Regierungsbildung Nach dem Ja der SPD beginnen in dieser Woche Koalitionsverhandlungen in Sachsen-Anhalt
Weiter Mitregieren oder doch in die Opposition gehen? Die Sozialdemokraten haben diese Frage bei einem Landesparteitag hitzig diskutiert. Letztlich stimmten sie der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu. In diser Woche beginnen Koalitionsgespräche.
Leuna - Eckehart Beichler ist seit genau 60 Jahren SPD-Mitglied. „Ich denke deshalb historisch“, sagt er beim Parteitag in Leuna. Ob im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, gegenüber den Nazis oder im Nachkriegsdeutschland: „Die SPD hat in ihrer Geschichte immer wieder den Kopf hingehalten.“ Dies habe sie immer aus Grundverantwortung für das staatliche Gesamtwohl getan. „Deshalb, trotz aller Bedenken: 2021 in Sachsen-Anhalt ist die Regierungsbeteiligung der SPD staatspolitisch unausweichlich“, sagt der Mann aus der Börde. „Wenn es sein muss, auch als Gegenpart zur neoliberalen FDP.“
Regierungsbeteiligung ist auch ein Akt politischer Hygiene.
Eckehart Beichler
Speziell jetzt sei die Regierungsbeteiligung auch ein Akt der politischen Hygiene: „Wenn wir uns verweigern: Wer sagt uns, dass der rechtsblinkende Flügel der CDU sich nicht dann doch durchsetzt und ein schwarz-braunes Haselnuss-Bündnis mit der AfD kreiert?“, fragt Beichler.
Das ist die eine Sicht der Dinge. Eine andere verkörpert Katharina Zacharias, 31 Jahre jung, seit Januar 2020 stellvertretende Landesvorsitzende. „Ich bin auch nicht echt scharf darauf, das wir in die Opposition gehen“, sagt sie in einer emotionalen Rede „Das wird aber kein Weltuntergang sein.“
Zacharias betont: „Ich scheue keinen Kampf. Doch ich weigere mich, unsere glorreiche SPD als Bühne für eine CDU-FDP-Liebesheirat herhalten zu lassen. Während Union u FDP liberale Eintracht demonstrieren können, wären wir in der öffentlichen Wahrnehmung der Klotz am Bein, der Störenfried. Unter diesen Umständen ist eine konstruktive Zusammenarbeit nahezu unmöglich.“
Die Leute hätten „keinen Bock auf neoliberalen Scheiß“, formuliert sie drastisch. „Wir müssten die Zeche zahlen. Weil die Leute an uns andere moralische Ansprüche haben als an CDU und FPD. Von denen erwartet man nur Müll und von uns, dass wir es wieder geradebiegen Das werden wir de facto aber nicht immer können und für alles, was die gemeinsam verbocken, dürfen wir am Ende geradestehen.“
Der Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann mahnt: „Wir müssen manchmal aus den ideologischen Schützengräben herauskommen, uns auf den Hügel stellen und gucken, wie die Landschaft ist.“
Bis in die späten Abendstunden diskutieren die SPD-Delegierten am Freitag, ob sie in Koalitionsverhandlungen mit der CDU und der FDP gehen sollen. Die Befürworter einer erneuten Regierungsbeteiligung befinden sich in der Debatte in der Mehrheit. Die Parteispitze kämpft vehement um ein Ja zu Koalitionsverhandlungen. Kritische Stimmen kommen in erster Linie von Vertretern des Parteinachwuchses, den Jusos. Nach mehr als fünfstündigem Ringen stimmen die Delegierten mit überraschend deutlicher Mehrheit für Gespräche mit der Union und den Liberalen.
Mit der Zustimmung der SPD können die Gespräche in dieser Woche starten. Einigen sich die drei Parteien auf einen Koalitionsvertrag, müssten CDU und SPD den noch von ihren Mitgliedern bestätigen lassen. Am 16. September soll der Landtag dann Reiner Haseloff (CDU) erneut zum Ministerpräsidenten wählen. Eine Koalition aus CDU, SPD und FDP gab es in Deutschland zuletzt 1959.
Wir hätten noch deutlicher machen müssen, wer die Erfolge erzielt hat.
Katja Pähle
Beim Parteitag wird auch über das desaströse Wahlergebnis der SPD diskutiert. Die Sozialdemokraten waren in Sachsen-Anhalt auf 8,4 Prozent abgeschmiert. Das Ergebnis habe sie „fassungslos“ gemacht, bekennt SPD-Fraktionschefin Katja Pähle. Sie räumt „Fehleinschätzungen“ ein. So habe sich die SPD im Vorwahlkampf zu sehr darauf verlassen, „dass die Bürger mitbekommen, wie ausgebrannt und inhaltsleer die CDU und ihre Minister über die ganze Wahlperiode agierten. Wir hätten noch deutlicher machen müssen, wer die ganzen sachlichen Erfolge erzielt hat in dieser Koalition.“
Die „gravierendsten Folgen“ aber habe eine Umfrage wenige Tage vor der Landtagswahl gehabt, wonach die AfD stärkste Kraft im Land werden könnte: „Das löste eine mediale Welle und einen Haseloff-Effekt aus, dem wir nichts entgegenzusetzen hatten.“
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Budde spricht von Selbstbetrug in der SPD. Immer seien die anderen schuld. Sie höre von Bürgern die Sätze: „Wir verstehen euch nicht mehr, ihr sprecht nicht mehr unsere Sprache.“ Budde fügt hinzu: „Das ist das Problem.“
Landeschefin Juliane Kleemann sagt: „Wir kommunizieren viele richtige und wichtige Fakten, erreichen aber nicht die Herzen und Stimmungen der Menschen.“ Die SPD müsse plakativer, empathischer und frecher werden.