Kriminalität Der Zwei-Staaten-Mörder aus der Börde
Frank W. gehört zu den Lebenslänglichen in Deutschland, die die meisten Jahre ihres Lebens hinter Gittern verbracht haben. Doch möglicherweise kommt er bald frei.
Eilsleben/Hamburg - Glatze, frühzeitig gealtert, ein 61-Jähriger, der nur noch seine Ruhe haben will, der kaum aus dem Bett kommt und sich stundenlang Tierdokumentationen im Fernsehen ansieht. Ein „Lebenslänglicher“, der seit drei Jahren nicht mehr auf dem Hofgang zum Luftschnappen war, dessen einziger Gesprächspartner, der ihm blieb, Gefängnispfarrer Friedrich Kleine ist – einmal in der Woche. Besuch hat er schon seit 1992 nicht mehr.
Frank W., der bis 1983 im Bördedorf Eilsleben gelebt hat, ist der mit 38 Haftjahren älteste im berüchtigten Hamburger „Santa Fu“ und einer der am längsten Einsitzenden in deutschen Haftanstalten überhaupt. Gegenwärtig wird der Herzpatient, der ständig Medikamente einnehmen muss, auf den offenen Vollzug vorbereitet. Möglicherweise kommt er im nächsten Jahr frei.
Doch der Fall Frank W. ist nicht nur eine Kriminalgeschichte, er ist auch ein Fall, mit dem in den 1980er Jahren die zwei deutschen Staaten Politik gemacht haben, der die deutsch-deutschen Beziehungen belastet hat.
1982 Schmuckhändlermit Draht erdrosselt
W. hat zwei Menschenleben auf dem Gewissen. Seinen ersten Mord beging er am 8. Oktober 1982 bei Eilsleben im Altkreis Wanzleben, heute Bördekreis.
In jener wolkenverhangenen, regnerischen Nacht hatten Frank W. und sein Kumpel Klaus J. einen 24 Jahre alten Schmuckhändler, den sie kannten, bei Eilsleben auf offener Straße in eine Falle gelockt, um ihn zu berauben. Sie würgten und erdrosselten ihn letztlich mit einem Kabel. Die Beute: knapp 25 000 Mark.
Tierwirt W., der mit seinen LPG-Schafherden im grenznahen Raum herumgezogen war und als Einzelgänger galt, versuchte die Tat später damit zu begründen, dass er in chronischer Geldnot gewesen sei. „Meine Frau und ich bekamen innerhalb weniger Jahre zwei Mädchen und einen Jungen, unsere Wohnung war für unsere große Familie viel zu klein und in der Ehe klappte es auch nicht mehr so richtig.“
Das Auto des Getöteten versenkten die Mörder in einem See unweit des Tatorts. Die Leiche verscharrten sie auf einem Acker. Die sterblichen Überreste des Ermordeten wurde erst im Juli 1983 gefunden.
In Eilsleben brodelte im Herbst 1982 die Gerüchteküche. Und bei ihren Ermittlungen stieß die Morduntersuchungskommission des Bezirks Magdeburg immer wieder auf die Namen Frank W. und Klaus J. Nachdem er vernommen worden war, wurde dem damals 23-jährigen W. klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, dass er verhaftet wird.
Er flüchtete im Januar 1983 bei Helmstedt durch die Grenzbefestigungen und wurde dabei durch eine Selbstschussanlage schwer an den Beinen verletzt. Er schaffte es trotzdem auf das BRD-Gebiet. Im Grenzwald wurde er blutend und unterkühlt gefunden.
Im Helmstedter Krankenhaus wurde er zusammengeflickt. Danach päppelte ihn eine Pensionswirtin auf. Nachdem es ihm besser ging, zog es ihn nach Hamburg – die Stadt seiner Träume.
In der DDR packte derweil der Eilsleber Klaus J. in der Magdeburger Untersuchungshaft aus. Er gestand die Tat und nannte W. als Mittäter. Auch die Ehefrau des Geflüchteten, die eingeweiht gewesen war, belastete ihren Mann, der sie und die drei Kinder im Stich gelassen hatte, schwer.
Schwurgericht Hamburgstellt Verfahren ein
Klaus J. wurde trotz seines Geständnisses wegen Mordes vom Bezirksgericht Magdeburg zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Ehefrau von W. musste wegen Beihilfe ins Gefängnis. Allerdings wurde sie vor Verbüßung der vier Jahre begnadigt. Ihre Kinder waren während ihrer Haftzeit in einem Heim untergebracht.
Frank W. wurde in der BRD zum Medienheld. Als „erster DDR-Flüchtling des Jahres 1983“ gab er dem „Hamburger Abendblatt“ ein gut bezahltes Interview und schaffte es damit sogar auf Seite 1. „Endlich kann ich gehen, wohin ich will“, zitierte die Zeitung den Mann aus der Börde, der 1960 in der Nähe von Stuttgart geboren wurde, dessen Mutter ihn fünf Jahre später zu den Großeltern in den Bezirk Magdeburg brachte, bevor sie nach Kanada auswanderte.
Aufgrund der Aussage und von Spuren verlangte die DDR die Auslieferung des „Börde-Mörders“. Der Beginn eines juristischen Gezerres. Für die DDR war der Fall klar: Der Raubmord fand auf dem Territorium der DDR statt, somit musste dem Tatverdächtigen auch dort der Prozess gemacht werden.
Der Hamburger Generalstaatsanwalt winkte jedoch ab; DDR-Flüchtlinge auszuliefern war politisch nicht gewollt und nach BRD-Gesetz kaum möglich. Eine „Zulieferung“ eines Deutschen an die DDR, so Hamburgs damaliger Oberstaatsanwalt Peter Beck, sei nur zulässig, wenn dem Betroffenen durch die Strafverfolgung der DDR keine rechtsstaatswidrigen Nachteile erwachsen und auch keine politischen Ziele für die DDR-Ermittlungen maßgeblich seien. Ein Ablehnungspunkt war wohl auch, dass im Strafgesetzbuch der DDR (bis 1987) in besonderen Fällen noch die Todesstrafe angedroht wurde.
DDR-Diplomat beschwertesich im Kanzleramt
Wenn schon Prozess, dann im Westen. Doch da spielte die DDR nicht mit. Weder Zeugen noch Sachverständige durften in die Hansestadt reisen. Lediglich schriftliche Unterlagen wurden nach Hamburg geschickt.
Das reichte dem Hamburger Schwurgericht nicht aus, zumal W. während des Prozesses von seinem Recht zu schweigen Gebrauch machte. Das Verfahren wurde im August 1984 eingestellt, der Mordangeklagte aus der U-Haft entlassen. Für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ eine klare Sache: Das spektakuläre Prozessende sei von der DDR so gewollt, um es für Propagandazwecke zu missbrauchen und damit womöglich die Absage des geplanten Honeckerbesuchs in der BRD zu begründen.
Die Gegenseite schäumte. Günther Wieland von der DDR-Generalstaatsanwaltschaft schrieb im „Neuen Deutschland“ am 25. August 1984 von einem „vorsätzlichen Versuch, die Souveränität der DDR provokatorisch infrage zu stellen“. Wer in der DDR einen Menschen aus niedrigen Beweggründen umbringe, bleibe in der BRD „ein ehrenwerter Mann“.
Ewald Moldt, Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn, sprach eigens bei Kanzleramtsminister Philipp Jenninger (CDU) vor und überreichte eine „Demarche“, einen mündlich vorgetragenen diplomatischen Einspruch. Das Verhalten der BRD-Justiz sei unvereinbar mit Geist und Buchstaben des Grundlagenvertrags und belaste den Rechtsverkehr zwischen beiden Staaten.
1985 hob der Bundesgerichtshof das Hamburger Urteil durch die Hintertür auf – wegen eines Formfehlers. Aus Sicht der BGH-Richter hatte es das Landgericht versäumt, die Protokolle der DDR vollständig im Wortlaut zu verlesen.
Bevor der Prozess vor einer anderen Hamburger Kammer neu aufgerollt wurde, fand am Magdeburger Bezirksgericht ein sogenanntes Beweissicherungsverfahren statt. Daran nahmen Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums, der Hamburger Staatsanwaltschaft und der Strafverteidiger des Angeklagten teil. Die DDR-Justiz befragte in deren Anwesenheit erneut Zeugen und Sachverständige.
Mehr als 600 Protokoll-Seiten reichten nun bei der Neuauflage den Hamburger Richtern, um W. wegen Mordes zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Allerdings wurde im Urteil kritisch festgehalten, dass statt Zeugen nur „geringwertige, schlechte Beweismittel“ vorgelegen hätten.
Der BGH bestätigte einige Monate später das zweite Hamburger Urteil.
Der Versuch des Verurteilten, ein Wiederaufnahmeverfahren zu erreichen, scheiterte. Auch, nachdem die Ehefrau des „Börde-Mörders“ nach der Wiedervereinigung ihre Aussage zurückgenommen hatte, kam es zu keinem neuen Prozess.
Mord im Gefängnis:Erstochen und erschlagen
Doch der Fall „Frank W.“ war damit noch nicht zu Ende. Anfang Januar 1994 starb der 51 Jahre alte Dieter J. in „Santa Fu“. Der vielfach vorbestrafte „Langzeitler“, der dafür bekannt war im Knast, alles besorgen zu können – Schmuck, Alkohol, Drogen und vieles mehr – wurde in seiner „Handelszentrale“ – seine Zelle – tot aufgefunden.
Frank W., der kurz davor stand, in den offenen Vollzug verlegt zu werden, hatte J. schrecklich zugerichtet. Das rechtsmedizinische Protokoll sprach davon, dass J. stranguliert und erstochen wurde. Außerdem sei der Kopf des Opfers regelrecht zerschmettert worden. „Ich war voll auf Heroin und brauchte Stoff“ so der Erklärungsversuch des Täters. Allerdings habe er nur aufgepasst, dass sie nicht überrascht werden. Die Tat selbst habe ein anderer Gefangener ausgeführt, behauptet W. bis heute.
Die Ermittlungen waren kurz. Als die Kripo in einem Rohr blutige Stofffetzen fand, konnten sie diese unschwer zwei Gefangenen zuordnen – einer davon war W. Zudem fehlte am Bett von W. ein Metallteil, mit dem erwiesenermaßen die Schläge ausgeführt worden waren. Mitgefangene hatten außerdem gesehen, dass W. und ein zweiter Mann den Haftraum von J. verlassen hatten.
1995 stand Frank W. aufgrund seiner jüngsten Tat erneut vor dem Schwurgericht und wurde nur noch der „Zweistaaten-Mörder“ genannt.
Beide Angeklagten versuchten sich gegenseitig die Tötung in die Schuhe zu schieben. Ohne Erfolg. Beide wurden zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt. Beim Ex-Eilsleber wurde zudem die besondere Schwere der Tat festgestellt. Das verwehrte ihm, nach 15 Haftjahren auf Bewährung entlassen zu werden.
Nach seinem Gefängnismord wurde W. zum Außenseiter in „Santa Fu“. Die meisten Häftlinge halten Abstand zu ihm, andere mobben oder bedrohen ihn gar.
Seit 38 Jahren ist eine acht Quadratmeter große Zelle das Zuhause des Mörders – zwei Stühle, ein Schrank, Bett, Waschbecken, Toilette, ein verschlossenes Fenster. Seine Ehefrau hat sich schon vor längerer Zeit von ihm scheiden lassen. Nach dem zweiten Mord brach sie den immer noch losen Kontakt zu ihm ab. Seine inzwischen längst erwachsenen Kinder haben ihn nur einmal besucht. Der Vater habe ihre Kindheit zerstört, sind sich die drei einig.
Der Hamburger Rechtsanwalt Tim Burkert hat die Entlassung des „Zweistaaten-Mörders“ beantragt. „Er hat seine Strafe verbüßt“, sagt er. Ein Gutachten steht aber noch aus und das Ende ist offen.
Weil Frank W. in „Santa Fu“ Drogen genommen hat, müsste er zuvor in einer forensischen Klinik ambulant therapiert werden. Doch es gibt nicht genug Plätze. „Vor 2022 wird es wohl mit einer Entlassung nichts“, so der Anwalt.