Langenweddingen Chronologie einer Katastrophe
Durch das Bahnunglück von Langenweddingen sterben 1967 94 Menschen. Die DDR zieht Schlüsse aus der Katastrophe.
Magdeburg/Langenweddingen l Es ist ein sonniger Morgen. Mehr als 50 Kinder freuen sich am 6. Juli 1967 auf die Fahrt ins Betriebsferienlager des Baustoffwerkes Magdeburg im Harz. Im Personenzug 852 von Haldensleben über Magdeburg nach Thale ist für sie der erste Doppelstockwagen reserviert – gleich hinter der Lok und dem Packwagen. Der Zug mit den acht Doppelstockwagen und rund 250 Reisenden verlässt pünktlich den Magdeburger Hauptbahnhof.
Am Stellwerk Langenweddingen versieht derweil Fahrdienstleiter Robert Benke seinen Frühdienst. Die Fernverkehrsstraße F 81 von Magdeburg nach Halberstadt kreuzt hier die Gleise. Kurz vor acht Uhr nähert sich der Personenzug. Ein Halt ist in Langenweddingen nicht geplant. Heizer und Lokführer sehen schon die Signale. Sie stehen auf „Fahrt frei“. Die Schranken können sie aus der Entfernung nicht erkennen.
Sie können nicht mitbekommen, dass der Fahrdienstleiter bereits verzweifelt versucht, den Schlagbaum zu schließen. Eine der vier Halbschranken hat sich in einem ausgeleierten Telefonkabel verfangen.
Am Bahnübergang naht zur gleichen Zeit ein Tanklaster vom VEB Minol. In seinem Kessel stecken 15.000 Liter Leichtbenzin. Als der Schrankenwärter die Schranken nochmals hochzieht, um das Kabel zu lösen, setzt der Fahrer des Lastwagens seine Fahrt fort – im Glaube, der Übergang sei frei.
Fahrdienstleiter Robert Benke hätte zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Probleme das Signal unlängst auf Halt gestellt haben müssen. Doch in der Hektik verliert er den Kopf. Die Dampflok rast heran, 30 Meter vor dem Übergang bemerkt der Heizer, dass etwas nicht stimmt: „Schranken sind offen“, ruft er. Die Notbremsung wird eingeleitet. Zu spät. Die Dampflok kracht in den Tanklaster. Das Benzin explodiert. Waggons entzünden sich. In den Abteilen herrschen in kürzester Zeit 800 Grad Celcius. Glas schmilzt. Das Feuermeer dehnt sich in rasender Geschwindigkeit auf die umliegenden Gebäude aus. Die Bahnhofsuhr bleibt mit dem Zeiger bei 8.06 Uhr stehen. Aus den Waggons dringt das verzweifelte Schreien der Menschen. Viele werden es nicht schaffen, sich aus der Flammenhölle zu retten.
44 Kinder und 33 Erwachsene kommen sofort ums Leben, auch der Lastwagenfahrer stirbt. 17 weitere Menschen sterben später an ihren Verbrennungen. Der Schrankenwärter und der Fahrdienstleiter werden später zu Haftstrafen von je fünf Jahren verurteilt. Die meisten Opfer werden am 11. Juli auf dem Magdeburger Westfriedhof beerdigt. Die Schranke, so werden Sachverständige später rekonstruieren, hat sich beim Unglück in einem Telefonkabel verfangen, das schon länger quer über dem Bahnübergang hing und sich aufgrund der Hitze verformt hatte. Die DDR verschärft unter dem Eindruck des Unfalls noch im selben Jahr die Vorschriften für die Bahn. Die Schließzeiten für Bahnschranken werden deutlich ausgedehnt. Externe Schrankenwärter müssen dem Fahrdienstleiter den geschlossenen Zustand der Schranken bestätigen.
Neben dem Unfall von Eschede gilt die Katastrophe von Langenweddingen bis heute als eines der schlimmsten Bahnunglücke auf deutschem Boden.