Insolvenzverwalter Der Retter in letzter Minute
Lucas Flöther aus Halle ist einer der gefragtesten deutschen Insolvenzverwalter. Wer ist der Mann, der Air Berlin retten will?
Berlin l Am Dienstagmorgen in dieser Woche bestellt Lucas Flöther in einer Berliner Hotelbar einen Cappuccino mit Süßstoff. Ob er dazu ein Croissant haben möchte, fragt der Kellner. Flöther verneint. Dann nimmt er seine Mappe, den Laptop und das Blackberry-Smartphone, geht zu den bordeauxroten Ledersesseln und setzt sich. Er müsse auf seine Ernährung achten, erklärt Flöther. Das sei gerade in den ersten Tagen eines neues Insolvenzverfahrens wichtig. Weil er dann ohnehin nur wenig schlafen könne, müsse er wenigstens gesund essen, um fit zu bleiben. Jetzt sei wieder so eine Zeit, sagt Flöther.
Air Berlin, Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft, ist seit Mitte August zahlungsunfähig. Der Rechtsanwalt aus Halle wurde zum Sachwalter bestellt. Jetzt muss er Teile der Airline verkaufen, um Arbeitsplätze zu retten und die Gläubiger zufriedenzustellen. Das bisherige Management bleibt im Amt. Die Insolvenz wird in Eigenverwaltung durchgeführt. Flöther ist Spezialist für diese Sonderform, die das deutsche Insolvenzrecht erst seit ein paar Jahren zulässt. Die Richter am Amtsgericht Charlottenburg beriefen den Hallenser auf diesen Posten. Die Gläubiger stimmten zuvor für Flöther als Sachwalter, weil er nüchtern Wahrheiten verkündet und nicht um den heißen Brei herumredet. Jetzt hoffen sie, zumindest ein paar ihrer Millionen wiederzusehen.
In seinem Job ist Flöther sehr gut. Viele sagen, der Ostdeutsche spiele in der ersten Liga unter den Insolvenzverwaltern. Genau genommen führt er Deutschlands Spitzenjuristen in diesem Metier sogar an. Seit 2015 spricht Flöther für den Gravenbrucher Kreis, einem Zusammenschluss von Anwälten aus den führenden Insolvenzkanzleien. 21 Mitglieder gehören zu der illustren Runde, die sich einige Male im Jahr trifft. Horst Piepenburg, der gerade versucht Solarworld zu sanieren, ist dabei. Aber auch Jobst Wellensiek, der Großpleiten wie Maxhütte oder Bremer Vulkan betreute.
Flöther erzählt, wie sehr er den fachlichen Austausch mit seinen Kollegen schätzt. In den vergangenen Jahren ist der Hallenser aber selbst zur großen Nummer geworden. Erst vor einem Jahr eilte er dem Leipziger Internetunternehmen Unister zu Hilfe, das nach dem Flugzeugabsturz seines Gründers Insolvenz anmelden musste. Mifa, den Fahrradbauer aus Sachsen-Anhalt, verkaufte er vor einigen Wochen an einen neuen Besitzer. Eine Insolvenz, sagt Flöther, muss nicht immer das Ende für ein Unternehmen bedeuten. Im Falle von Air Berlin wird die Sanierungsarbeit von Flöther im Verkauf von Unternehmensteilen enden.
Der Kellner bringt den Cappuccino. Leider fehlt der Süßstoff. Stattdessen stellt der Hotel-Angestellte einen kleinen Schokoladenkuchen auf den Tisch. „Das sieht aber sehr, sehr lecker aus“, sagt Flöther. „Selbstgemachter Brownie“, erklärt der Kellner. „Das ist ein Traum“, antwortet Flöther. Das Törtchen wird er bis zum Ende des Gesprächs trotzdem nicht anrühren. Dann erzählt Flöther weiter von seiner Arbeit bei Air Berlin. Als Sachwalter schaue er der Geschäftsführung genau auf die Finger. In den ersten Tagen sei aber entscheidend gewesen, die Flugzeuge in der Luft zu halten. Der 150 Millionen Euro schwere Kredit der Bundesregierung habe dabei geholfen, aber auch Zugeständnisse von Gläubigern. „Jede Sanierung“, erklärt Flöther, „ist aussichtslos, wenn der Betrieb geschlossen wird.“
Einer kriselnden deutschen Fluggesellschaft ist es nie zuvor gelungen, während des Insolvenzverfahrens weiterzufliegen. Für gewöhnlich entzieht das Luftfahrtbundesamt am Tag der Anmeldung alle Genehmigungen. Die Flieger bleiben dann am Boden. Rechtliche und finanzielle Hürden hätten genommen werden müssen, damit das bei Air Berlin nicht passiert, erklärt Flöther. Er hat so – gemeinsam mit dem Generalbevollmächtigten Frank Kebekus und dem Management – Geschichte geschrieben. Flöther selbst würde das nie von sich aus behaupten. Er trinkt einen Schluck aus der Tasse und verschränkt die Arme.
Flöther ist schon immer seinen eigenen Weg gegangen. Während seines Studiums an der Universität in Halle ist er einer der wenigen, die in den Vorlesungen zum Insolvenzrecht tatsächlich zuhören. Die letzten Zuckungen von schlecht laufenden Firmen hatten noch nie die Strahlkraft wie etwa Straf- oder Konzernrecht, sagt Flöther heute. Das Bild des Insolvenzverwalters sei früher eher das eines Liquidators gewesen. Und niemand wollte derjenige sein, der Unternehmen den Todesstoß versetzt. Auch der junge Flöther nicht. Doch der gebürtige Leipziger erkennt in Insolvenzverfahren die Chance, Unternehmen zu entschulden und somit zu sanieren.
Die Anwälte, zu denen der Flöther in seinen Zwanzigern aufschaut, sitzen in Amerika. Dort ist die Insolvenz in Eigenverwaltung ein gern gewähltes Instrument. Das deutsche Insolvenzrecht hingegen lässt das gar nicht zu. Bei der Eigenverwaltung bleibt das Management im Amt. So, sagt Flöther, bestehen die besten Chancen, das Unternehmen zu sanieren.
Kosten würden gespart. Know-how bleibe erhalten. Die Chancen für die Gläubiger, etwas von ihrem Geld wiederzusehen, seien viel höher. An der Uni Ende der Neunzigerjahre erkennt sein Doktorvater Stefan Smid, dass sich auch im deutschen Insolvenzrecht etwas tut. Mit seinem Professor schreibt Flöther später sogar ein Buch über die Eigenverwaltung in der Insolvenz. Der junge Anwalt ist eine Koryphäe. Theoretisch.
In der Praxis ist 1999 eine kleine Fleischerei in Hettstedt sein erster Fall. Zu diesem Zeitpunkt ist Flöther 25 Jahre alt und der jüngste Insolvenzverwalter in Deutschland. Der Sanierungsspezialist wird noch gefragter, als 2012 eine Reform des deutschen Insolvenzrechts der Eigenverwaltung die Tür öffnet. Seitdem können auch die Gläubiger den Insolvenzverwalter auswählen, das Gericht prüft den Vorschlag und entscheidet. Flöther findet das richtig. „Es geht immer um das Geld der Gläubiger, um nichts anderes“, erklärt er. Die Gehälter der Arbeitnehmer schließt er ausdrücklich darin ein.
Flöther tritt zurückhaltend auf, ist gut im Moderieren verschiedener Interessen. Seine Kontakte und sein guter Ruf öffnen ihm bei den Gläubigern die Türen. Gleichzeitig gilt der Sachsen-Anhalter als unbestechlich. Genau das ist für die Gerichte entscheidend.
Mit der Zahl der Verfahren, die Flöther begleitet, wächst auch seine Kanzlei. Flöther & Wissing sitzt noch immer in Halle, hat deutschlandweit aber mittlerweile zehn Standorte und mehr als 100 Mitarbeiter. „Ein Verwalter ist nur so gut, wie das Team, das hinter ihm steht“, sagt der 43 Jahre alte Anwalt.
Der Kellner kommt vorbei. Flöther bestellt noch eine Cola. Zero. Die ist ohne Zucker. Wenn er Zeit hat, spielt Flöther Tennis. In den letzten Wochen aber kaum noch, sagt er. Das Bewusstsein für seine Gesundheit hat er auch seiner Frau Lilit zu verdanken, die Oberärztin am halleschen Uni-Klinikum ist. Am vergangenen Wochenende konnte er zwischen den Verhandlungen mit den Air-Berlin-Interessenten kurz Zeit mit seiner Familie verbringen. Seine Tochter ist vier, sein Sohn zehn Jahre alt. Als er mit seinen Kindern spielen will, wird er angerufen. Kurzerhand gibt es eine Telefonkonferenz. Flöther sagt, dass seine Familie für die Arbeit Verständnis habe.
Spätestens im Oktober wird er auch wieder öfter in Halle sein. Denn Flöther hat der Universität die Treue gehalten. Seit 2012 ist er Honorarprofessor an seiner alten Fakultät. Immer montags von zehn bis zwölf Uhr hält er seine Vorlesungen ab. Zum Start des neuen Semesters in einigen Wochen soll er wieder im Hörsaal stehen.
Doch wie steht es dann um Air Berlin? Flöther zuckt mit den Schultern. „Ich hoffe, dass ich dann die Chance habe, immer erst Montagmittag meinen Dienst anzutreten“, sagt er. Lieber wäre ihm ohnehin, dass Air Berlin irgendwie weiterfliegt. Dann wäre ihm erneut ein Kunststück gelungen. So eine Rettung in letzter Minute.