Landespolitik Die FDP in Sachsen-Anhalt profitiert vom Abwärtstrend der CDU und von der Coronapolitik in Berlin
Am 6. Juni wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Vor fünf Jahren scheiterte die FDP äußerst knapp. Doch seit ein paar Wochen gehen die Umfragewerte hoch. Erste Liberale mahnen, jetzt nur keine Fehler zu machen.
Magdeburg. Die Landesfahne Sachsen-Anhalts hängt an drei Luftballons und schwebt langsam nach oben. Es ist ein sonniger Tag Ende März, die FDP eröffnet ihre Kampagne für die Landtagswahl. Leitwort: Ein Land fährt hoch. „Sachsen-Anhalt verkauft sich unter Wert“, sagt Spitzenkandidatin Lydia Hüskens. „Sachsen-Anhalt läuft wie das kleine Entlein den anderen hinterher. Platz 16 im Ländervergleich ist aber kein Naturgesetz.“
Nach zehn Jahren außerparlamentarischer Opposition will die FDP am 6. Juni wieder in den Landtag von Sachsen-Anhalt einziehen. Die Chancen stehen besser als es lange Zeit schien. Noch bis Ende 2020 lag Sachsen-Anhalts FDP in Umfragen bei vier Prozent. In Januar waren es fünf Prozent. Auch bundesweit bekommt die Partei Auftrieb. Innerhalb von vier Wochen stiegen die Umfragewerte von acht auf zehn Prozent. Die Liberalen profitieren wie eh und je auch vom Abwärtstrend der Union.
Sollte es mit dem Wiedereinzug in den Landtag klappen, wird auch Guido Kosmehl dabei sein. Der heute 45-Jährige war bereits zwischen 2002 und 2011 Landtagsabgeordneter. Er sagt: „Die Stimmung für die FDP ist sehr, sehr gut.“ Noch vor Monaten hätte kaum einer diesen Satz unterschrieben.
Die Stimmung in der FDP ist sehr, sehr gut.“
Guido Kosmehl
Zumal die FDP genug mit sich selbst zu tun hatte. Im Juli 2020 gab es heftige parteiinterne Querelen, wer die Kandidatenliste der Liberalen anführen soll. Diskutiert wurde, ob der vorherige Spitzenkandidat für Landtags- und Bundestagswahl, Frank Sitta, noch einmal für einen oder für beide Posten antritt. Nach viel Gegenwind aus der eigenen Partei kündigte Sitta seinen Verzicht auf beide Positionen und den kompletten Rückzug aus der Berufspolitik an. Das war ein Paukenschlag.
Inzwischen hat sich der Pulverdampf verzogen. Zudem kommt jetzt Rückenwind aus Berlin. Und auch die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben den Liberalen spürbaren Auftrieb gegeben. Zudem profitieren die Liberalen von der wachsenden Corona-Unzufriedenheit. Hüskens sagt: „Mich rufen auf einmal Leute an, denen ich irgendwann mal meine Visitenkarten in die Hand gedrückt habe. Das hatte ich schon lange nicht mehr. Ich beobachte bei vielen eine Wechselstimmung.“
Die FDP wittert also Morgenluft und will in Sachsen-Anhalt in die Regierung. „Bereit zur Verantwortung“ - so steht es in dicken Lettern auf einem Wahlplakat. Die Parteispitze hat ein Wahlziel von 8 Prozent plus x herausgegeben. Was würde eine FDP in der Regierung anschieben? Vor allem mehr Tempo bei den Investitionen brauche das Land, sagt Hüskens. In Sachsen-Anhalt dauert es besonders lange, ehe ein Bagger anrollt oder sich ein Kran dreht. So sind hier sieben Jahre nach Beginn der EU-Förderperiode erst 38 Prozent der Gelder umgesetzt, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 71 Prozent. Hüskens spricht von „bürokratischem Wust“ und „selbstgemachtem Elend“. „Ich kenne viele Unternehmer, die es möglichst vermeiden, in Sachsen-Anhalt ein Projekt mit EU-Fördergeldern anzufassen. Das muss sich definitiv ändern.“
Nach Lage der Dinge wird eine neue Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt wieder aus drei Parteien bestehen. Für Rot-Rot-Grün reicht es laut jüngster Umfragen nicht. Demnach dürfte die CDU trotz einiger Verluste wieder stärkste Partei werden. Will die FDP mit ins Boot, müsste sie stärker werden als die Grünen oder als die SPD. Würden die Liberalen ihr Wahlziel von acht bis zehn Prozent erreichen, käme es zu einem spannenden Wettkampf um einen Platz in der Regierung. SPD und Grüne kommen in jüngsten Umfragen auch auf je zehn Prozent.
Horst Rehberger, langjähriger Wirtschaftsminister und Ehrenvorsitzender, meint: „Ich bin absolut zuversichtlich.“ Er erinnert an 2002, als seine Partei am Wahltag die Umfragewerte sogar noch deutlich übertrumpfte. Damals kam die FDP für viele überraschend auf 13,3 Prozent.
Keiner kann es sich leisten, keine Kompromisse einzugehen.
Karl-Heinz Paqué
Doch FDP und Grüne in einer Koalition – geht das? „Man muss offen sein“, rät Sachsen-Anhalts ehemaliger Finanzminister Karl-Heinz Paqué, der heute die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung leitet. „Keiner kann es sich leisten, keine Kompromisse einzugehen.“
Die Geschichte der FDP im Land ist gekennzeichnet von stetigem Auf und Ab. 1990 holten die Liberalen mit 13,5 Prozent der Stimmen das beste Wahlergebnis in den neuen Ländern. Schon 1994 folgten Absturz und acht Jahre außerparlamentarische Opposition. 2002 gelang ein glänzendes Comeback. Aus dem Stand schaffte es die FDP in eine schwarz-gelbe Regierung unter Wolfgang Böhmer. 2006 verblasste der gelbe Stern schon wieder, und es ging in die Opposition. Dann geriet Sachsen-Anhalts FDP in den bundesweiten Sog nach unten, da die Liberalen in der Bundesregierung viele ihrer Steuerversprechen nicht gehalten hatten. 2011 flog die Partei aus dem Landtag, 2013 sogar aus dem Bundestag. Danach rappelte sich die FDP im Bundesland wieder auf. Eine Rückkehr in den Landtag scheiterte 2016 gerade mal an 1622 fehlenden Stimmen.
Die FDP ist zu allem fähig. Nach oben und nach unten.
Johann Hauser
Zum neuen Anlauf setzen viele alte Bekannte an. Sie stehen auf aussichtsreichen Listenplätzen. Johann Hauser aus dem Salzlandkreis etwa. Wie Hüskens und Kosmehl war auch er schon zwischen 2002 und 2011 im Landtag. Der Landwirt ist ein Mann der klaren Worte und fordert die Liberalen zu einer „politischen Generalmobilmachung“ auf. Er warnt vor Übermut: „Die FDP ist zu allem fähig. Nach oben und nach unten.“
Außerparlamentarische Opposition bedeutet auch: weniger Geld in der Parteikasse, weniger mediale Aufmerksamkeit. Der Wahlkampf wird schwer. Sachsen-Anhalts FDP hat nämlich gerade mal zwei Bundestagsabgeordnete in Berlin, im Land ist sie komplett ehrenamtlich unterwegs. Das heißt: Die Zeit für den Wahlkampf ist begrenzt. Spitzenkandidatin Hüskens etwa ist zugleich Geschäftsführerin des Studentenwerks Halle.
Sachsen-Anhalt braucht einen anderen Spirit.“
Lydia Hüskens
Zudem drückt die Partei ein hoher Altersdurchschnitt. Vor allem auf dem flachen Land tut sich die FDP schwer, Nachwuchs zu finden. „Da kann man junge Leute mit der Lupe suchen“, sagt ein Parteimitglied. „Wir haben einige weiße Flecken.“ Jung-Politiker wie Lea-Charlotte Kus sind eher die Ausnahme. Die Schülerin, die in diesem Jahr ihr Abitur macht, tritt in der Region Dessau-Roßlau als Direktkandidatin an.
„Regierung und Opposition – rechts wie links – haben versagt“, sagt Lydia Hüskens. Die Schlagworte für den Wahlkampf lauten: Bildung endlich modernisieren, Landwirte leben lassen, Volldampf für Wirtschaft und Arbeit. Sachsen-Anhalt brauche einen anderen Spirit, meint die Spitzenkandidatin. „Wir setzen auf Aufbruch.“ Das Land dürfe den Slogan „modern denken“ nicht nur vor sich hertragen. „Es geht um ,modern machen’“.