Covid 19 Nach der Corona-Erkrankung: Wegen Long-Covid ist bei Fynn (9) aus der Börde nach zwei Stunden der Akku leer
Nach zwei Wochen ist eine Corona-Infektion meistens vorbei. Doch viele Menschen sind danach weder geheilt noch belastbar. Sie klagen auch Monate später noch über Atemprobleme, Müdigkeit und Schmerzen. Zu ihnen gehört der neun Jahre alte Fynn aus Farsleben im Bördekreis
Farsleben - Fynn legt den Kopf auf den linken Arm. Sein Blick geht ins Leere. Erneut hat den hat den Neunjährigen eine tiefe Müdigkeit übermannt. Die Arbeitsbögen des Homeschoolings bleiben vorerst unausgefüllt.
Seitdem der Drittklässler vor einigen Monaten an Corona erkrankt war, ist er nicht mehr belastungsfähig. In der Schule schafft er gerade mal zwei Stunden am Tag, dann ist sein Akku leer. In Absprache zwischen seiner Mutter und der Diesterwegschule in Wolmirstedt konzentriert sich der Neunjährige auf Mathe und Deutsch – danach darf er nach Hause.
„Fynn war ein guter Schüler“, streicht die Mutter dem Erschöpften über den Kopf. „Jetzt ist er natürlich abgerutscht – so auf drei“, sagt sie.
Ich kriege nicht richtig Luft und habe Kopfschmerzen
Zuerst hatte sich seine Mutter Steffi Haupt Anfang März infiziert. „Ich habe erst gedacht, dass es wieder die Nasennebenhöhlen sind – mein Schwachpunkt. Doch dann kam Reizhusten hinzu. Da habe ich schon gedacht: Na, das wird doch nicht...“
Die gelernte Friseurin, die als Mitarbeiterin eines Lieferanten von Schulessen in einer Wolmirstedter Schule an der Essenklappe steht, wollte sich testen lassen. „Damals hieß es. Nur für Lehrer, nicht fürs Küchenpersonal.“ Und auch ihre Firma habe keine Testmöglichkeit gesehen.
„Man hat mir geraten, in Magdeburg einen PCR machen zu lassen. Und der fiel positiv aus.“ Die Symptome seien während der Quarantäne heftig gewesen: Kopf- und Augenschmerzen, Geruch weg. „Und ich habe Vieles vergessen – sogar meine PIN-Nummer vom Onlinebanking“, so die 37-Jährige.
Dann die nächste Hiobsbotschaft: Auch beim jüngsten ihrer drei Kinder zeigten sich Corona-Symptome. „Fynn konnt kaum etwas machen, hatte Luftnot, starke Kopfschmerzen und lag im Bett.“
Der Kinderarzt testete Fynn und bestätigte am nächsten Tag die Virusinfektion.
„Mein Junge ist durch Asthma vorbelastet. Wir waren vor Corona aber schon auf einmal am Tag zu sprayen herunter. Jetzt sind es wieder bis zu dreimal.“
Nach der akuten Phase habe Fynn sich darauf gefreut, draußen wieder mit seinen Freunden herumzutoben. „Aber ich kriege nicht richtig Luft und habe Kopfschmerzen. Ich bin dann schnell wieder in die Wohnung gegangen“, zeigt der Junge auf seine Stirn. „Besonders schlimm ist es beim Wetterwechsel“, ergänzt Steffi Haupt. Beim Homeschooling schlafe ihr Sohn nach einer gewissen Zeit fast am Tisch ein.
Die Kinderärztin habe ihr geraten, abzuwarten. Eine richtige Therapie gebe es nicht. Und auch ein Lungenspezialist habe nicht helfen können.
Steffi Haupt schüttelt unwillig den Kopf: „Fynns Oma in Thüringen hatte auch Corona. Sie musste sogar in die Klinik und stand kurz vor der Beatmung. Aber sie ist heute fitter als ihr Enkel.“
Eine Mutter-und-Kind-Kur habe sie bei der Krankenkasse beantragt. Sie hatte gehofft, dass der Neunjährige dadurch wieder auf die Beine kommt. „Doch die Kur wurde abgelehnt, weil ich vor zwei Jahren schon eine Kur hatte, und ich noch nicht wieder dran bin. Aber ich glaube der Bearbeiter hat gar nicht auf die besonderen Umstände geguckt und wohl nur auf das Datum der letzten Kur.“
Fynn aus Farsleben ist keine Ausnahme. Immer mehr Studien zeigen, dass selbst Menschen, die Corona auf der Couch auskurieren noch über Wochen und Monate mit der Infektion zu kämpfen haben. „Long Covid“ nennen die Forscher das Phänomen und es gibt ihnen viele Rätsel auf. Denn es betrifft Atemwege, das Herz-Kreislauf-System, den Muskelapparat, das Nervensystem und den Stoffwechsel. Bei manchen Patienten spielt der Körper des Patienten regelrecht verrückt.
Bis zu 87 Prozent der Patienten klagen laut der gemeinnützigen Organisation Data4life, die Gesundheitsdaten analysiert und verwaltet, noch bis zu drei Monaten an Müdigkeit, bis zu 71 Prozent an Atemnot, weist die Statistik zu Corona-Spätfolgen aus.
Dr. Jörn Achenbach, Chefarzt der Lungenklinik der Pfeiferschen Stiftungen in Lostau, in der schwere Falle von Covid-19 behandelt werden, kennt die Nachwirkungen der Corona-Infektion.
Fatigue – die Kraftreserven sind erschöpft
Dr. Jörn Achenbach, Lungenspezialist„Diese schweren Nachwirkungen werden unter dem Begriff ,Fatigue’ – französisch für Müdigkeit – im Zusammenhang mit sehr belastende Erschöpfung infolge von Krebs oder anderen chronischen Erkrankungen - zusammengefasst. Die Kraftreserven sind erschöpft, das Ruhebedürfnis ist extrem erhöht, die Müdigkeit relevant.“
Die Forschungen auf diesem Gebiet stünden erst am Anfang. Bekannt sei, dass das Virus die Gefäßinnenzellen infiziere. In vielen Fällen führe das dazu, dass Menschen selbst nach dem Abklingen der akuten Phase im Lebensalltag stark eingeschränkt seien. „Manche Patienten, die in die Lungenklinik zur Nachkontrolle kommen, sagen, dass sie kaum die Rampe bis zum Eingang hinausgekommen sind.“ Auch Merkstörungen würden auftreten.
Drei bis sechs Monate, so die Erfahrungen des Chefarztes, seien keinesfalls die Ausnahme, des Nachhalls der Corona-Infektion und macht das auch an eigenen Erfahrungen fest: „Wir hatten in der Klinik selbst infiziertes Personal. Diese Mitarbeiter haben viele Wochen gebraucht, bis sie wieder arbeitsfähig waren.“
Gegensteuern könne man am besten durch eine Rehakur, durch „langsames Herantastung an körperliche Belastung. Nicht einfach Turnschuhe kaufen und gleich wieder losspurten. Nach dem Motto leben: Zeit heilt alle Wunden.“
Achenbach rät jedoch, im Falle einer hartnäckigen Belastungsstörung auf jeden Fall einen Arzt aufzusuchen, „um auszuschließen, dass nicht Herz oder Lunge die Ursache sind“.
In einige Fällen sei auch ein Psychotherapeut gefragt. „Belastungsstörungen nach überstandener Covid-19-Erkrankung können fürs Gemüt sehr quälend sein und an Depressionen grenzen. Besonders dann, wenn die Umwelt den Menschen als genesen einordnet und ihm möglicherweise den aktuellen Zustand nicht abnimmt.“
Mediziner sind sich inzwischen einig, dass das Coronavirus für junge Menschen und diejenigen ohne Vorerkrankung grundsätzlich nicht gefährlich sei. Das Phänomen „Long Covid“ entkräfte diesen Ansatz. Die Tatsache sei einfach: Nur, wer eine Infektion vermeidet, riskiert auch keine Langzeitfolgen. Studien gehen bei mindestens 20 Prozent der Covid-19-Erkrankten von Langzeitfolgen aus. Manche Studien sprechen sogar von 50 bis 70 Prozent. Allerdings betrifft das Klinikpatienten.
Fynn hat sich wieder ein bisschen erholt. „Ich möchte mal Musiker werden“, erzählt der Neunjährige. „Ich spiele Saxofon und lerne auch Geige.“ Aber auch das schaffe er aufgrund seiner Erschöpfungszustände gegenwärtig kaum, sagt seine Mutter.