Menschen mit Behinderung Förderschulen in Sachsen-Anhalt: Landesbeauftragter fordert „bildungspolitische Trendwende“
Die Landesregierung hat Christian Walbrach als Behindertenbeauftragten bestätigt. Er fordert eine andere Bildungspolitik und mehr Inklusion im Arbeitsmarkt.
Magdeburg - Christian Walbrach ist für weitere fünf Jahre Behindertenbeauftragter des Landes Sachsen-Anhalt. Das Kabinett ist dem Vorschlag des Sozialministeriums von Petra Grimm-Benne (SPD) gefolgt. Walbrach sieht in Sachsen-Anhalt großen Handlungsbedarf, was die Belange von Menschen mit Behinderung angeht.
So fordert er eine „bildungspolitische Trendwende“ für das Land, was den Bereich Inklusionspädagogik betrifft. Man müsse „an die Strukturen ran“. Das bedeute, auch zu prüfen, ob es notwendig sei, „jeden Förderschultyp in der bisherigen Form zu erhalten“. Vor dem Besuch einer Förderschule mit Schwerpunkt Lernen sollten Kinder „die maximale Förderung in der allgemeinen Schule erfahren“.
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Landesbehindertenbeauftragter kritisiert getrennte Systeme
Es sei wissenschaftlich belegt, dass davon alle Kinder profitierten. Dass die Leistung anderer Schüler absacke, sei ein Mythos. „Wir brauchen ein längeres gemeinsames Lernen“, meint Walbrach. Ihm zufolge sei ein neu organisiertes Schulsystem nicht teurer als bisher. Personal der Förderschulen könnten an allgemeinen Schulen eingesetzt werden.
Dass das Land Eltern jetzt freistellt, ihre Kinder schon ab der ersten statt der dritten auf die Förderschule zu schicken, lehnt er als „zusätzliche Stützung schulischer Sondersysteme“ ab. Lernschwächen haben laut Walbrach häufig sozio-ökonomische Gründe, weil zum Beispiel die Eltern ihre Kinder nicht genügend unterstützen. Im vergangenen Jahr besuchten 4.925 Schüler im Bundesland eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen.
Walbrach sieht ein grundlegendes Problem im gesellschaftlichen Umgang mit behinderten Menschen: „Ob in der Schule, beim Wohnen oder auf der Arbeit – wir sortieren in Deutschland zu stark aus.“ Gestützt werde das von der aktuellen Staatenprüfung der Vereinten Nationen.
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Sachsen-Anhalts Arbeitgeber beschäftigen zu wenig Menschen mit Behinderung
Menschen mit Behinderung arbeiten in Deutschland oft in Werkstätten. Die Übergangsquote in den ersten Arbeitsmarkt liegt nahezu bei null Prozent. „Wir müssen so vielen Menschen wie möglich die Chance eröffnen, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“, sagt Walbrach.
Das Bundesland liegt bei der Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen auf dem letzten Platz. Arbeitgeber müssten „noch offener werden, zumal angesichts des enormen Mangels an Arbeitskräften“, fordert Walbrach. Auch in der Landesverwaltung sinkt die Quote, obwohl das Land dem Behindertenbeauftragten zufolge Vorbild sein sollte.
Das generelle Ziel sei es, Menschen mit Behinderung in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren. Dazu zähle, Barrieren abzubauen, etwa beim Wohnen. „Barrierefreiheit ist kein Gnadenakt oder eine Geste der Wohltätigkeit. Sie ist ein Gütesiegel einer modernen Gesellschaft“, findet Walbrach. Auch Arztpraxen seien viel zu oft nicht barrierefrei oder Formulare unverständlich.
Schutz vor Gewalt für Menschen mit Behinderung ein Schwerpunkt der Arbeit
Walbrach sieht seine Funktion im Vernetzen. Unter anderem gibt es seit Kurzem ein Netzwerk für inklusive Arbeit und eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Schutz vor Gewalt befasst. Frauen und Mädchen mit Behinderung sind davon besonders häufig betroffen.
Auch in die Verhandlungen um den neuen Landesrahmenvertrag für die Eingliederungshilfe ist Walbrach eingebunden. Groß war die Kritik Anfang 2024, als das Land den Vertrag kündigte. Wohlfahrtsverbände äußerten den Verdacht, dass das geschehe, um Kosten zu sparen. „Finanzielle Hintergründe für die Kündigung sind mir nicht bekannt“, sagt Walbrach. Die Kündigung habe vielmehr inhaltliche Gründe, etwa zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes.