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Machtergreifung: Hitler mied Magdeburg

30.01.2013, 08:37

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler - auf den Regierungsbezirk Magdeburg hatte das dramatische Auswirkungen. In nur zwei Monaten rissen NSDAP und SA in Politik und Gesellschaft die Macht an sich. Trotzdem hat Hitler Magdeburg eher gemieden.

Magdeburg l Es war der 22. Ok-tober 1932. Adolf Hitler, Vorsitzender der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), tourte vor der Reichstagswahl im November durch die Republik. An diesem Tag wollte er auf dem Werder in der Stadthalle zu 5000 Magdeburgern sprechen. "Doch seine Anreise war kompliziert", sagt der Historiker Maik Hattenhorst, der den Umbruch vom Ende der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus in Magdeburg erforscht hat. "Hitlers Wagenkolonne wurde von Steinewerfern behindert." Es sei ein unfreundlicher Empfang in der "roten Stadt" gewesen. Manche würden gar von der Geburt einer Legende sprechen: Der "Führer" habe Magdeburg seitdem gemieden.

"Die Gewalt derNationalsozialisten ging von der Straße aus."

Die Volksstimme, damals eine SPD-Tageszeitung, berichtete am 24. Okotber 1932 von dem Vorfall und beschrieb Hitler als Gewaltmenschen, der mit Nilpferdpeitsche und Revolver aufgetreten sei. Wenige Wochen später, am 30. Januar 1933, hat Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Hindenburg glaubte, die Nationalsozialisten mit einer konservativen Regierungskonstellation in Schach halten zu können - eine folgenschwere Fehleinschätzung.

In nur wenigen Monaten hatten die Nationalsozialisten ihre Machtbasis in Politik und Gesellschaft schnell ausgebaut: Bürgerrechte wurden ausgesetzt, der Reichstag entmachtet, die Länder gleichgeschaltet, Gewerkschaften verboten, Juden verfolgt - auch im Regierungsbezirk Magdeburg.

"Die Nationalsozialisten haben sich hier schnell etabliert" weiß Maik Hattenhorst aus seinen Forschungen. "Angriffe auf Einzelpersonen, Schlägereien, SA-Stürme standen auf der Tagesordnung." Am4. Februar wurde der Staßfurter Bürgermeister Hermann Kasten von einem SA-Mann auf der Straße erschossen. Viele Vereine wie auch die Industrie- und Handelskammer mussten ihre Vorstände gegen Männer mitNSDAP-Parteibuch austauschen.

"Die größte Gewaltwelle folgte aber noch, im März 1933. In Magdeburg hat die SA das Rathaus und zahlreiche andere Gebäude besetzt", erklärt Hattenhorst. Die Nationalsozialisten wollten den Magdeburger Oberbürgermeister Ernst Reuter öffentlich demütigen. Er wurde von der SA aus seinem Amtsraum gerissen und sollte durch die Stadt getrieben werden. "Tausende Menschen standen vor dem Rathaus. Ein Polizist hat ihn gerettet und in Schutzhaft genommen. Seinem Stellvertreter Herbert Goldschmidt konnte der Polizist das nicht ersparen", sagt Hattenhorst. Reuter beschwerte sich bei Reichspräsident Hindenburg - das Schreiben blieb unbeantwortet.

"Die SA ist einen Tag vor der Kommunalwahl am 12. März ins Rathaus marschiert, das war ein symbolischer Akt. Sie wollte demonstrieren: Wir sind stärker und machen euch auch ohne Wahl einen Kopf kürzer. Die Gewalt der Nationalsozialisten ging von der Straße aus", erklärt Maik Hattenhorst. Das seit 1919 von der SPD geführte "rote Rathaus" sei bei der SA verhasst gewesen.

80 Jahre nach den Ereignissen stellt sich heute immer noch dieselbe Frage: Wie konnte es soweit kommen? Gerade im "roten" Regierungsbezirk Magdeburg?

"Die NSDAP wurde Sammlungspartei der Enttäuschten."

"Magdeburg blieb in den 1930er Jahren trotz steigender Stimmen für die NSDAP eine SPD-Hochburg. Die Wahlergebnisse der Genossen lagen mit Ausnahme der von Repressionen überschatteten Wahl 1933 immer über 34 Prozent", sagt Hattenhorst. "Das bürgerliche Lager dagegen ist umgekippt. DDP, DVP und DNVP haben im Regierungsbezirk viele Wähler an die NSDAP verloren. Sie wurde zur Sammlungspartei für die Enttäuschten." Die Dynamik und das Charisma Hitlers hätten auch hier ihre Wirkung gezeigt.

Die NSDAP holte in den 1930er Jahren im heutigen Sachsen-Anhalt prozentual sogar mehr Stimmen als im Deutschen Reich. "Besonders in ländlich und protestantisch geprägten Regionen war sie erfolgreich. Diese Gebiete litten stärker unter den wirtschaftlichen Verwerfungen. In Sachsen-Anhalt waren das beispielsweise die Altmark oder auch die Börde", so Hattenhorst. In den Landkreisen Salzwedel und Gardelegen erreichte die NSDAP teilweise über 60, in Osterburg und Wernigerode über 55 Prozent der Stimmen bei der Reichtagswahl im März 1933.

Gern hätte der Historiker der Volksstimme weitere Zahlen und eine Überblicksdarstellung für Sachsen-Anhalt zur Verfügung gestellt. Doch diese gebe es noch gar nicht, bemängelt der Historiker. "Die Universitäten Magdeburg und Halle wären dazu in der Lage, dauerhafte Forschungen zur regionalen Geschichte des Dritten Reichs zu organisieren. Sie tun es leider nicht, dabei sind viele Fragen zu dieser Epoche noch offen", sagt Hattenhorst. Im bundesweiten Durchschnitt hinge Sachsen-Anhalt bei der Aufarbeitung zum Nationalsozialismus hinterher.

Belegt ist dagegen, dass die Regionen um Dessau und Halle für Adolf Hitler wichtiger waren als die um Magdeburg. "Dort war er öfter. Dessau war die Gauhauptstadt und hatte auch als eine der ersten Städte in Mitteldeutschland eine nationalsozialistische Regierung. Außerdem waren die Parteistrukturen besser ausgeprägt", erklärt Hattenhorst. Die "Legende", dass Hitler Magdeburg gemieden habe, sei also nicht so weit hergeholt. "Aber das ist auch historisch gewachsen", sagt der 40-Jährige.

"Hitler war öfter in der Gauhauptstadt Dessau als in Magdeburg."

Dass Hitler nicht - wie angekündigt - an der Eröffnung des Schiffshebewerks in Rothensee im Oktober 1938 teilnahm, sondern sein Stellvertreter Rudolf Heß, sieht der Historiker nicht als Indiz für eine bewusste Magdeburg-Absenz des "Führers": "Wer weiß, was an dem Tag sonst noch in seinem Terminkalender stand."

Was in seinem Terminkalender steht, weiß Maik Hattenhorst. Heute Abend hält er einen Vortrag zur Machtergreifung der Nationalsozialisten. "Ich werde die Folgen aufzeigen, die daraus für Magdeburg resultierten", sagt der Historiker. Im Anschluss folgt eine Podiumsdiskussion mit den Historikern Mathias Tullner, Alexander Sperk und Alexander Bastian.

Vortrag zur Machtergreifung der NSDAP: 19.30 Uhr in der Zentralbibliothek Magdeburg (Breiter Weg 109)