Prozess wegen des Überfalls auf einen Steinmetz in Wolmirstedt / Einer von drei Tätern auf der Anklagebank / Deutsch-Kasache räumt Körperverletzung ein Mysteriöser Fall: Haben sich "Geldeintreiber" in der Adresse geirrt?
Magdeburg. Ein mysteriöser Fall wurde gestern am Landgericht Magdeburg verhandelt. Der Tathergang: Da fahren drei Männer – zwei gebürtige Kasachen und ein "Junkie" unbekannter Nationalität – am 15. April 2010 mit einem funkelnagelneuen, dunklen VW Passat Kombi mit Paderborner Kennzeichen zielgerichtet von Westfalen nach Wolmirstedt. Ohne Navigationsgerät, ohne zu fragen – bis vor ein Haus, das nicht anders aussieht, als die meisten anderen in der Stadt im Bördekreis. Die Männer gehen in den Steinmetzbetrieb, überfallen den Besitzer und verlangen Geld aus dem Tresor.
Doch einen Tresor gibt es weder im Wohnhaus noch in den Räumen der Werkstatt.
Der 77 Jahre alte Steinmetzmeister – von Polizei und gestern erneut vom Vizepräsidenten des Magdeburger Landgerichts, Konrad Bastobbe, befragt – sagt aus, dass seine Firma weder dienstlich noch privat Kontakte zur kriminellen russisch-kasachischen Szene hat, nie um Schutzgeld erpresst wurde und keine Schulden hatte. Auch mit Inkassofirmen habe er nie etwas zu tun gehabt.
Durch Brille identifiziert
Der Angeklagte, einer von drei Tätern, der nur deshalb gefasst wurde, weil er seine Brille mit dazugehörigen DNA-Spuren am Tatort verloren hatte, räumt den Überfall zwar ein, will aber weder die Mittäter näher kennen, noch wissen, warum es bei dem Überfall überhaupt gegangen war.
Einer der beiden Mittäter habe sich Alexander Schmidt genannt, der andere Waldemar, sei jedoch nur mit "Wuwtschik" angesprochen worden.
Staatsanwältin Ellen Brech-Kugelmann hatte in ihrer Anklage die mehr oder weniger gesicherten Fakten des Falls zusammengetragen. Diese beruhen zum großen Teil auf der Aussage des Angeklagten und der Opfer. Brech-Kugelmann wirft dem 35 Jahre alten Witali B. schwere Körperverletzung und versuchte räuberische Erpressung vor. "Am 15. April des vergangenen Jahres ist der Angeklagte mit zwei weiteren, bis heute unbekannten Tätern, in das Haus der Familie H. eingedrungen." Dabei habe einer der Täter (Alexander Schmidt) gefragt: "Wo ist der Tresor?"
Er habe zudem eine Waffe gezogen und habe damit den damals 76-jährigen Firmeninhaber bedroht. Ein Täter (Witali B.) habe den Seniorchef gefesselt und als die Ehefrau hinzugekommen war, auch diese an einen Bürostuhl gefesselt. Im weiteren Verlauf des Überfalls sei auch Frank H., der Sohn des Steinmetzmeisters, auf die Szene zugekommen. Auch Frank H. sei mit der Waffe bedroht worden und habe sich auf den Fußboden legen müssen.
Der 76-Jährige habe versucht zu fliehen und sei von einem der Täter (Witali B.) gegen eine Vitrine geschleudert worden, die zersplitterte. Der Angeklagte habe den danach auf dem Boden Liegenden "mindestens zwei Faustschläge ins Gesicht gegeben". Im Ergebnis dessen ist das Opfer seit diesem Tag auf dem linken Auge blind.
Ein Schuss beendete das Drama. Der Mann mit der Pistole hatte Frank H. seitlich in Bauchhöhe getroffen – ein glatter Durchschuss.
Witali B., geboren im kasachischen Dorf Borodinowka, lebt seit 1993 in Deutschland. Bereits ein Jahr später bekam der Mann, der zuletzt in Willebadessen, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen, gewohnt hat, einen Eintrag ins Bundeszentralregister. Inzwischen sind es 13 Einträge: Drogendelikte, gefährliche Körperverletzung, Diebstahl, Betrug und Urkundenfälschung. Zuletzt wurde er am 29. Januar 2010 vom Amtsgericht Brakel (Nordrhein-Westfalen) wegen gefährlicher Körperverletzung zu zehn Monaten Haft verurteilt und stand bei der Tat in Wolmirstedt unter Bewährung.
Bewusstlos in der Klinik
Witali B. schilderte gestern, dass er von Alexander Schmidt, einem Landsmann, den er ein halbes Jahr zuvor kennengelernt und der ihn des Öfteren eingeladen hatte, angerufen worden war. "Er hat mich gefragt, ob ich mitkommen will, Geld abzuholen. Es sei telefonisch alles abgesprochen." Unterwegs hätten er und "Wuwtschik", den er nicht kannte, zusammen eine halbe Flasche Rum getrunken und er "drei, vier Bahnen Pepp (synthetische Droge mit stimulierender Wirkung) durch die Nase gezogen".
Im Großen und Ganzen bestätigte B. die Anklage. Zum Pistolenschuss sagte er aus, dass er genau hingesehen habe, ob sich auf dem weißen T-Shirt von Frank H. Blut zeigt. "Ich habe nichts gesehen, nur einen Einschuss in den Kacheln. Da war ich erleichtert."
Nach dem Schuss sei er seinen Kumpanen hinterhergelaufen, die das Weite gesucht hätten. Dabei habe er bemerkt, dass er seine Brille verloren hat.
Der 77 Jahre alte Steinmetzmeister, der mit schwarzer Klappe vor dem linken Auge als Zeuge erschien, hatte nach der Tat zwei Wochen lang ohne Bewusstsein im Krankenhaus gelegen. Er erkannte den Angeklagten nicht als einen der Täter. An viele Details des Geschehens konnte sich das Opfer nicht mehr erinnern. Er bekräftigte jedoch, zuvor keinerlei Kontakte zu den Tätern gehabt zu haben. Er könne sich keinen Reim auf die Tat machen.