Erbe Milliarden auf herrenlosen Konten
Wenn Erben herrenloser Konten nicht zu ermitteln sind, dürfen Banken das Geld nach 30 Jahren ausbuchen. Was damit passiert:
Magdeburg l Zwei bis neun Milliarden Euro könnten dem Verband deutscher Erbenermittler (VDEE) zufolge auf verwaisten Konten in Deutschland lagern. Genau kann die Summe niemand umreißen. Auf eine Anfrage der Grünen antwortete die Bundesregierung kürzlich: Keine Informationen zur Anzahl und zum Umfang des Vermögens, die über Schätzungen hinausgehen.
Grund dafür ist auch, dass sich die Banken nur reserviert dazu äußern. Die Volksstimme hat bei mehreren Sparkassen in Sachsen-Anhalt nachgefragt. Sie können oder wollen keine Daten nennen. Auch die Commerzbank kann die Beträge, die auf derartigen Konten schlummern, nicht beziffern.
Andernorts werden Banken konkreter. Beispiel Sparkasse Dortmund: Sie führte im September dieses Jahres 247 000 nachrichtenlose Konten mit einem Guthaben von insgesamt 4,7 Millionen Euro. Erfasst wurden Konten, die seit mindestens fünf Jahren brachlagen und einen Bestand bis 250 Euro aufwiesen. Höhere Vermögen wurden nicht berücksichtigt. Das Geld könne bei berechtigter Forderung jederzeit ausgezahlt werden, teilt die Bank mit.
Der Sprecher des VDEE sagt, man gewinne den Eindruck, „dass sich die Banken sperren, weil die Recherche zu den Besitzern Mühe macht“. Außerdem könnten Banken das Geld nach 30 Jahren ausbuchen und als Gewinn versteuern – wenn sich kein Erbe meldet und auch die Recherchen der Banken über die hinterlegten Kontaktdaten ins Leere laufen.
Warum aber werden viele Konten nicht mehr angetastet? Wie können Erben und Angehörige nicht wissen, bei welchen Banken der Verstorbene Konten oder Sparbücher hatte? Ein Grund: Ein Zentralregister, über das man kostenlos und unproblematisch die Vermögen aufspüren kann, gibt es hierzulande nicht. Erben müssen alle Bankenverbände separat anschreiben. Anderenorts in Europa - etwa in den skandinavischen Ländern - sei es für Erben wesentlich einfacher, Konten von Verstorbenen zu recherchieren, heißt es vom VDEE. In anderen Ländern gebe es zentrale Anlaufstellen, zudem sei das Erbrecht weniger komplex. Der Verband fordert nun, auch in Deutschland ein zentrales Register einzurichten, über das man kostenlos und problemlos Konten aufspüren kann.
Alles in allem sei die Suche sehr aufwendig, findet auch Wolfgang Ruland. Er ist Obermeister der Bestatterinnung Sachsen-Anhalt. Ruland schließt sich den Forderungen nach einem zentralen Register an. Zwar gebe es unterdessen bessere Recherchemöglichkeiten, etwa über digitale Nachlassdienste. Er befürchte dennoch, dass es in Zukunft noch herausfordernder werde, nach Konten zu suchen, weil immer mehr nur noch digital geführt werden.
Ein Vorschlag für die Verwendung der Beträge, die auf den unbewegten Konten lagern, hat das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (Send), ein Interessenverband der deutschen Sozialunternehmerbranche. Neben einem zentralen Register zum Auffinden der nachrichtenlosen Konten könnte das Geld in einen Sozialfonds fließen, aus dem Projekte in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unterstützt würden, fordert der Verein. Olaf Meister, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt, spricht sich auch dafür aus, die nachrichtenlosen Konten zu erfassen. Er begrüßt die Idee, mit dem Geld soziale Projekte zu fördern.
Ein Vorbild dafür gibt es schon: In Großbritannien werden die Konten seit 2005 erfasst. Ein Teil der Guthaben aus den langfristig inaktiven Bankkonten geht dort an eine Förderbank. Mit den Mitteln werden gemeinnützige Projekte finanziert und Firmen, die einen sozialen oder ökologischen Zweck verfolgen, unterstützt.