Ehemalige Magdeburgerin schildert in ihrem Buch "Verlangen nach Leben", wie die DDR-Geheimpolizei ihr Privatleben ausspionierte Petra Heß wurde von der Stasi für Erpressungen missbraucht
Magdeburg l Nach dem Studium ihrer mehr als 1100 Seiten umfassenden Stasi-Akte schrieb sich die heute 62-jährige ehemalige Magdeburgerin Petra Stark, geborene Heß, die Seele aus dem Leib, um das Gelesene zu verstehen und zu verkraften. Ihr Buch "Verlangen nach Leben" ist jetzt erschienen.
Die lebenslustige Petra Heß geriet mit 22 Jahren ins Visier der Magdeburger Staatssicherheit. Damals war sie als Buchhalterin im Kraftfahrzeug-Instandsetzungskombinat Magdeburg (KIK) tätig, später arbeitete die alleinerziehende Mutter viele Jahre als Sekretärin in einem Magdeburger Baukombinat.
Im Februar 1973 beauftragte das Berliner Ministerium für Staatssicherheit die MfS-Bezirksverwaltung Magdeburg, Petra Heß umfassend zu überprüfen, um sie für die Abteilung II (Spionageabwehr) zu werben. Davon wusste jedoch das "Objekt" (Petra Heß), das laut Ermittlungsauftrag "nicht angesprochen werden durfte", bis zur Akteneinsicht weit nach der Wende absolut nichts.
"Petra war sehr nett - und sie war sehr unbedacht", schreibt Petra Heß 40 Jahre später über sich selbst. "Auch sie ging gerne zur Entspannung ins Hotel International und ließ sich vom Barkeeper einen Cognac servieren, und sie hatte nichts dagegen, wenn der ihr auch gleich einen netten Herrn vorstellte, der wie sie auf die Bestellung wartete." Diese Vorliebe der hübschen jungen Frau blieb der Stasi, die das damalige Interhotel mit seiner weithin bekannten und sehr beliebten "Juanita-Bar" als Treffpunkt von Gästen aus Ost und West stets im Blick hatte, nicht unbemerkt. Deshalb sollte sie als weiblicher Spion angeworben werden.
"Es war alles so unfassbar."
"Der Stasi war Petras lockerer Umgang mit Männern und die Tatsache, dass diese ihr schnell vertrauten, bekannt", heißt es in den Erinnerungen weiter.
Aus dem November 1978 ist ein Beispiel für das "Julia-Spiel" beschrieben:Eines Tages lernte Petra einen "interessanten Mann um die Fünfzig" in der Hotelhalle kennen, ging mit ihm in die "Juanita-Bar" und später auch ins Bett. Rolf Sielack war ein erfolgreicher privater Fuhrunternehmer, was jedoch nicht so recht in die sozialistische Wirtschaftspolitik passte. Es dauerte nicht lange, und die Stasi übte mit dem Wissen um die Affäre des verheirateten Mannes mit Petra Heß Druck auf ihn aus. Daraufhin trafen sich die Verliebten. Petra Stark schreibt: "Kurz und knapp erklärte er ihr, dass er sich ihretwegen nicht erpressen lasse und er kein Verlangen danach habe, sich weiter mit einer abzugeben, die für die Stasi arbeitet." Für Petra Heß brach eine Welt zusammen. Sie erkannte, dass das Zusammentreffen mit dem Fuhrunternehmer arrangiert worden war, um ihn erpressbar zu machen.
"Es war alles so unfassbar", heißt es weiter. "Wie sollte sie Rolf glaubhaft erklären, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit der Stasi zu tun hatte? Wen sollte sie fragen, wie es kam, dass man so etwas mit ihr machte? Wieso man sie benutzte, um einem Mann zu schaden, den sie doch auf ihre Art liebte?" Antwort auf diese Fragen fand Petra Stark erst viele Jahre später in den umfangreichen Aufzeichnungen ihrer Stasi-Akte.
Die amourösen Abenteuer der jungen Petra Heß waren aber nur ein Teil der Aktionen der Stasi in Bezug auf die gebürtige Magdeburgerin, die heute in zweiter Ehe in einem niedersächsischen Dorf lebt. Nachdem sie jahrelang als "Objekt, das nicht angesprochen werden darf" gelebt hatte, lernte sie die DDR-Geheimpolizei ab 1984 von einer anderen Seite kennen. Im Laufe der Jahre war Heß mit ihrem Leben in der DDR immer unzufriedener geworden. Dazu kam, dass ihr damals 15-jähriger Sohn Holger unbedingt Fernfahrer auf internationalen Straßen werden wollte, was in der DDR kaum möglich war.
So stellte Petra Heß am 12. März 1984 einen Ausreiseantrag für sich und ihren Sohn. Für die Stasi sehr nachteilig, denn nun konnte die unfreiwillige "Julia" nicht mehr benutzt werden. An ihrem Arbeitsplatz gab es zahlreiche Aussprachen und Versuche des SED-Parteisekretärs und des Betriebsdirektors auf Anweisung der Stasi, die inzwischen 33-jährige Nicht-Genossin von diesem "staatsfeindlichen Vorhaben" abzubringen. Doch weder Versprechungen noch Drohungen halfen. Jeden Monat aufs Neue sprach Petra Heß im Magdeburger Rathaus vor. Über eine solche Vorsprache bei der Abteilung Inneres notierte die Stasi: "Die H. würdigte außerdem die staatliche Ordnung der DDR herab, indem sie ... behauptete, daß ... in der DDR die Menschenrechte verletzt werden und sie ein Opfer der Regimeverhältnisse in der DDR sei."
"Ich habe erfahren, wie es ist, eingesperrt zu sein."
Im Juli 1985 hatte die Stasi eingesehen, dass Petra H. "ihr Ziel hartnäckig durchzusetzen" versuchen wird, so durch das Aufsuchen der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR. Deshalb leitete der Leiter der Stasi Magdeburg die Operative Personenkontrolle (OPK) "Fernfahrer" ein. Der umfangreiche Maßnahmeplan vom 10. Juli 1985, der der Redaktion vorliegt, sah unter anderem den Einsatz von Abhöreinrichtungen in einer Nachbarwohnung und eine "konspirative Wohnungsdurchsuchung" vor. Ziel war die "Ermittlung von Beweisen zur Durchsetzung des EÜ" (Ersuchen auf Übersiedlung). Tatsächlich hörte die Stasi bei ihrem Lauschangriff aus der Nachbarwohnung am 20. August 1985 um 20.34 Uhr, dass Petra Heß einem älteren Arbeitskollegen, der nach Westdeutschland reisen durfte, einen Brief an einen Anwalt übergab, den dieser im Westen einstecken sollte - ein schweres Vergehen in den Augen der Stasi und verhängnisvoll für Petra Heß.
Am 18. Dezember 1985 wurde Petra Heß verhaftet und am 25. März 1986 wegen "Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit und wegen öffentlicher Herabwürdigung" zu 19 Monaten Gefängnis verurteilt. Zum Glück brauchte sie die volle Strafe nicht abzusitzen. Sie wurde von der Bundesregierung freigekauft und am 2. Juli 1986 abgeschoben. Ihr Sohn durfte im August desselben Jahres ausreisen.
Abschließend stellt Petra Stark in ihren Lebenserinnerungen fest: "Ich habe erfahren, was es bedeutet, eingesperrt zu werden, nur weil man in diesem Land, in der DDR, nicht mehr leben wollte. Von diesen Zuständen kann man nicht oft genug berichten. Vom Leser erhoffe ich mir Verständnis und Nachdenklichkeit. Ich möchte mit meinem Buch dazu beitragen, dass das Interesse an dieser Thematik wachgehalten wird."