Leseranwältin Kompetenz geht vor Prominenz
Alte Bekannte zu sehen, ist meist ein Grund zur Freude. Wenn die allerdings ständig auf der Matte stehen, kann sich Überdruss einstellen. So bei einer Volksstimme-Leserin mit großem Interesse an aktuellen Debatten: „Da werden immer dieselben Prominenten herumgereicht, das ist zu viel!“
In TV-Talkshows fällt das besonders ins Auge. Zeitungen können sich aber nicht freisprechen. Auch bei uns kommen oft dieselben Politiker, dieselben Experten zu Wort. Dies komplett zu umgehen, wäre weltfremd. Es gibt in Sachsen-Anhalt nur einen Ministerpräsidenten, in Magdeburg nur eine Oberbürgermeisterin. Was sie sagen und tun, wollen Leser wissen. Journalisten müssen diese Informationen beschaffen und darstellen, sonst würden sie gegen ihren Auftrag handeln.
Ähnlich verhält es sich, wenn es nur wenige Fachleute zu einem Thema gibt und diese darum häufiger befragt werden, etwa zum kommunalen Haushalt die Kämmerin, für Herzerkrankungen der Kardiologe an der Uniklinik.
Dann gibt es noch den Fall, dass Prominente ohne besonderen Bezug zu einem Sachthema sich „als Bürger“ äußern sollen. Journalistisch ist das legitim, das Interesse an der Person soll auf das Thema abstrahlen und so möglichst viele ansprechen. In der Regel sollte aber Kompetenz vor Prominenz gehen. Anderenfalls kann eintreten, was Leser häufig kritisieren: Redaktionen seien zu nah an Funktionsträgern und zu weit weg von normalen Bürgern.
Was also tun wir, um perspektivenreicher zu berichten? Weg 1: Fragen, wer alles von einem Thema betroffen ist und etwas sagen kann. Das Schulgebäude im Ort wird saniert. Bürgermeister und Verwaltung planen es. Baubetriebe setzen es um. Eltern und Schüler hoffen auf bessere Lernbedingungen. Weg 2: Bewusst andere als die üblichen Experten suchen, gleiche Fachkenntnis vorausgesetzt. Wenn zur Autoindustrie sonst Professorin Müller befragt wurde – warum nicht einmal Professor Meier? Alte Bekannte plus neue Gäste = bunte Mischung mit Substanz.