Kinderpolizist Mit Märchen gegen Missbrauch
Um Kinder vor Straftaten zu bewahren, fährt Steffen Claus seit zehn Jahren ehrenamtlich als Kinderpolizist durch Sachsen-Anhalt.
Loburg l Was ist der Unterschied zwischen Rotkäppchen und den Viertklässlern der Grundschule Loburg? Die Viertklässler lassen sich nicht über ihre Großmutter ausquetschen – und auch nicht über sich oder den Rest ihrer Familie. Das wissen sie spätestens jetzt, wo Steffen Claus mit einer blonden Puppe an der Hand mit ihnen durchgeht, was bei diesem Mädchen im Märchen alles schiefgelaufen ist. Und nicht nur bei Rotkäppchen. Auch bei Schneewittchen.
„Die war zwar die Schönste, aber nicht die Schlauste“, witzelt Claus. „Die Zwerge in ihrer WG haben ihr gesagt, sie soll die Tür nicht öffnen, wenn sie weg sind. Und sie macht gleich dreimal auf.“
Claus hat heute noch mehr Helfer mit ins Jerichower Land gebracht. Hinter ihm auf dem Tisch stehen zwei Dutzend Märchenfiguren; daneben fläzt Rudi, ein flauschiger Polizeirabe. Seit zehn Jahren schon reist der pensionierte Hauptkommissar aus der Nähe von Halle mit diesem Team durch Kitas und Grundschulen im Land. Damit ergänzt er mehrere Einzelprojekte der Polizei durch ein umfassendes: Er spricht mit Kindern von vier bis zehn Jahren über seltsame Angebote von Fremden und Bekannten, die Waffe der Kleinen (ihr Mund), Notlügen, Regeln von Mama und Papa – alles, um Gewalt und Missbrauch vorzubeugen.
Besonders ist die Herangehensweise über Märchen. „Damit Kinder nicht gleich Angst bekommen, spricht man mit ihnen am besten über etwas Vertrautes“, erklärt der 66-Jährige. „Beim Märchenwald wissen sie, die Geschichte geht gut aus.“ Denn ihm ist es wichtig, die Kleinen vor Gefahren zu warnen, ohne Panik zu machen.
Dreimal pro Woche ist der Rentner unterwegs. Rund 60.000 Kinder, hat er ausgerechnet, saßen in den vergangenen zehn Jahren vor ihm. Bis auf einen Fahrtkosten-Zuschuss von 20 Euro müssen die Kitas und Schulen nichts zahlen. Die Veranstaltungen sind bis Ende September ausgebucht.
Entwickelt und gestartet hat Claus das Projekt noch in seiner aktiven Zeit als Polizist in Dessau. Als er dann nach fünf Jahren in Altersteilzeit ging, beschloss er, ehrenamtlich weiterzumachen. Warum? „So lerne ich Land und Leute kennen. Außerdem sind Kinder ein dankbares Publikum.“ Der Sachsen-Anhalter gründete den Verein „Agentur Schutzengel“. Zehn Mitglieder hat der, die meisten sind wie er pensionierte Polizisten. Ein Teil unterstützt das Projekt auch aktiv, einer hat zum Beispiel ein Malheft gestaltet.
Der Einsatz von Steffen Claus geht weit über die Kinderveranstaltungen hinaus. Bevor er mit einer Klasse oder Kita-Gruppe spricht, kommt er extra für einen Elternabend vorbei. „Eltern sind die engsten Bezugspersonen“, sagt er. „Da ist es wichtig, dass sie ihnen die Dinge richtig erklären.“ Dass sie zum Beispiel nicht nur vor Fremden warnen, schließlich stammen Täter oft aus dem Umfeld von Kindern.
Außerdem hat der Ex-Polizist vier Bücher zum Thema Kinderschutz geschrieben, darunter einen Eltern-Ratgeber. Und dann ist da noch das Kriminalpanoptikum. Claus hat die Dauerausstellung in Aschersleben – die übrigens auch für Erwachsene gedacht ist – vor 14 Jahren aufgebaut. An zwei Tagen pro Woche übernimmt er dort heute die Aufsicht. Manchmal veranstaltet er dann auch ein Detektivspiel. „So bringe ich Kinder dazu, die Texte an den Ausstellungsstücken zu lesen.“ Mit den Jahren hat man solche Tricks raus.
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