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Leseranwältin Grundsätze haben Bestand

13.01.2025, 07:00
Leseranwältin Heike Groll
Leseranwältin Heike Groll VS

Über den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt zu berichten, das bringt auch sehr erfahrene Reporter an Grenzen. Sie erleben das Leid vieler Menschen mit und müssen es in angemessene Worte fassen, mit der eigenen Erschütterung zurechtkommen, zugleich sorgfältig die professionellen journalistischen Standards einhalten. Dazu gehörte, zumindest in den ersten Berichten, vorsichtige Formulierungen wie „mutmaßlicher Täter“ und „Verdächtiger“ zu verwenden.

Wie kann das sein, fragten sich Leser, wo es doch keinen Zweifel an Tat und Täter geben konnte? Schließlich geschah es vor aller Augen, ein Video dokumentierte die Festnahme, bald wurde der Name genannt.

Es mag im ersten Moment herzlos klingen. Doch selbst in so schrecklichen Fällen haben einige Grundsätze Bestand. Der Pressekodex, das Regelwerk für Journalisten, fordert: keine Vorverurteilung. Das gilt ebenso für Polizei und Gerichte in einem Rechtsstaat. Im juristischen Sinne ist jemand erst dann Täter, wenn ein Gericht ihn verurteilt hat. Dass Ermittlungen stattfinden, ist nicht gleichbedeutend mit einem Urteil. Aus gutem Grund, auch wenn er auf den aktuellen Fall nicht zutrifft: Manchmal stellt sich heraus, dass der Verdächtige nicht der Täter war.

Gerade wenn sich die Ereignisse überschlagen, sind Journalisten gut beraten, sich an selbstverständliche Grundregeln zu halten und auf dieser Basis die journalistische Darstellung laufend zu prüfen und anzupassen. Mit etwas zeitlichem Abstand zum Geschehen ist daher nun vom „Täter“ die Rede.

Auch dies im Einklang mit dem Pressekodex: „Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind.“