Landtagswahl In der SPD Sachsen-Anhalt brennt nach dem desaströsen Wahlergebnis die Luft
Nach dem Wahldebakel der SPD geht es in der Partei mächtig zur Sache. Auslöser für heftige Rektionen ist ein Schreiben der beiden Landesvorsitzenden an die Mitglieder.
Magdeburg - Eigentlich wollte Burkhard Lischka die Entwicklungen in der SPD von der Seitenlinie aus beobachten. Nachdem er aus dem Bundestag ausgeschieden war und im vorigen Jahr auch den SPD-Landesvorsitz abgegeben hatte, konzentrierte er sich auf seine Arbeit als Notar. Doch jetzt steht der 56-Jährige wieder mitten auf dem politischen Spielfeld.
So etwas kennt man sonst nur aus totalitären Staaten.
Burkhard Lischka
Zuletzt hat er sich geärgert über einen Brief der beiden SPD-Landesvorsitzenden Juliane Kleemann und Andreas Schmidt. Darin wird Roger Stöcker, SPD-Vorsitzender im Salzlandkreis, ganz offen angegriffen. Grund: Stöcker und andere Kommunalpolitiker hatten gefordert, dass kommunale Vertreter in die Sondierungsgespräche mit der CDU einbezogen werden. Während des Treffens von Landesparteirat und -vorstand am vorigen Montag wurde diese Forderung durch einen Online-Beitrag der „Mitteldeutschen Zeitung“ öffentlich. Stöcker wurde auf offener Bühne so angefeindet, dass er die Versammlung fluchtartig verließ.
In dem Brief werfen ihm die Parteichefs vor, er habe seine Sicht der Dinge über die Presse mitgeteilt, bei der SPD-Veranstaltung jedoch das offene Wort und die direkte Kommunikation vermieden. „Dieser Stil ist weder solidarisch noch in irgendeiner Weise zuträglich für die zukünftige Arbeit von uns allen in dieser sicher schwierigen Zeit“, kritisieren Kleemann und Schmidt. Landesparteirat und -vorstand würden den zum wiederholten Mal praktizierten Stil, mit der Partei über die Presse zu kommunizieren, nicht hinnehmen.
Lischka ist empört über den Umgang mit Stöcker: „Da wird jemand an den politischen Pranger gestellt“, sagt er der Volksstimme. „So etwas kennt man sonst nur aus totalitären Staaten. Diese persönlichen Angriffe in einem offiziellen Schreiben stellen den absoluten Tiefpunkt innerparteilicher Auseinandersetzungen dar und sind durch kein Fehlverhalten – von wem auch immer – zu rechtfertigen. Für die älteste demokratische Partei Europas ist das unwürdig.“
Hier wird eine Handgranate in den Laden geschmissen.
Reaktion aus sozialem Netzwerk
Auch in parteiinternen sozialen Netzwerken ist die Aufregung groß. Einer schreibt: „Roger in einem Mitgliederbrief offen anzugreifen, ist eine Frechheit. Hier wird nicht geeint, sondern noch eine Handgranate in den Laden geschmissen. Unfassbar.“ Oder: „Wie kann man einen einzelnen so zur Schlachtbank führen? Ich bin fassungslos.“
Aus dem SPD-Ortsverein Zerbst verlautet, Stöcker habe sich und der Partei mit seinem Vorgehen zwar keinen großen Dienst erwiesen: „Aber ihn deshalb zum Hochverräter zu erklären, erscheint sehr durchsichtig und ist in jedem Fall überzogen. Fast könnte der geneigte Beobachter den Eindruck gewinnen, hier soll mit einer öffentlichen Hinrichtung von eigenen Problemen abgelenkt werden.“
Bei der Veranstaltung am Montag hätten nur sehr wenige die eigentlichen Baustellen angesprochen. „Stattdessen wurde wortreich beklagt, dass die Menschen im Land einfach nicht einsehen wollen, wie toll wir sind.“ Andere nennen das eine „Scheuklappen-Mentalität“. Man wolle nicht wahrhaben, dass Fehler gemacht wurden. Die Akteure um Spitzenkandidatin Katja Pähle würden sich in einer Wagenburg einigeln, sagt ein anderer: „Das erinnert mich an Pinguine. Die laufen im Kreis um ihre Brut herum und halten sie warm. Dabei merken sie nicht, dass die Eisscholle unter ihnen zerbricht.“ Stöcker wollte gestern keine Stellungnahme abgeben. Zum Thema „Brief“ habe er sich selbst eine Redepause auferlegt, lässt er wissen.
Wie Stöcker fordert auch Markus Bauer, erfolgreicher SPD-Landrat im Salzlandkreis, kommunale Vertreter in die anstehenden Sondierungsgespräche (das erste ist am Montag) einzubinden. Der Landes-SPD wirft er vor, dass ihr das Gespür für die Gefühlslage der Menschen „in den letzten Jahren etwas abhanden gekommen zu sein scheint. Ich bin überzeugt, Politik muss öfter mal genauer hinhören. Auch dort präsent sein, wo es wehtut. Wo Wahrheiten auch mal Schmerz erzeugen und das eigene Handeln von direkt Betroffenen auf den Prüfstand gestellt wird.“ Meinung