Krankenhauslandschaft Sachsen-Anhalt Zu viele Betten, zu wenig Qualität?
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft stellt Einschätzungen infrage, die der deutschen Kliniklandschaft Überkapazitäten und Qualitätsdefizite attestieren. Schlussfolgerungen, die einer pauschalen Ausdünnung der Kliniklandschaft das Wort reden, seien neu zu bewerten. Gerade für Krankenhäuser auf dem Land fordert die Gesellschaft die Erlaubnis, auch ambulant behandeln zu dürfen.
Magdeburg - Mehr als jedes zweite der 1400 Krankenhäuser bundesweit sollte geschlossen werden, um die Qualität der Versorgung zu verbessern. - Mit dieser Schlussfolgerung aus einer Untersuchung trat die Bertelsmann-Stiftung 2019 an die Öffentlichkeit. Seither wurde sie so oder ähnlich oft wiederholt. Grundlage: auch internationale Vergleichsdaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Sie scheinen der deutschen Kliniklandschaft bis heute Überkapazitäten und Qualitätsdefizite zu bescheinigen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft stellt solche, auch von der Politik übernommenen, Interpretationen nun entschieden infrage: „Es ist keinesfalls so, dass die deutschen Kliniken sich verstecken müssten“, sagte Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß gestern der Volksstimme. Denn: Wesentliche Kriterien blieben in der Debatte oft unberücksichtigt. Er gehe so weit, dass manche Wissenschaftler je nach Auftraggeber eine „interessengeleitete“ Datenauswahl vorgelegt hätten. Als Argumentationshilfe zieht Gaß eine Studie des Deutschen Krankenhaus-Instituts (DKI) heran, das sich OECD-Vergleichsdaten genauer angeschaut hat.
Zahl der Kliniken
Beispiel: die Zahl der Krankenhäuser. Auf den ersten Blick liegt Deutschland im europäischen Vergleich mit 19,3 Kliniken je eine Million Einwohner weit vorn - die Niederlande haben nur 4,5. Der Befund relativiert sich aber, wenn auch die im Vergleich zu den Niederlanden ältere Bevölkerung sowie eine höhere soziale Ungleichheit berücksichtigt werden. Schwere Erkrankungen sind hier viel häufiger. Fast noch wichtiger: Ambulante Einrichtungen vor und nach dem Klinikaufenthalt bleiben in der Statistik ebenfalls unberücksichtigt.
So gebe es etwa in Dänemark ein dichtes Netz aus ambulanten Strukturen, sagte Dr. Anna Levsen, Co-Autorin der DKI-Studie. Deutsche Kliniken kompensierten das Fehlen solcher Einrichtungen hierzulande bislang häufig.
Qualität der Behandlung
Auch bei der Qualität der Behandlung, der Sterblichkeit nach Herzinfarkten etwa, schneiden deutsche Kliniken auf den ersten Blick schlecht ab. 8,5 Prozent der Infarkt-Patienten sterben demnach in den ersten 30 Tagen nach Krankenhausaufnahme. Im oft als Vorbild angeführten Dänemark sind es 3,2. Auch das ein Argument, das Kritiker zu Gunsten von Zentralisierungen ins Feld führen. Allerdings: Die Aufenthaltsdauer in dänischen Kliniken ist niedriger als in Deutschland. Werden Anschlussbehandlungen außerhalb der Kliniken mitbetrachtet, nähern sich die dänischen den deutschen Zahlen an (7,0 Prozent). Heißt: Herzinfarkt-Patienten gleichen Alters könnten in Dänemark ähnlich häufig versterben wie in Deutschland, nur: in Dänemark passiert das oft nicht mehr im Krankenhaus.
Auch auf Grundlage der DKI-Analyse fordert die Krankenhausgesellschaft ein Umsteuern der Politik: Insbesondere auf dem Land müsse eine bessere Finanzierung Strukturen sichern. Da niedergelassene Ärzte auf dem Land zunehmend fehlen, sollten Kliniken dort auch ambulante Aufgaben wahrnehmen dürfen. Dank Digitalisierung sollten große Häuser, wie Uniklinika, ihre Angebote zudem zunehmend mit denen kleiner Häuser vernetzen - Stichwort Telemedizin. Damit würde es künftig weniger darum gehen, was ein einzelner Standort kann – sondern ein Netzwerk gestufter Versorgung, sagte Gaß.
Die Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt schloss sich den Forderungen an: „Die Versorgung in einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt lässt sich nur sicherstellen, wenn Krankenhäuser im ländlichen Raum mehr ambulante Aufgaben übernehmen dürfen“, sagte Geschäftsführer Gösta Heelemann. Eine Gesetzesregelung dazu fehlt bislang allerdings.
Aktuell 45 Standorte
In Sachsen-Anhalt gibt es derzeit 45 Krankenhausstandorte. Zuständig für Investitionen in Gebäude und Geräte ist das Land. Die Krankenkassen zahlen für die Behandlung. Wegen leerer öffentlicher Kassen und damit unzureichender Landeszuschüsse machte die Krankenhausgesellschaft bereits 2017 einen Investitionsstau von 1,5 Milliarden Euro geltend. 2019 hatten sich Gesundheitsministerium und Landtag trotzdem zum Erhalt aller damals noch 47 Standorte bekannt. Das Ministerium von Petra Grimm-Benne (SPD) hält ein Investitionsprogramm von 600 Millionen Euro in der neuen Legislaturperiode für notwendig.
Fehlende Landesmittel, knappe Fallpauschalen sowie steigende Standards, etwa OP-Mindestzahlen bei bestimmten Erkrankungen, bringen derweil immer mehr kleinere Häuser ins Wanken. Im vergangenen Jahr schloss der private Träger KMG das Krankenhaus Havelberg. In Gardelegen stand die eigenständige Kinderstation zwischenzeitlich vor dem Aus.
Im Fall Gardelegen ist über den Träger die Salus Altmark Holding zu gut 80 Prozent das Land Anteilseigner (Salus), zu knapp 20 Prozent der Altmarkkreis. Nach Volksstimme-Informationen könnte die Holding die Einrichtung nun doch als eigenständige Kinderstation erhalten. Für Havelberg entwickelt die Salus ein Konzept für ein ambulant-stationäres Gesundheitszentrum. Vorgesehen sei auch eine pflegerische Rund-um-die-Uhr-Betreuung mit ärztlicher Rufbereitschaft, sagte eine Sprecherin.