Gewalt und Raub Kriminelle Banden in Halle: Nun melden sich Opfer und ihre Eltern zu Wort
Sie sind selbst noch Kinder und Jugendliche, doch sie prügeln, rauben und drohen. Die MZ hat mit Opfern und deren Eltern gesprochen. Wie reagiert jetzt die Polizei?
Halle (Saale)/MZ - Sie kommen anfangs etwa zu fünft, spähen beliebte Jugendtreffpunkte aus, mischen sich unter die Personengruppen. Doch plötzlich sind es um die 20 Bandenmitglieder, selbst Jugendliche, gut organisiert und mobil, wie es Betroffene schildern. Und dann beginnt der Terror. „Wer sie bemerkt, macht sich bereit wegzurennen. Doch die, die fliehen, werden verfolgt, bedroht und ausgeraubt. Oft rennen die Angreifer einfach nur in die Massen rein, attackieren die Leute mit Fäusten, Pfefferspray und Schlagstöcken“, erzählen Jugendliche der MZ. Das alles geschehe ohne Provokation. Ihre Namen wollen die Betroffenen nicht nennen, auch Eltern, die Angst um ihre Kinder haben, reden nur anonym. „Sie sagen, wer sich widersetzt oder die Polizei holt, bekommt Probleme“, berichtet ein Vater. Ausweise würden zur Einschüchterung abfotografiert. „Wenn du uns verpfeifst, besuchen wir dich zu Hause“, sollen die Täter dann ihren Opfern drohen.
Gewalt am Landesmuseum
So soll es sich auch am vergangenen Freitagabend am Landesmuseum abgespielt haben. Etwa 200 Jugendliche hatten sich dort aufgehalten, als die Attacke passierte. Mit einem Schlagstock wurden die Jugendlichen traktiert. Zwei Opfer kamen ins Krankenhaus, ein dritter wurde vor Ort wegen einer Platzwunde am Kopf behandelt. Andere erlitten leichte Verletzungen. „Unsere Tochter kam zitternd nach Hause. Sie berichtete in letzter Zeit vermehrt von extrem gewaltbereiten Jugendbanden. Sie fahren wohl gezielt mit E-Rollern herum, um zu erkunden, wo sich Jugendliche aufhalten“, meint ein Vater.
Die Polizei ist alarmiert, sammelt Erkenntnisse, ist für Hinweise dankbar. „Nach jetzigem Ermittlungsstand handelt es sich um einen Zusammenschluss unterschiedlicher Jugendlicher, die immer wieder wechseln“, sagt Polizeisprecher Thomas Müller. Daher könne man nicht von einer bestimmten fest organisierten Bande sprechen. Oder ist genau das die Taktik der Täter, die es zumeist auf Bargeld abgesehen haben? Variierende Gruppen, um unerkannt zu bleiben?
Nach den Angriffen am Landesmuseum hatte die Polizei noch am Abend mehrere verdächtige Jugendliche im Alter zwischen 16 und 17 Jahren gestellt. Weitere Auskünfte zu ihnen, etwa ob sie als Straftäter schon in Erscheinung traten und zu welchem Milieu sie gehören, gibt es aus dem Polizeirevier nicht.
Die Angriffe, so berichten es betroffene Jugendliche, würden sich auf alle Treffpunkte verteilen, die bei jungen Menschen in Halle beliebt sind: das Landesmuseum, das Umfeld am Thomas-Müntzer-Gymnasium, den Lehmannsfelsen, den Paulusberg, den Bebel-Platz und das Reileck. „Nach zwei Jahren Pandemie darf sich die Jugend wieder in großen Gruppen auf öffentlichen Plätzen treffen. Und am Landesmuseum feiern die Jugendlichen nicht, um Anwohner zu stören, sondern weil sie sich dort bislang eigentlich sicher fühlten“, heißt es aus einer Familie. Die Peißnitz ist verschrien. Dort trauen sich mit Einbruch der Nacht nur wenige Jugendliche hin. Die Insel gilt bei ihnen als gefährlich: zu abgelegen mit vielen dunklen Ecken.
Polizei jagt Bandenmitglieder
Die Polizei bündelt die Ermittlungen zu den jüngsten Überfällen krimineller Banden in einem spezialisierten Fachgebiet. „Bis zum jetzigen Zeitpunkt konnten 15 Tatverdächtige ermittelt werden“, sagt Polizeisprecher Müller. Um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, könne man derzeit nicht konkreter werden. Man setze zu den relevanten Tageszeiten zudem verstärkt Polizeikräfte ein, die bekannte Treffpunkte regelmäßig bestreifen würden. Mit der Stadt sei man im Austausch, „um auf etwaige Tendenzen schon im Vorfeld einwirken zu können“.
Unterdessen betont der Ratshof, dass man Verstöße gegen Recht und Gesetz nicht dulde. Doch Halle ist groß. „Das nächtliche Partygeschehen im öffentlichen Raum lässt sich daher nur eingeschränkt kanalisieren. Und engmaschige Kontrollen führen nur zu einem Verdrängungseffekt“, teilt die Pressestelle mit. Die Szene würde sich über soziale Medien kurzfristig verabreden und Orte wechseln.
Die FDP fordert, den Präventionsrat der Stadt neu zu beleben. Er solle dafür sorgen, dass die Kommunikation zwischen Bürgern, Verwaltung, Stadtrat und Sicherheitsbehörden besser funktioniert. Der Stadtrat hatte die Verwaltung zudem im Juli 2021 aufgefordert, die Einführung eines Nachtbürgermeisters nach Leipziger Vorbild zu prüfen. Diese Streetworker sind in den Abendstunden unterwegs und sollen deeskalierend wirken. Laut Stadt sei ein Austausch dazu mit der Nachtkultur und Clubs bereits erfolgt. Die Ergebnisse würden derzeit ausgewertet und zunächst innerhalb der Verwaltung diskutiert. Die Eltern verängstigter Jugendlicher hoffen jedenfalls auf eine öffentliche Debatte zum Thema Sicherheit.