Springreiten Mit Alice aus der Altmark zum Titel
Als erste deutsche Frau gewann Simone Blum bei den Weltmeisterschaften im Springreiten den Titel - mit Erfolgspferd Alice aus der Altmark.
Berkau l Es war die Sensation des Sportwochenendes: 24 Jahre nach Pferdesport-Legende Franke Sloothaak und als erste deutsche Frau überhaupt gewann Simone Blum (29) bei den Weltmeisterschaften im Springreiten den Titel im Einzel. Und das Beste daran: Die Wiege ihres Erfolgspferdes Alice steht in der Altmark.
Die 300-Seelen-Gemeinde Berkau nahe Bismark ruht an diesem sonnigen Herbsttag im Mittagsschlaf. Die Dorfstraße ist verlassen. In der goldenen Mitte des Ortes steht ein betagtes Fachwerkhaus – Baujahr 1953 – mit dazugehörigem Drei-Seiten-Hof, Pferdestall und dahinter gut ein Hektar Wiese. Vier Zuchtstuten und vier Fohlen haben auf dem Anwesen von Ralf Mewes den Pferdehimmel auf Erden.
Unglaublich, aber wahr: Hier also steht die Wiege der Fuchsstute, von der seit 23. September die ganze Welt spricht: Alice. Die „Wunderstute“. Die „Außerirdische“. Der „Goldesel“ unter den Springpferden. Das Pferd, von dem seine Reiterin, die frischgebackene Weltmeisterin Simone Blum, sagt: „Ohne Alice wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin! Sie ist eine Kämpferin, kann und will alles.“
Überhaupt möglich gemacht hat das „Wunder von Tryon“ allerdings ein ganz anderer. Ein Altmärker. Ralf Mewes eben. Der 56-Jährige ist als Hobbyzüchter sozusagen der Urvater des Erfolges. In seinem Stall steht noch immer, elfeinhalb Jahre nach der Geburt von Alice (15. Februar 2017), die Zuchtstute Landblume. Sie ist die Mutter des neuen Pferde-Stars aus Deutschland – und der ganze Stolz ihres Besitzers: „Landblume ist ein Goldschatz. Sie ist eine Super-Zuchstute und ganz tolle Mutter. Vor vier Monaten hat sie ihr 15. Fohlen zur Welt gebracht.“
Alice war damals ihr viertes Kind. Als Samenspender und damit Vater hatte Mewes ganz bewusst Askari ausgewählt und die Deck-Taxe von 500 Euro für eine Saison hingeblättert: „Für einen Hobbyzüchter ist es bereits das Größte, ein S-Klassen-Springpferd hervorzubringen, also eines, das schwere Sprungprüfungen meistert. Und weil Askari wie Landblumes Mutter Kornblume auch ganz viel Springerblut in den Adern hat, dachte ich mir, ich versuch‘s mal damit. Das könnte was werden“, erinnert sich der Pferdenarr.
Von Kindesbeinen mit Pferden aufgewachsen und als Vielseitigkeitsreiter mit Kornblume zweimal Landesmeister und Dritter bei DDR-Meisterschaften, kannte sich Mewes in der Szene zwar aus. Und er vertraute bei der Besamung mit nur 24 Stunden haltbarem Frischsperma wie immer auf die „Künste“ von Tierärztin Angelika Netzband. Sie hat im Altmarkdörfchen Stappenbeck nahe Salzwedel ihre Praxis.
Dass ihnen mit der Paarung und Besamung ein absoluter Volltreffer gelungen war und sie Jahre später den Sensationserfolg „ihrer“ Weltmeisterin in Berkau vor dem Fernseher miterleben und mit Sekt gemeinsam feiern würden, war allerdings nicht abzusehen: „Da ist natürlich auch immer eine Portion Glück dabei. Und eine Garantie hast du selbst bei der Paarung absoluter Top-Pferde nicht“, weiß Mewes.
Alices Geburt sei unkompliziert gewesen. „Ansonsten war sie ein ganz normales Fohlen. Etwas ängstlich und vorsichtig vielleicht. Aber ein absolutes Energiebündel.“ Nichtsahnend, dass er da einen kleinen „Gold-esel“ im Stall hatte, verkaufte Mewes das Fohlen nach einem halben Jahr an den Königsborner Ottmar Schöne.
Für 3000 Euro: „Der stand auf Askari und nahm Alice mit Kusshand.“ Als Fehler bezeichnet der Altmärker den Weiterverkauf von Alice, die von Experten aktuell als das Pferd mit dem derzeit höchsten internationalen Marktwert eingestuft wird, nicht: „Ich bin Hobbyzüchter und kann natürlich nicht alle Fohlen behalten. So ehrlich muss man sein: Bei mir wäre doch Alice völlig untergegangen.“ Ein kleines Stück vom großen Kuchen bekommt er aber dennoch ab: „Werden Pferde irgendwo auf der Welt beim Nations Cup eingesetzt, reiten also für Deutschland, bekommt der Züchter anteilig etwas von der Prämie.“
Vier Jahre verlor Mewes die Wunderstute aus den Augen. Bei einem Turnier für Fünfjährige sah er sie wieder. Und staunte: „Schon da hat man gesehen, dass Alice ein außergewöhnliches Pferd mit einem riesigen Sprungvermögen und viel Power ist. Aber eben auch ängstlich und vorsichtig von Natur aus. Deshalb sprang sie schon damals viel höher, als es nötig war, um nicht zu touchieren.“
Die tiefsten und meisten (Huf-)Spuren hat Alice letztlich im Jerichower Land hinterlassen, verbrachte sie doch die Hälfte ihres Pferdelebens bei Landwirt Kai-Uwe Fricke und seiner Frau Anja in Krüssau. Wie Mewes betreibt das Paar die Zucht hobbymäßig und reitet selbst leidenschaftlich gerne. Die beiden Pferdeliebhaber waren es auch, die Alice einjährig von „Zwischenhändler“ Schöne gekauft und das Springpferd-ABC beigebracht haben. Kaufpreis damals: Läppische 2500 Euro. Der Grund: Schöne wollte die einjährige Stute wieder loswerden.
Er kam mit ihr einfach nicht zurecht, fand keinen Zugang. Doch so richtig konnte er die „kleine Diva“ keinem aus der Reitsportszene schmackhaft machen. „Zum einen, weil sie wirklich sehr eigen war. Aber auch, weil sich kaum jemand einen Jährling hinstellt und sich die Mühe macht, ihn aufzuziehen und alles beizubringen, was ein Sportpferd braucht", weiß Anja Fricke.
Die einjährige Stute kam in Krüssau zunächst auf die Koppel und erkämpfte sich dort konsequent ihren Platz: „Alice war zwar kein Untier, aber sie hatte ihren eigenen Kopf. Schon als Zweijährige war sie der Chef auf der Koppel, biss beispielsweise beim Wassertrinken alle um sich herum weg.“ In dem jungen Alter sei das ungewöhnlich. „Aber sie wusste schon immer, was sie wollte, und hatte jede Menge Energie, die kaum zu bändigen war", erinnert sich die ehemalige Besitzerin, die die männerscheue Diva unter ihre Fittiche nahm und sie beritt.
Turnierreif machten die talentierte, aber eben alles andere als leicht zu händelnde Fuchsstute zwei sachsen-anhaltische Reitsport-Größen: zuerst Berufsreiter Tino Seeger in Schönhausen bei Stendal, dann Steffen Buchheim in Ihleburg (Jerichower Land). Letzterer, mehrfacher Landesmeister im Springreiten, holte Alice als Fünfjährige einmal in der Woche auf seinen Ausbildungshof.
Hier versuchte er das Temperament des Springpferdes zu zügeln, das „nicht totzukriegen“ war und „viel Kampfgeist“ hatte, im Pacour aber „guckig und klemmig“ unterwegs gewesen sei. „Mit harter Hand, aber ohne ihren Willen zu brechen. Das war wichtig und richtig“, beobachtete Mewes das Treiben aus der Ferne.
Nach einer Verletzungspause gewann Alice, inzwischen tagtäglich bei Buchheim in Pflege und Training, als Siebenjährige ein S-Springen in Schönhausen. Das erste Achtungszeichen war gesetzt. Und von Händlern und „Spähern“, die in Deutschland immer und überall auf den Turnieren auf Talentsuche sind, registriert.
So wurde auch Hans-Günther Goskowitz, Reiter, Trainer (und in einem Monat Ehemann von Weltmeisterin Simone Blum) auf Alice aufmerksam. „Er suchte damals nach einem talentierten Springpferd für Simone, kam vorbei und nahm Alice bei uns in Augenschein“, so Anja Fricke. „Er war begeistert und meinte: „Das könnte eine für sie sein - die ist genau ihr Ding‘“
Nur zwei Tage wurde die junge Stute auf Blumes heimischem Hof in Zolling (Bayern) getestet: Mehr war nicht nötig, um herauszufinden: Hier hatten sich zwei gesucht und gefunden. „Es sagt eigentlich alles, wenn Simone betont, dass Alice das Pferd ihres Lebens ist. Die Stute hat es dort echt gut, sie wird wie eine Göttin behandelt.“
Mit Frickes Segen und für einen Verkaufspreis „im unteren sechsstelligen Bereich wechselte Alice also 2014 den Besitzer. Zum letzten Mal übrigens: Für Weltmeisterin Simone Blum ist sie nämlich „unverkäuflich“.