Landtagswahl Spitzenkandidatin der Linken Eva von Angern: Die Unverzagte
Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt ein neues Parlament gewählt. Die Volksstimme stellt die Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien vor. Heute: Eva von Angern, Linke.
Magdeburg - Magdeburg /Schönebeck - Der Marktplatz in Schönebeck. Es regnet an diesem Mai-Tag. Alles versinkt im Grau in grau. Ein roter Regenschirm bringt Farbe in die Tristesse. Er schützt eine fröhlich wirkende Frau. Eva von Angern verteilt gut gelaunt Tüten mit Kuli, Feuerzeug und Flyer, OP-Masken.
Einige Sätze hier, ein längeres Gespräch dort. „Ich gehe nicht wählen, das hat seine Gründe“, sagt der eine. Von Angern zuckt mit den Schultern. „Vielleicht besser so“, murmelt sie. Ein anderer erzählt vom Impfen, vom Hausarzt, der Familie. Von Angern sucht den direkten Kontakt. An diesem Tag nimmt sie die letzten Stufen nach oben.
Die Treppe auf dem Weg zur Spitzenkandidatin war lang. Eva von Angern und die eigene Partei näherten sich erst über die Jahre langsam an. Noch 2014 tobte bei der Linken ein Generationenkonflikt. Auf der einer Seite etliche DDR-Sozialisierte, die das Gefühl hatten, man wolle sie aus der Partei drängen.
Auf der anderen Seite die nächste Generation. Unbefangener, weniger ideologisch, deutlicher in den Positionen. Mittendrin: Eva von Angern. Sie eckte in den eigenen Reihen mächtig an, weil sie sagte, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen. Das nahmen ihr viele alte Genossen übel. Von Angern, immer schon meinungsstark und somit auch polarisierend, wurde ausgebremst. Bei Wahlen zum Fraktionsvorstand bekam die Rechtsanwältin 2014 im ersten Anlauf nur Nein-Stimmen.
Doch die gebürtige Magdeburgerin gilt als zäh, beharrlich, zielstrebig. Machtbewusster, als es auf den ersten Blick scheint. „Sie hat einen größeren Ehrgeiz, als man vermutet“, sagt einer, der sie lange kennt.
Sechs Jahre später, Juli 2020. Die Stimmung hat sich gedreht. Das Oli-Kino in Magdeburg ist in Rot getaucht. Auf dem Programm steht demonstrative Lässigkeit. Eva von Angern sitzt auf den Stufen vor der Leinwand. Sie beantwortet Journalistenfragen, lächelt viel, genießt den Moment. Sie hat es geschafft. Der Landesvorstand hat die 44-Jährige als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl vorgeschlagen. Das war nicht unbedingt von Anfang an klar. Parteiintern knirschte es. Aus Kreisverbänden kam der Vorwurf, die Personalie sei im kleinen Kreis ausgekungelt worden.
Schulterschluss gelingt
Januar 2021. Parteitag im verschneiten Plötzky. Die Kungelvorwürfe spielen keine Rolle. Doch Eva von Angern wirkt zappelig, unkonzentriert bei der kurzen Bewerbungsrede. Das passiert ihr selten. Aber es ist ja auch ein besonderer Tag, es wird ein erfolgreicher. Die Delegierten wählen sie mit 85,6 Prozent zur Spitzenkandidatin. Der Schulterschluss mit der Partei ist gelungen.
Darauf hat die Juristin lange Zeit hingearbeitet. Bereits 1996 trat sie in die PDS ein. „Ich war ein Fan von Gregor Gysi“, erzählt sie. „Als ich im Gymnasium war, habe ich ihn für die Schülerzeitung interviewt.“ Heute halten beide Kontakt.
Inzwischen nimmt Gysi sie ganz anders wahr: „Ich kann 0 ihn immer anrufen und bekomme auch einen Termin.“ Denn Eva von Angern sitzt schon seit 2002 im Landtag.
Sie arbeitet zudem in einer Anwaltskanzlei, meist ist sie montags vor Ort. „Ich bin die Einzige in unserer Fraktion mit einer Nebentätigkeit“, sagt sie. „Ich will unabhängig bleiben. Die Arbeit in der Kanzlei erdet mich. Ich habe mit Problemen von Menschen zu tun, die nicht ins Wahlkreis-Büro kommen.“ So fliege sie nicht nur im „Raumschiff“ Landtag.
In der Kanzlei findet sich eine spannende Konstellation. Ihr Partner Ronni Krug ist CDU-Mitglied. Wie klappt es mit der Zusammenarbeit, wenn es politisch wird? Gut, versichert Krug. „Eva ist nicht Rosa Luxemburg, und ich bin nicht Franz-Josef Strauß. Eva hört sehr gut zu. Diskussionen mit ihr gleiten nie ins Persönliche ab.“ Ihr Nahestehende bestätigen das: „Sie kämpft gegen politische Positionen, nicht gegen Menschen.“ Krug sagt: „Wenn es ein Problem gibt, kümmert sie sich darum solange, bis eine Lösung gefunden ist.“ Er weiß auch: „Eva kann knallhart sein – aber auf eine freundlicher Art und Weise.“ Weich wird sie bei Schokolade. „Eva mag es nicht, wenn ich ein Glas mit Süßigkeiten aufstelle. Es verführt sie zum Naschen“, plaudert Krug aus dem Nähkästchen.
Adelige Vorfahren
Nicht jeder weiß auch, dass von Angern Nachfahrin eines Magdeburger Adelsgeschlechts ist. Einer ihrer Vorfahren, Ferdinand Ludolph Friedrich von Angern, war königlich-preußischer Staats- und Finanzminister. Die Herkunft ist der Linke-Politikerin wichtig. Zu Hause hängt im Flur der Familienstammbaum. „Die Leute schauen einen schon anders an, wenn das ,von’ im Namen steckt“, sagt die Abgeordnete. Sie erzählt, vom Essen mit einer ungarischen Delegation. Dabei habe sie der damalige Landtagsdirektor gefragt, wie sie denn mit diesem Namen in die PDS gekommen sei. „Diese Frage fand ich absurd“, sagt sie heute. „Ich hatte nie das Selbstverständnis, dass ich deswegen etwas Besseres oder Anderes bin, konservativer sein müsste oder liberaler.“
Sie trägt das Familienwappen gelegentlich als Kettenanhänger. Zuweilen bringt der Name ganz praktische Probleme mit sich: „Beim Bundesparteitag werde ich oft bei V statt bei A einsortiert.“
Unverwechselbar sind Porträtfotos, die der profilierte Magdeburger Fotograf Rayk Weber für den Wahlkampf gemacht hat. Vor der Kamera hat er von Angern „frisch, modern und geradlinig“ erlebt. „Eine herzerfrischende Frau, authentisch und ehrlich. Wenn sie mal müde oder genervt war, hat sie das gezeigt. Zunächst hat sie sich vor der Kamera nicht so wohl gefühlt, sich dann aber fallenlassen.“ Die Fotos zeigen eine bestimmte Seite der Politikerin. „Nicht brav und nett“ solle sie wirken, sondern wie eine Macherin. „Das haben mir Imageberater empfohlen“, verrät von Angern. Sie sagt von sich: „Ich bin nicht nur lieb.“ Sie beackert seit Jahren Themen wie Kinderarmut, Kampf gegen Rechtsextremismus oder Gleichberechtigung. Leute, die sie länger kennen, sagen: „Sie ist sehr direkt. Weiß genau, was sie will.“ Nahbar sei sie, ein „grundfröhlicher Mensch“.
„Herr Böhmer“ schnurrt
Sie bringt sogar „Herrn Böhmer“ zum Schnurren. Eine ihrer schneeweißen Katzen heißt wie der frühere CDU-Ministerpräsident. „Herr Böhmer ist eine starke Persönlichkeit, ich schätze ihn“, sagt von Angern. Als der Ex-Regierungschef 85 wurde, hat sie ihn angerufen.
Auch sie selbst hat sich beim politischen Gegner Respekt erworben. Eine „kluge und emanzipiert Frau“ sei sie, sachorientiert und ausgleichend, heißt es. Als kundige Rechtspolitikerin hat sie sich einen Namen gemacht. In Brandenburg wurde sie 2016 als Justizministerin gehandelt.Der eine oder andere meint: „An ihrer Teamfähigkeit muss Eva noch arbeiten.“ Sie selbst sieht ihre Schwäche woanders: „Man sieht mir immer an, was ich denke.“ Sie habe sich im Landtagswahlkampf verändert, heißt es. Einer, der sie schätzt, sagt: „Ihr Ton jetzt passt nicht zur Person Eva von Angern, sie hat sich eine populistische Attitüde zugelegt. Wenn aber Produkt und Botschaft nicht zusammenpassen, gibt es ein Problem.“ Auch CDU-Landeschef Sven Schulze meint, eine aggressive Wahlkampfstrategie passe nicht zu von Angern.
„Manch einer unterschätzt sie in ihrer Nettigkeit“, sagt Burkhard Lischka, einst SPD-Landeschef. Er kennt von Angern schon lange, wollte sie mal zu den Sozialdemokraten holen. „Sie versteht das politische Handwerk, kann Strippen ziehen“, sagt Lischka.
Zuletzt haben schwache Umfragewerte der Linken zugesetzt. Parteichef Gebhardt hat ein Wahlziel von 20 plus x Prozent ausgegeben. Von Angern will sich lieber nicht festlegen. Derzeit ist die Partei weit davon entfernt. Von Angern hat kürzlich einen Satz getwittert, von Rosa Luxemburg, ausgerechnet: „So ist das Leben, und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.“ Das kommentierte von Angern kurz und knapp: „Stimmt.“