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Kommt der Kurswechsel beim Wolfsschutz? Bundesministerin will Abschuss von Wölfen erleichtern - Lob und Kritik aus Sachsen-Anhalt

Spitzenpolitiker in Bund und EU rütteln am strengen Schutz für Wölfe: Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will den Abschuss von Wölfen nach Rissen erleichtern. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) kündigt die generelle Überprüfung des Schutzstatus an.

Von Alexander Walter 04.09.2023, 18:04
Wölfe in einem Gehege in Niedersachsen: Vor wenigen Tagen hatten frei lebende Wölfe bei einer einzigen Attacke nahe Stade 55 Schafe getötet.
Wölfe in einem Gehege in Niedersachsen: Vor wenigen Tagen hatten frei lebende Wölfe bei einer einzigen Attacke nahe Stade 55 Schafe getötet. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Magdeburg - Nach jahrelanger Beobachtung der Populationen könnte Bewegung in die Debatte um eine kontrollierte Jagd auf Wölfe auch in Sachsen-Anhalt kommen. Nach einer Großattacke von Wölfen mit 55 toten Schafen bei Stade in Niedersachsen vor wenigen Tagen kündigte am Montag zunächst Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Kurskorrekturen an: „Abschüsse von Wölfen nach Rissen müssen schneller und unbürokratischer möglich sein“, sagte die aus Dessau stammende Politikerin der „Welt“. Ende September wolle sie konkrete Vorschläge dazu vorlegen.

EU-Kommission will Schutzstatus bis Jahresende prüfen

Nur Stunden später kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) eine Überprüfung des strengen Schutzstatus für den Wolf auf EU-Ebene an. Eine Lockerung hier wäre ein noch weiter reichender Schritt. Bis 22. September will die EU-Kommission Daten zu den Beständen aus ganz Europa sammeln. Zum Jahresende könnte danach eine Entscheidung fallen, hieß es.

Abschüsse bislang nur im Ausnahmefall möglich

Der Wolf ist nach europäischem Recht streng geschützt. Um das zu ändern, wäre die Feststellung des „guten Erhaltungszustands“ durch Brüssel Voraussetzung. Zwar können auffällige Wölfe auf Landesebene theoretisch schon jetzt getötet werden – in Sachsen-Anhalt aber nur in Abstimmung mit den Behörden und unter Auflagen – all das kann Wochen dauern.

Die Wolfspopulation steigt seit Wiederansiedlung 2008 - die Zahl der Risse ebenfalls

Trotz staatlicher Förderungen für Schutzmaßnahmen, wie Elektrozäune, kommt es seit Wiederansiedlung des Wolfs in Sachsen-Anhalt 2008 immer wieder zu Rissen. Allein 2021/22 wurden laut Monitoring-Bericht mindestens 250 Tiere (davon 202 Schafe) bei Attacken getötet. Das waren 33 mehr als ein Jahr zuvor, aber 85 weniger als im Rekordjahr 2020. Zugleich steigt die Zahl der Wölfe: Waren 2010 landesweit 7 Tiere nachgewiesen, waren es 2021/22 mindestens 183.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne)
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne)
Foto: dpa

Abschüsse von Wölfen nach Rissen müssen schneller und unbürokratischer möglich sein.

Steffi Lemke (Grüne), Bundesumweltministerin

Zustimmung für Lemke von Landesumweltminister Armin Willingmann

Landes-Umweltminister Armin Willingmann (SPD) sagte der Volksstimme zum Vorstoß Lemkes: „Angesichts zunehmender Konflikte mit Wölfen in der Landwirtschaft begrüße ich die Pläne.“ Ziel bleibe es, den Wolf zu schützen. Wichtige Instrumente seien dabei Herdenschutz und die Beratung von Tierhaltern. Als letztes Mittel komme aber auch „die Entnahme“ von Wölfen infrage.

Auch Landwirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) stimmte dem Vorstoß zu: „Ich hätte mir diese Einsicht von unserer Bundesministerin aber schon eher gewünscht“, betonte er.

CDU im Landtag nennt Vorstoß aus Berlin „völlig unzureichend“

Die Grünen im Landtag begrüßten Lemkes Äußerungen ebenfalls: „Bei anlassbezogenen Großrissen müssen wir überlegen, wie man schneller handeln kann“, sagte Umweltpolitiker Wolfgang Aldag. Vor noch weitergehenden Schritte seien aber Aussagen zum Erhaltungszustand nötig.

Die FDP-Fraktion indes fordert schon jetzt mehr Tempo: Es sei „wichtig, dass das Bundesumweltministerium und nachgeordnete Behörden es nicht länger verzögern“, den günstigen Erhaltungszustand des Wolfes festzustellen, sagte Agrarpolitikerin Kathrin Tarricone.

CDU-Politiker Alexander Räuscher kritisierte: „Bundesumweltministerin Lemke hat das Wolfsproblem endlich anerkannt, stiehlt sich selbst dabei aber aus der Verantwortung.“ In der Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt sei die Populationsdichte bereits doppelt so hoch wie in der Naturlandschaft Kanadas. Lemkes Vorstoß sei „völlig unzureichend“, um die Überpopulation zu senken.

Auch Schafzüchter reagieren mit Skepsis - Zahl der Schafe im Land sinkt seit Jahren

Auch Tierhalter reagierten mit Skepsis: Der Vorstoß Lemkes sei überfällig, sagte Elisabeth Baurichter, Geschäftsführerin des Landesschaftzuchtverbands der Volksstimme. Ob sich allein dadurch etwas ändere, bleibe aber abzuwarten. Bislang sei Sachsen-Anhalt anders als etwa Niedersachsen beim Abschuss auffälliger Wölfe äußerst zögerlich.

Laut Verband hat sich der Wolf parallel zum Nachwuchsmangel im Schäferberuf zu einem echten Negativ-Faktor für die Schafzucht im Land entwickelt. Nach Zahlen des Statistischen Landesamts ist die Zahl der gehaltenen Schafe in Sachsen-Anhalt seit Jahren rückläufig. Lag sie 2011 noch bei rund 83.000, waren im vergangenen Jahr nur noch knapp 56.000 Schafe registriert.