Kunst und Handwerk Modedesignerin ist der Altmark verfallen
Modedesignerin Gerda-Luise Tetzlaff hat Unterschlupf in Seehausen (Altmark) gefunden. Dort näht sie neue Röcke aus alten Jeans.
Seehausen l Knarzend öffnet sich die Tür am Gemeindehaus auf dem Kirchplatz in Seehausen (Landkreis Stendal). Gegenüber ragt imposant die Petrikirche empor. Eine junge Frau tritt hinaus und lächelt sanft. Fast ein bisschen verlegen – könnte man meinen – doch der Blick ist fröhlich-warm und offen. Alles an ihr und um sie herum ist einladend. Dann die Holztreppe hoch, hinein ins Kreativzentrum von Gerda-Luise Tetzlaff.
Im Dachgeschoss lebt und arbeitet die 27-Jährige als freiberufliche Modedesignerin. „Das ist alles noch so neu, manchmal unwirklich…“, streicht sich die gebürtige Pasewalkerin (Mecklenburg-Vorpommern) die nur imaginär losgelöste blonde Strähne aus dem Gesicht. Alles ist so wie es soll und Zurückhaltung liegt ihr wohl einfach im Blut. Im Mittelpunkt stehen? Zumindest nicht vordergründig und dauerhaft ihr Ding. Dieses Feld überlässt die in Heringsdorf Aufgewachsene lieber ihren Kundinnen, „bewusste Frauen zwischen 20 und 60 Jahren“; und um sie gehe es ja schließlich auch, deren Wünsche und Vorstellungen.
Also erstmal ankommen. „Heute gibt’s Entschleunigungstee, wie passend“, lacht die in Leipzig gelernte Bekleidungstechnische Assistentin und in Halle studierte Modedesignerin. Ein paar schlecht bezahlte Praktikantenstellen später hat sie diesen prall gefüllten Handwerkskoffer bewusst in der Altmark abgestellt, wo die zehn Minuten ältere Zwillingsschwester Sophie-Charlotte seit drei Jahren als Kantorin und Kirchenmusikerin wirkt. Ein enges Band, das viele Besuche nach sich zieht.
„Schön fand ich es hier von Anfang an, jetzt bin ich in Liebe für die Altmark gefallen“, ja – was auch mit ihrem Freund aus der Region zu tun habe. Denn geplant war Seehausen ursprünglich nur als Zwischenstation. Aber Moment, apropos Handwerk: Nähen – Handwerk oder Kunst? „Beides“, ganz klar, so schnell kommt die Antwort, dass kein Zweifel daran aufkommen kann.
Sondieren, anfangen und schauen wie man in der Kleinstadt am Aland mit diesem Gepäck überhaupt Fuß fassen kann. Ausgepackt hat die Pfarrerstochter schon vor einer Weile, sich liebevoll eingerichtet, dank herzlicher Aufnahme der Menschen um sie herum schnell eingelebt und baut nach und nach ihr Modelabel „tetzlove“ auf.
Ein Firmenwagen mit Logo parkt inzwischen vor der Tür. Die Suche nach einem Hinweisschild zum Atelier ist vergebens. „Und das soll auch so bleiben, denn ich möchte hier keine Boutique betreiben“, das steht fest. Absprachen und Anproben bei individuellen Auftragsarbeiten ja, Kleidungsstücke und Wohnaccessoires aus Kollektionen nur online. Vorerst jedenfalls. „Wir haben gerade ein Fotoshooting gemacht und den Onlineshop aufgebaut“, schleicht sich aufgeregte Freude ins Gespräch.
Genauso wie beim zaghaften Sinnieren über die Zukunft vor Ort. Da setzt Gerda-Luise Tetzlaff auf Kooperationen. Dass Netzwerken und vor allem wie gut gemeinsam etwas bewegen funktionieren kann, zeigte sich beim Weihnachts-Laden „Kunststück“ in Seehausen, der vier Wochen lang Handarbeit und Handwerk von verschiedenen Menschen unter einem Dach anbot.
„Hier kam richtig was ins Rollen, das mich bestärkt, an der Stelle weiterzumachen“, plant sie gerade eine Weiterführung der Ladenkooperation als „Shop for two weeks“ vom 8. bis 17. April am Markt 3 in Seehausen. Der Termin steht, erste Partner sind gefunden. Außerdem hält sie Ausschau nach Betreibern kleiner Modeshops in der Altmark, um das Shop-in-Shop-Prinzip auf dem Land salonfähiger zu machen. Und wenn man es sich recht überlegt: was bei den weit auseinander liegenden Städten wie der altmärkischen Region absolut Sinn macht.
Das Geschäftskonzept funktioniert nach Baukastensystem. So simpel wie genial. Die Ladenbesitzer stellen eine Verkaufsfläche für einen externen Anbieter zur Verfügung, erweitern so ihr Sortiment und bieten ihren Kunden verschiedene interessante Produktwelten an. Nichts revolutionär Neues – in Großstädten jedenfalls – wo sich insbesondere kleinere Marken und Spezialanbieter zu solchen Kooperationen zusammenschließen, um die Menschen zu erreichen. Klingt nach einem guten Plan, auch wenn sich die jüngste von fünf Geschwistern nicht über Nachfrage beklagen kann. „Es spricht sich schnell rum, was ich mache“, schaut sie in die Tasse, die eindeutig aus DDR-Zeiten stammt.
Bewahren und Wiederverwerten ist ihre Grundeinstellung, „immer schon“, und das zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben – privat wie beruflich. „Es gibt ein enormes Überangebot auf dem Bekleidungsmarkt“, zeigen sich besorgte Linien im Gesicht. Es sei eben nicht immer gut, was gut gemeint ist. Soll heißen: Was im Kleidercontainer lande, komme oft nicht dort an wo es gebraucht wird, sondern „in Afrika, wo es Müllberge aus Stoffen gibt, weil sie gar nicht mehr wissen wohin damit.“ Ein freiwilliges Jahr in Tansania direkt nach dem Abitur habe sie viel gelehrt. Und in Indien heißt es, die Modefarbe der Saison erkennt man an den Farben der Flüsse. Das und vieles andere spricht für Upcycling. Was bei der Herstellung von Kleidung für das Verwerten von Textilresten und Altkleidern steht, statt immer neue Stoffe zu produzieren, die um den halben Erdball reisen, bis sie beim Konsumenten im Schrank hängen, um doch nur für eine kurze Saison getragen zu werden.
Sie sei kein Moralapostel und keine Ultra-Umweltaktivistin, aber „nicht jede Modedesignerin ist eine oberflächliche Fashionista“, unterstreicht Gerda-Luise Tetzlaff und zeigt auf ihr volles Regal in der Nähstube. Das Ergebnis einer Rundmail vor ein paar Wochen. „Ich bekomme immer noch dauernd Pakete mit tollen Sachen“, die nach ihrer Bearbeitung das Label „Ich war einmal ...“ erhalten – mit den Zusatzprädikaten: „Keine Energieverschwendung. Keine Wasserverschwendung. Keine zusätzlichen Chemikalien. Faire Produktion.“ Einzigartig fehlt, denn sind die Stoffe aufgebraucht, war’s das.
„Ich nähe gerade Jeansröcke, die ich in Streifen aus Resten zusammensetze“, nimmt sie an ihrer Nähmaschine Platz und ist in ihrer Welt. Eine, die sie schon mit 14 Jahren für sich entdeckte. Quasi aus der Not heraus. Wie das so ist als jüngstes Kind in einer großen Familie. „Ich habe angefangen, mir geerbte Klamotten von meinen älteren Geschwistern umzunähen“, wird langweiligen Hosen ein modischer Schlag verpasst oder erhalten Blusen durch Applikationen Pepp. „Meine Mutter hatte eine Nähmaschine, die durfte ich benutzen“, macht sie ihr frühes learning-by-doing-Hobby schließlich zur Profession und gibt ihre Leidenschaft für eine der weltweit ältesten Handwerksarbeiten auch in Nähkursen weiter.
Nur eine Möglichkeit Gerda-Luise Tetzlaff und ihre Idee von Mode kennenzulernen. „Ich werde mich in diesem Jahr an verschiedenen Märkten beteiligen“, zählt sie unter anderem die Kulturelle Landpartie im Wendland, die Kultourspur des Wische-Vereins oder die Aktionen der Bergfestgruppe in Seehausen auf. „Und mal sehen, was noch so kommt“, hüllt sich das Atelier wieder in sanftes Surren der Nähmaschine.
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