Natur "Töten nicht aus Mordlust": Das sagt der Naturschutzbund zu Wölfen in Sachsen-Anhalt
In Calbe, Magdeburg-Ottersleben und Wanzleben wurden allein im nördlichen Sachsen-Anhalt in den letzten Tagen und Wochen Wölfe in unmittelbarer Nähe zu menschlichen Siedlungen beobachtet. Grund zur Sorge? Das sagt der Nabu.
Magdeburg - Die Aufregung war groß: Ein Video aus Calbe sorgte für Aufregung in den sozialen Medien. Der wacklige Film zeigt einen Wolf, der durch die Stadt streift. Zudem streifte ein Wolf am 23. Januar durch die Stadt Wanzleben und Magdeburg-Ottersleben - in der Börde nur wenige Meter vom Kreisverkehr entfernt und unbeeindruckt vom Verkehr.
"Vor seiner Vertreibung im 19. Jahrhundert gehörte der Wolf fest zur Tierwelt Mitteleuropas. Sein Verbreitungsgebiet war riesig, reichte bis nach Indien und umfasste auch die arabische Halbinsel sowie Nordamerika. Umfangreiche Schutzmaßnahmen führten schließlich zu seiner langsamen Rückkehr, seit 2000 auch hier in Deutschland", erklärt Lukas Bursee, Tierarzt und Projektmitarbeiter des Naturschutzbundes Sachsen-Anhalt, kurz Nabu, in einer Pressemitteilung.
Nabu: "Wölfe töten nicht aus Mordlust"
Wie viele andere Raubtiere sei auch der Wolf ein hochsoziales Tier. „Wolfsrudel bestehen aus den Mitgliedern einer Familie“, lässt sich Anne Arnold, Geschäftsführerin des Nabu Sachsen-Anhalt, in der Pressemitteilung zitieren. „Wie in anderen Familien, wird aufeinander aufgepasst, miteinander gespielt und sich gemeinsam um Verletzte gekümmert. Die Familienleitung obliegt dabei den Elterntieren. Kämpfe um den Titel des ‚Alphawolfes‘ finden sich normalerweise nur bei Wölfen in menschlicher Haltung, denen die natürliche familiäre Struktur fehlt", heißt es weiter.
Laut Nabu ernähren sich Wölfe normalerweise von Rehen, Wildschweinen und Hirschen. Aber auch Hasen, Kaninchen, Murmeltiere, Füchse oder Biber stehen auf seinem Speiseplan. "Entgegen mancher Erzählung töten Wölfe dabei nicht aus Mordlust. Gewohnt an flüchtenden Beutetiere und die Nahrungsknappheit der Natur, nutzen sie aber Gelegenheiten um mehrere Beutetiere zu erlegen. Dies stellt besonders bei eingezäunten Nutztierhaltungen ein Problem dar. Wie mit Wolfsrissen umzugehen ist, bleibt dabei umstritten", heißt es in der Pressemitteilung. Bekannt sei jedoch, dass die Anzahl der Wölfe weniger Bedeutung besitzt als die Qualität des Herdenschutzes, ist der Nabu der Meinung.
Debatte um Herdensicherheit und Abschussquoten
Das Wolfskompetenzzentrum Iden (WZI) des Landesamts für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU) verzeichnete für den Zeitraum Mai 2020 bis April 2021 insgesamt 150 wildlebende Wölfe in Sachsen-Anhalt. Bis zum Juli 2022 hat es in Sachsen-Anhalt bisher 27 Übergriffe auf Nutztiere gegeben, bei denen ein Wolf als Verursacher festgestellt oder nicht als solcher ausgeschlossen werden konnte. Dabei wurden 150 Nutztiere getötet und 27 verletzt. Die meisten davon im Landkreis Altmarkkreis-Salzwedel (70 tote Tiere, 12 verletzt), gefolgt vom Jerichower Land (44 tote Tiere und drei verletzte) und Wittenberg mit 40 toten und 15 verletzten Tieren.
Die Tiere, die den Wölfen bei den Übergriffen am häufigsten zum Opfer fallen, sind Schafe (125) und Ziegen (16). Seltener werden Rinder (3) oder Gatterwild (5) von ihnen getötet, oder - wie im Landkreis Stendal geschehen - ein Alpaka.
Zum Vergleich: Zwischen 1. Mai 2020 bis 30. April 2021 gab es die häufigsten Wolfrisse im Altmarkkreis-Salzwedel. Dort wurden 87 Nutztiere getötet. Im Jerichower Land wurden 47 tote Tiere gemeldet, im Landkreis Börde rund 45. In Wittenberg waren es in dem Zeitraum 19 tote Nutztiere. „Ein proportionaler Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Wolfspopulation und der Übergriffe auf Nutztiere kann daher nicht festgestellt werden“, war sich auch das Wolfskompetenzzentrum Iden damals sicher.
Anders schätzte es Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), 2022 ein. Er sah wegen der Wolfrisse die bisherige Politik im Umgang mit dem Tier als gescheitert an. „Der Einstieg in ein aktives Bestandsmanagement ist längst überfällig“, forderte er. „Wer die biologische Vielfalt im ländlichen Raum fördern, die Nutzung von Grünland sichern und die Kulturlandschaft auch in Zukunft pflegen will, muss den Abschuss auffälliger Wölfe schnell und unbürokratisch genehmigen und den Gesamtbestand des Wolfs regulieren.“
Wolf gefährlich für Menschen?
Kann der Wolf also auch Menschen gefährlich werden? "Untersuchungen zeigen, dass zwischen 2000 und 2020 in Deutschland kein Mensch vom Wolf angegriffen wurde. Und auch wenn aggressives Verhalten nie absolut ausgeschlossen werden kann, sind Übergriffe auf Menschen äußerst unwahrscheinlich", äußert sich der Naturschutzbund in der Pressemitteilung. Zudem vermieden Wölfe den Kontakt zu Menschen.
Sichtungen in Ortsnähe seien in der dicht besiedelten Kulturlandschaft trotzdem möglich und auch von anderen, ebenfalls scheuen Tieren wie dem Fuchs, bekannt.
"Anzeichen, dass heimische Wölfe ihre Vorsicht vor dem Menschen verlieren, gibt es keine. Denn letztlich hat auch Neugier ihre Grenze und irgendwann will jeder Wolf zurück zu seinem Rudel", so der Nabu am Schluss.