Ungewisse Zukunft Wie Sachsen-Anhalt die Behindertenhilfe ab 2025 neu regeln will
Nachdem der Rahmenvertrag im Frühjahr gekündigt wurde, ist immer noch unklar, wie die Behindertenhilfe im kommenden Jahr aussehen soll. Am Donnerstag berät sich das Sozialministerium in Magdeburg, während draußen protestiert wird.
Magdeburg. - In Sachsen-Anhalt steht eine wegweisende Entscheidung bevor: Wie werden die Hilfen für Menschen mit Behinderungen in den nächsten Jahren gestaltet? Es geht um entscheidende Fragen – von den Leistungen über das notwendige Personal bis hin zur finanziellen Unterstützung für Behindertenwerkstätten, Wohneinrichtungen, integrative Kitas und Wohngruppen.
Die Träger dieser Einrichtungen blicken besorgt in die Zukunft. Um Druck zu machen, rufen Wohlfahrtsverbände und Organisationen für Donnerstag zu einem Protesttag auf dem Magdeburger Domplatz auf – während im benachbarten Landtag die Abgeordneten genau darüber beraten.
Leistungen für Menschen mit Behinderung: Was regelt der Landesrahmenvertrag?
Menschen mit Behinderungen, ob körperlich oder seelisch, sollen gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft teilhaben. Sie sollen so selbstbestimmt wie möglich leben, ihre Freizeit gestalten und auch Arbeit in Betrieben und Unternehmen bekommen. Das ist ein Menschenrecht. Dazu brauchen sie Unterstützung - das kann Hilfe beim eigenständigen Wohnen sein, beim Schulbesuch, der Arbeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen oder bei der Integration in den Arbeitsmarkt.
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Doch wie genau diese Hilfen aussehen und finanziert werden, legt der Landesrahmenvertrag zwischen Land und den Verbänden der Leistungserbringer fest. Hier wird entschieden, welche Leistungen und Vergütungen Menschen mit Behinderungen in Zukunft erwarten können.
Landesrahmenvertrag zum Jahresende gekündigt: Was bedeutet das?
Das sachsen-anhaltische Sozialministerium hat im März den Rahmenvertrag zum Jahresende 2024 gekündigt. Ziel der Neuverhandlungen sei, die Ziele des Bundesteilhabegesetzes und der UN-Behindertenrechtskonvention besser umzusetzen. Das sei trotz intensiver Bemühungen bisher nicht zufriedenstellend gelungen, hatte das Ministerium argumentiert.
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Nun bleiben wenige Wochen und noch immer ist nicht klar, wie es ab 2025 weitergeht. Über den neuen Rahmenvertrag wird schon seit seiner Kündigung im März verhandelt. Kürzlich legte das Sozialministerium überraschend neue Personalschlüssel vor, die aus Trägersicht eine überraschend erhebliche Reduzierung vorsehen. Zuvor hatte es versichert: „Ab dem 1. Januar 2025 bekommen alle Menschen mit Behinderungen weiter ihre Hilfen und Unterstützung.“
AWO hält Dienst mit weniger Personal nicht mehr für tragfähig
So unterstützt bislang ein Mitarbeiter im ambulanten Wohnen zwölf Menschen mit Behinderungen in ihrer individuellen Lebensführung. Die Arbeiterwohlfahrt AWO, die einen solchen Dienst von Jerichow aus in einer großen Fläche anbietet, hält das mit weniger Personal als jetzt für nicht mehr tragfähig.
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Die wöchentliche Begleit- und Therapiezeit samt nötigem Berichtswesen würde sich erheblich verringern. Von bislang 2,7 bis 3,8 Stunden in der Woche pro Klient blieben dann noch 1,5 Stunden. „Im Ergebnis heißt das ebenfalls, dass die durch das Sozialamt festgestellten Unterstützungsbedarfe und Ziele durch verordneten Zeitmangel ad absurdum geführt werden“, so die AWO.
Eingliederungshilfen: Wie viele Menschen sind in Sachsen-Anhalt betroffen?
2023 erhielten in Sachsen-Anhalt 30.820 Personen Eingliederungshilfen. Die Hilfen können ganz unterschiedlich aussehen - es geht um Wohnraum, Assistenzleistungen zur sozialen Teilhabe, Leistungen für ein Kraftfahrzeug oder einen Beförderungsdienst sowie heilpädagogische Leistungen. Viele Betroffene erhalten verschiedene Leistungen parallel.
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Um wie viel Geld geht es?
Es geht um viel Geld. Im vergangenen Jahr wurden für die Leistungen der Eingliederungshilfe insgesamt rund 658 Millionen Euro netto ausgegeben, teilte das Statistische Landesamt jüngst mit. 2022 lag die Summe noch bei rund 606 Millionen Euro.
Große Unklarheit: Was sagen die Wohlfahrtsverbände?
„Die Träger der Einrichtungen befinden sich in einer prekären Situation, weil derzeit völlig unklar ist, auf welcher finanziellen Basis die notwendigen Leistungen und Angebote erbracht werden können“, sagte die Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Antje Ludwig. „Wir brauchen Verlässlichkeit für die Menschen mit Behinderungen und die vielen Mitarbeitenden in den Einrichtungen.“
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Die Personalrichtwerte, die das Land vorgelegt habe, bedeuteten eine Personalreduzierung - „gerade in den Bereichen der ambulanten Angebote und Wohnformen, die eigentlich verstärkt ausgebaut werden sollen.“ Und: „Wir haben berechnet, dass je nach Angebot Personal um bis zu 30 bis 60 Prozent gekürzt werden müsste - das ist absolut unakzeptabel. Die Träger werden unter diesen Bedingungen Leistungen nicht sicherstellen können.“
Was sagt das Ministerium?
Das Sozialministerium erklärte, derzeit werde im wöchentlichen Turnus über den neuen Rahmenvertrag verhandelt. „Auf aktuelle Verhandlungsgegenstände möchten wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht eingehen.“ Das Ministerium stellte klar: „Sollte es nicht zu dem Abschluss eines neuen Rahmenvertrags kommen, wird die Landesregierung deren Inhalte per Rechtsverordnung regeln. Die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen gelten bis zum Abschluss neuer Vereinbarungen fort.“
Grimm-Benne: Sozialabbau zulasten von Menschen mit Behinderung nicht zu befürchten
Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) versicherte: „Ein Sozialabbau zulasten der Menschen mit Behinderung ist nicht zu befürchten.“ Die Ministerin wies auf den nötigen Systemwechsel bei den Hilfen für Menschen mit Behinderungen hin: „Das pauschale Vorhalten von Leistungen und Angeboten ist weder zeit- noch gesetzeskonform. Wir haben im Land großen Nachholbedarf.“ Sachsen-Anhalt habe die höchste Dichte an stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und eine vergleichsweise geringe Ambulantisierungsquote.
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Ende Dezember seien im Land 8,4 leistungsberechtigte Personen pro 1.000 Einwohner in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt gewesen, im Bundesdurchschnitt seien es 5,2 gewesen. In der sozialen Teilhabe sollten benötigte Leistungen für Menschen mit Behinderungen individuell über einzelne Module wählbar sein und ihnen die Unterstützung zukommen lassen, die sie für ein selbstbestimmtes Leben benötigten, hieß es aus dem Sozialministerium weiter.