Kriminalfälle Wie Ermittler historische Tonfiguren der Maya im altmärkischen Keller finden
Mehr als 1500 Jahre alte Artefakte einer ehemaligen mittelamerikanischen Hochkultur haben Polizisten im Erdbunker eines Kellers in Klötze entdeckt. Doch wie kamen sie dahin?
Salzwedel. Schwer verständlich meldet sich im Spätsommer 2020 ein 66-jähriger Mann aus Frankreich das erste Mal bei der Polizei in Salzwedel. Klötze sei seine Heimat und im Keller seines ehemaligen alten Bauernhauses würden noch zwei alte Waffen des Großvaters liegen. Er habe sie vor vielen Jahren im Boden mit anderen Dingen in einer Kunststoff-Tonne vergraben, als er fortzog. Es handele sich um eine Vogelbüchse (Kleinkalibergewehr) und eine Pistole. Von Ton-Figuren erwähnt er nichts.
Was der Mann sagt, klingt seltsam. Die Ermittler suchen dennoch gemeinsam mit Mitarbeitern der Unteren Waffenbehörde das beschriebene Haus in Klötze Anfang November auf. Für den zum Teil zugemauerten ungenutzten Keller, zwischen den für solche Bauernhäuser typischen Natursteinfundamenten, haben die vorher informierten neuen Bewohner bereits einen Zugang geschaffen. Als Kriminalhauptmeister Lutz Nikoleit und seine Kollegen eintreffen, zeigen sich alle skeptisch. Niemand glaubt an die Geschichte.
Das Gefühl verstärkt sich, als auch der mitgebrachte Metalldetektor nicht anschlägt. Doch der Kriminalist gibt nicht auf. Denn, er telefonierte im Vorfeld mehrmals mit dem Mann und der beschrieb das angebliche Versteck detailliert.
Also graben die Polizisten und Mitarbeiter der Waffenbehörde ein Loch in den Lehmboden. In etwa 40 Zentimeter Tiefe trifft der Spaten tatsächlich auf eine weiße Kunststoff-Tonne mit etwa 500 Litern Fassungsvermögen. Als der Behälter freigelegt ist, entdecken die Beamten die zum Teil stark verrosteten Waffen. Als die Polizisten weiter in dem Behälter nachsehen, kommen zunächst alte Zeitungen aus dem Jahr 2007, ein Quelle-Katalog und mehrere Tüten mit ungewöhnlich verzierten Tonfiguren ans Tageslicht.
Der Salzwedeler Ermittler sagt später: „Manchmal hat man Gegenstände in der Hand, da spürt man, dass sie etwas ganz Besonderes sind.“ Die Tonfiguren und Scherben haben aus seiner Sicht solche Details, dass der Beamte sofort an einen Kunstdiebstahl glaubt. Er nimmt Kontakt mit dem Experten für Kunst- und Kulturstraftaten im Landeskriminalamt (LKA) auf. Der wiederum recherchiert in zahlreichen Museen in Deutschland. „Ich habe sogar das Pergamonmuseum angerufen, ob da eventuell Stücke fehlen“, sagt der Beamte, der nicht namentlich genannt werden soll.
Weil von Anfang an der Verdacht besteht, dass die Funde etwas mit Maya-Kulturen zu tun haben, gelangt der LKA-Ermittler an Professor Dr. Nikolai Grube von der Universität in Bonn. Der Altamerikanist und Ethnologe gilt als einer der bekanntesten Maya-Experten weltweit. Die versunkene Hochkultur erforscht der 59-Jährige nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Nachfahren der Maya. Wegen der Pandemie hält sich Grube aktuell in Deutschland auf. Ansonsten sind, neben der Bonner Uni, die Regenwälder in der Grenzregion zu Guatemala und Mexiko regelmäßig seine Arbeitsstätte. Man könnte ihn auch den deutschen „Indiana Jones“ nennen. Doch dazu sagt er nur: „Unsere Arbeit sieht ganz anders aus.“
Als ihm der LKA-Experte aus Magdeburg die Bilder der aufgefundenen 14 Gegenstände aus Klötze zuschickt, zeigt sich Grube hochinteressiert. Anhand der Details erkennt der Experte sofort, dass es sich, bis auf ein Exemplar, nicht um Fälschungen handelt.
Er geht in seiner Einschätzung für die Staatsanwaltschaft Stendal von rund 1500 Jahre alten Objekten aus illegalen Ausgrabungen in Mexiko und Guatemala aus.
Grube ist sich sicher: Während zwei Figuren aus der mysteriösen Riesenstadt Teotihuacán bei Mexiko-Stadt stammen, sind die anderen Objekte Ton-Scherben und Gegenstände der Maya aus dem Bereich im Regenwald Nordguatemalas.
Die Funde aus Teotihuacán datiert der Experte auf die Jahre 250 bis 450 nach Christus. Es gibt viele Rätsel um die Stadt, die plötzlich von ihren Bewohnern um 650 verlassen wurde. Sie galt mit rund 150?000 Einwohnern zu diesem Zeitpunkt als die größte Stadt Amerikas vor der Entdeckung durch die Europäer.
Die Objekte aus Guatemala dürften eher Adligen aus den Städten des Tieflandes gehört haben. Das Volk der Maya selbst waren arme Mais-Bauern. Die Fundstücke, wie ein Trinkgefäß und ein Teller, wurden eher in der Oberschicht genutzt. „Aus dem Ton-Becher wurde zum Beispiel sehr wahrscheinlich Kakao getrunken“, erklärt Grube.
Die Maya waren zu jener Zeit begeistert von dem beliebten Schokoladengetränk und nutzten die dort erstmals entdeckten Bohnen noch bis etwa 600 nach Christus sogar als Zahlungsmittel.
Den in Klötze gefundenen Ton-Becher schätzt der Wissenschaftler wegen seiner Inschriften auf die Zeit zwischen 750 und 850 nach Christus. Der Wert des Gefäßes sei schwer auszumachen. Auf dem internationalen Kunstmarkt würden solche Funde mit mehreren Zehntausend Dollar gehandelt. Das LKA geht laut seines Sprechers Michael Klocke von einem geschätzten Wert aller Gegenstände in Höhe „einer niedrigen sechsstelligen Summe“ aus.
Maya-Experte Grube: „Der historische Wert der Gegenstände ist natürlich für das jeweilige betroffene Land weit höher.“ Einige dieser Scherben bringen auf dem Kunstmarkt hingegen auch nichts. Der Professor meint: „Für die Archäologie aber schon. Die Funde sind vor allem von Bedeutung, wenn man das gesamte Umfeld des Ortes untersucht und alles dokumentiert. Doch genau das geht bei solchen Raubgrabungen verloren.“
Auch bei dem Sammler aus Klötze scheint es am Bewusstsein dafür gefehlt zu haben. Im Laufe der Jahre unter der Erde in dem Keller setzte das Kondenswasser bereits den Waffen aus Metall stark zu. „Nur weil die Artefakte wenigstens noch in Kunststofftüten verpackt waren, haben sie offenbar keinen größeren Schaden genommen“, sagt der Ermittler aus Salzwedel.
Der Bonner Archäologie-Professor äußert in seinem Gutachten an die Staatsanwaltschaft aufgrund seiner Untersuchungen einen Verdacht: „Meine Vermutung ist, dass der Besitzer der sichergestellten Objekte sich zunächst in Mexiko-Stadt aufgehalten hat und anschließend nach Guatemala weitergereist ist, wo er als Tourist in die Stadt Flores kam und dort auf dem Schwarzmarkt die Maya-Objekte erwarb. Solche Objekte werden in Guatemala in Touristenzentren zum Kauf angeboten und stammen aus Raubgrabungen.“
Für seine Vermutung spricht auch, dass eines der 14 sichergestellten Artefakte tatsächlich eine klassische Touristen-Fälschung ist. „Der verwendete Ton und dessen Qualität bestätigen, dass es sich um ein Objekt aus einer modernen Werkstatt handelt“, führt Grube in seinem Gutachten aus.
Die Staatsanwaltschaft Stendal nimmt die Ermittlungen in dem höchst ungewöhnlichen Fall auf und ermittelt angesichts der zweifelhaften Herkunft der Maya-Objekte gegen den 66-jährigen jetzt in Frankreich lebenden Mann. Der ehemalige Klötzer soll sich die Kulturgüter rechtswidrig angeeignet haben. Außerdem steht noch der Verstoß gegen das Waffengesetz im Raum, weshalb sich der Mann in Salzwedel ursprünglich selbst angezeigt hatte.
Staatsanwalt Thomas Kramer: „Wir haben inzwischen die Ermittlungen eingestellt.“ Wegen der aufgefundenen Waffen ist der Fall inzwischen verjährt. Das für die sichergestellten Gegenstände infrage kommende Kulturgutschutzgesetz gab es zum Zeitpunkt, als die Gegenstände mit den Zeitungen aus dem Jahr 2007 samt Kunststoffbehälter vergraben wurden, noch gar nicht. Das trat erst neun Jahre später im Jahr 2016 in Kraft. Danach hätte dem Mann heute sogar eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren gedroht. Bei einem Nachweis von gewerbsmäßigen Handelns kommen inzwischen bis zu zehn Jahre Haft infrage.
LKA-Sprecher Klocke: „Der ehemalige Klötzer hat am Ende auf die Herausgabe aller sichergestellten Gegenstände freiwillig verzichtet, so dass das Verfahren schnell abgeschlossen werden konnte.“ Die Motive und Hintergründe bleiben bis heute unbekannt.
Die Ermittler nahmen im Frühjahr Kontakt mit der Staatskanzlei in Magdeburg auf, um die Objekte an die betroffenen Länder zurückzuführen. Das Auswärtige Amt vereinbarte über die beiden Botschaften in Guatemala und Mexiko die Rückgabe in die Heimatländer. Zurzeit lagern die historischen Funde noch im Tresor in Magdeburg bis sie Ende Mai offiziell zurückgegeben werden.
Das Volk der Maya: Die Kultur konzentriert sich um die Halbinsel Yucatan im Golf von Mexiko. Das gesamte Gebiet der Maya verteilt sich heute auf fünf Länder: Mexiko, Guatemala, Belize, Honduras und El Salvador. Die Fläche des einstigen Maya-Reiches, das aus rund 50 Kleinstaaten bestand, ist in etwa vergleichbar mit der Größe Deutschlands. Bis heute gibt es mehr Theorien als wirkliches Wissen über das Leben der Maya. Warum sie sich ausgerechnet im tropischen Klima Yucatans angesiedelt haben, ist genauso rätselhaft, wie ihr Verschwinden.
Entdeckung: Erst im 18. und 19. Jahrhundert gingen Forscher im mexikanischen Dschungel der Legende von überwucherten Tempeln nach. Erste dieser Bauwerke wurden bereits ab 900 vor Christus errichtet. Die großen Kulturleistungen nahmen bereits ab 200 nach Christus ihren Anfang.
Teotihuacán-Kultur: Die ehemalige Stadt Teotihuacán befindet sich bei Mexiko-Stadt. Sie galt mit 150 000 Einwohnern als größte Stadt des amerikanischen Kontinents vor der Entdeckung der Europäer. Weder die Sprache, noch warum die Bewohner ihre Stadt nach Jahrhunderten glänzenden Wachstums um 650 nach Christus plötzlich verlassen haben, ist bisher ungeklärt.
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