Digitalisierung Digitalwelle rollt über Sachsen-Anhalts Arztpraxen
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll an Fahrt aufnehmen. Doch die Vorgaben der Politik seien nicht realistisch, kritisieren Sachsen-Anhalts Mediziner.
Magdeburg - Ende Juli schlug die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Alarm: „Praxen sind kein Versuchslabor für die digitalen Wunschvorstellungen der Politik“, sagte Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. Stein des Anstoßes waren die zeitlichen Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums für den digitalen Ausbau des Gesundheitswesens, der sogenannten Telematik-Infrastruktur. Fristen seien zu knapp bemessen, bei der Umsetzung fehle es an vielem, bemängeln neben der KBV auch Mediziner aus Sachsen-Anhalt.
Das Gesundheitswesen befindet sich im Umbruch: Am 1. Juli startete die elektronische Patientenakte, am 1. Oktober soll die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung folgen, zum 1. Januar das elektronische Rezept. Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) spricht von einer „Digitalisierungs-Flut“, die viele Hausärzte im Land überfordere. „Das ist eine Geschwindigkeit, die schon zu ,normalen’ Zeiten nicht zu meistern ist – und schon gar nicht zu Corona-Zeiten“, sagte KVSA-Sprecherin Heike Liensdorf der Volksstimme.
Vor allem bei den technischen Rahmenbedingungen hapere es, erklären Gesundheitsexperten. Oft müssten Ärzte lange auf die Auslieferung und Installation von Soft- und Hardware warten, die zudem nicht immer einwandfrei funktioniere. Das koste Zeit und auch Geld, denn die Arbeit der Techniker müssen die Ärzte aus eigener Tasche zahlen. Mit neuer Technik müssten Arbeitsabläufe neu organisiert werden – und das in Zeiten, in denen Hausärzte mit den Covid-19-Impfungen ohnehin stärker belastet sind.
Arztpraxen sind noch nicht so weit
„Ich kenne keine Praxis, die aktuell in der Lage wäre, die Vorgaben umzusetzen“, sagte Holger Fischer vom Hausärzte-Verband Sachsen-Anhalt. Der Allgemeinmediziner aus Quedlinburg kritisiert, dass von den Neuerungen nur die Krankenkassen, nicht aber die Praxen und die Patienten profitieren würden. Denn die müssten Bescheinigungen ja weiterhin auf Papier ausdrucken.
„Ich stehe der Digitalisierung grundsätzlich offen gegenüber“, sagte Dr. Julia Steinicke, Allgemeinmedizinerin aus Magdeburg. Der Zeitplan allerdings sei zu straff, der Zeitpunkt ungünstig gewählt. „Hinzu kommt, dass die Frage nach dem Datenschutz geklärt sein muss.“ Auch Steinicke erkennt in den Neuerungen nur einen geringen Mehrwert für die Arztpraxen.
Das Tempo der Digitalisierung müsse gedrosselt und die Ärzte müssten mitgenommen werden, forderte deshalb die KSVA. Zudem benötige es ausgiebige Probeläufe, bevor ein System an den Start geht. Damit zum 1. Oktober kein Chaos in den Praxen ausbricht, appelliert die KSVA an die Landespolitik, sich auch auf Bundesebene für die Ärzte im Land einzusetzen