter einer Verschlankung argumentieren auch mit dem Fachkräftemangel. Weniger Standorte hieße mehr freies Personal. Die Asklepios-Klinik Weißenfels hat Fachkräfte zuletzt mit 10 000 Euro bei Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags gelockt.
Ursache ist die fehlende Wertschätzung der Pflege in unserer Gesellschaft, die auch durch die zu geringe Bezahlung deutlich wird. Vor Jahren hätte bundespolitisch über einen Tarifspartenvertrag nachgedacht werden müssen. Um für den Beruf der Pflege zu begeistern, sollten mindestens 1000 Euro brutto mehr gezahlt werden und insbesondere müssten die Pflegestellen in den Krankenhäusern deutlich aufgestockt werden. Stattdessen fliegt Herr Spahn nach Mexiko, um Pflegekräfte abzuwerben.
Ist das so abwegig?
Pflegekräfte aus Mexiko werden in ihrer Heimat aus ihrem sozialen Umfeld gerissen und fehlen dort. Sie müssen die deutsche Sprache lernen, haben keinen sozialen Anschluss. In München wurde es mit Pflegekräften aus Italien versucht. Auch dort blieben viele von ihnen gesellschaftlich isoliert. Ob ausländische Pflegekräfte das vorrangig politische Problem der Unterfinanzierung des Pflegeberufs lösen, ist mehr als fraglich.
Ihr Träger, die Johanniter, hat selbst das Krankenhaus Genthin im Zusammenhang mit dem Ausbau der Stendaler Klinik 2017 geschlossen. Aus heutiger Sicht ein Fehler?
Wir haben Landesmittel für den Neubau der Stendaler Klinik bekommen. Das war eine wichtige Entscheidung für die Versorgungsqualität der Menschen in der Altmark und aktive Standortsicherung. Auflage des Landes war jedoch die Schließung des defizitären Genthiner Krankenhausteils. Wir wollen heute in Genthin das Zukunftsmodell einer Portalklinik aufbauen, das heißt: eine Einrichtung mit Notaufnahme, Erstversorgung und kurzfristiger medizinischer Überwachung. Zehn stationäre Betten wären ausreichend. Wir brauchen aber die ordnungspolitische Unterstützung der Politik. Symbolische Unterstützung ist wichtig, aber nicht allein ausreichend. Meinung